Glucke contra Karrierefrau
© ZEIT online 1.3.2007 - 11:19 Uhr
Glucke contra Karrierefrau
Die Parteien streiten über die Finanzierung von mehr Krippenplätzen und das Familienbild. Aber sind Krippen schädlich oder gut für die Entwicklung der Kleinen? Von Parvin Sadigh
Die konservativen Männer haben die Schlacht um die heile Familie mit Hausfrau offensichtlich verloren. Denn an der Macht sind nun die konservativen Frauen - und die sind zwangsläufig modern. Sie arbeiten jeden Tag und wollen anderen Frauen in Deutschland ermöglichen, dasselbe zu tun. Um sich dafür oder auch dagegen entscheiden zu können, brauchen wir wenigstens das Angebot, die Kleinsten in guten Krippen betreuen zu lassen. Wenn dann noch das mit dem Geld stimmt, ist eigentlich alles ganz einfach.
Denkt man. Aber in modernen Mütterköpfen, egal ob der CSU oder den Grünen zugeneigt, geht es um das Wohl des Kindes. Und plötzlich streben sogar die Lebenswelten der besten Freundinnen auseinander. Die eine bleibt drei Jahre zu Hause und vielleicht noch mal drei beim zweiten Kind und beim dritten wieder ... Ohne es zu wollen, entspricht sie dann doch dem Wunschbild des konservativen Mannes. Und findet schwer wieder in den Beruf zurück. Die Freundin dagegen gibt ihr Kind mit 6 Monaten in die Krippe und fängt rasch wieder an zu arbeiten. Wahrscheinlich wird aus dem engen Verhältnis dieser Mütter nun ein distanziertes. Man lebt nicht nur anders, man verachtet sich sogar. Ideologie dominiert das Gefühl dafür, was der emanzipierten Frau und ihrem Kind gut täte.
Die eine fürchtet, unglücklich zu werden, wenn sie ihre Aufgabe im Beruf nicht mehr erfüllen kann. Gerne glaubt sie an die Studien, die versprechen, dass ihr Kind in der Krippe besser sprechen lernt, sozial kompetenter und viel schneller selbstständig wird als das Baby ihrer Freundin. Die Freundin wiederum ist überzeugt, dass ihre eigene Selbstverwirklichung nachrangig sein muss, weil ein Kind drei Jahre lang von den Eltern zu Hause betreut werden sollte. Sonst nähme es Schaden. "Das einjährige Kind ist, dies belegen alle nationalen und internationalen Bindungsforschungen, auf eine Bezugsperson fixiert und braucht die Liebe und Bindung als entscheidende Faktoren für eine gesunde und emotional stabile Entwicklung. Die zu frühe Verselbstständigung und Erziehung in der Gruppe schadet dem Kind." Das schreibt Georg Ehrmann, Vorstandsvorsitzender der "Deutschen Kinderhilfe Direkt" zur Debatte um die Krippenplätze.
Das Zauberwort in der Psychologie heißt Bindungstheorie. Die Bindung zur Mutter (oder zur Hauptbezugsperson, das kann natürlich auch der Vater sein) gilt tatsächlich als Maßstab für das spätere Selbstvertrauen und die Fähigkeit, gelungene Beziehungen im Leben einzugehen. Es kann - so die Theorie - durch zu viel Krippenbetreuung gestört werden. Getestet wird die Bindung durch das "Strange Situation"-Verfahren: Ein Kleinkind wird kurz von der Mutter getrennt und sein Verhalten nach der Rückkehr der Mutter beobachtet. Freut sich das Kind, umarmt es die Mutter und spielt dann entspannt weiter, ist die Bindung wahrscheinlich "sicher". Reagiert das Kind erst einmal abweisend, wütend oder gleichgültig auf sie, gilt die Bindung als "unsicher". Ist die Bindung jedoch sicher, da sind sich alle Forscher einig, kann die Mutter/Hauptbezugsperson auch mal für ein paar Stunden am Tag nicht anwesend sein. Es soll jedoch eine andere sehr vertraute Person in der Nähe sein, die sich dem Kind widmen kann - also der Vater, die Oma oder Tante. Auch hier muss eine sichere Bindung existieren.
Der komplette Text ist hier zu finden
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Es ist kein Merkmal von Gesundheit, wohlangepasstes Mitglied einer zutiefst kranken Gesellschaft zu sein