"Mehr Teilzeit-Arbeit für Männer"
Familienpolitik
"Mehr Teilzeit-Arbeit für Männer"
Ursula von der Leyen verlangt vom angeblich starken Geschlecht mehr Engagement für die Familie. Im Gespräch mit WELT.de erläutert sie, warum sie die verwandtschaftlichen Beziehungen für ein enorm hohes Gut hält und warum auch eine Gesellschaft mit vielen Alten großes Potenzial hat.
WELT.de: Nie haben die Deutschen der Familie so einen hohen Stellenwert beigemessen wie heute, das war zuletzt dem "Generationenbarometer" zu entnehmen. Gleichzeitig bekommen aber immer weniger Menschen Kinder. Können Sie sich einen Reim darauf machen?
Ursula von der Leyen: Dieses Paradox, das wir seit 30 Jahren beobachten, hat seine Gründe. Der Wunsch nach Familie, nach Kindern, nach dem Zusammenhalt der Generationen, ist ungebrochen groß, Gott sei Dank. Aber es wird für junge Menschen hier immer schwieriger, in einer modernen, globalisierten Welt Familie zu leben. Für junge Männer gilt nicht mehr, dass sie ein sicheres, stetig wachsendes Einkommen bis zur Rente nach Hause bringen, und junge Frauen wollen diese Welt mitgestalten. Beide wünschen sich Perspektiven mit Kindern. Deshalb lautet der politische Anspruch: Wenn konservative Werte erhalten bleiben sollen - also Verantwortung übernehmen, verlässlich sein, Zusammenhalt schaffen -, dann müssen Gesellschaft und Politik den Rahmen schaffen, dass sie heute lebbar sind.
WELT.de: Was kann der Staat in dieser zwischenmenschlichen Sphäre überhaupt ausrichten?
Von der Leyen: Er darf junge Eltern nicht allein lassen! Wir brauchen eine Arbeitswelt, die Rücksicht auf Kinder nimmt. Das ist die Aufgabe der Wirtschaft. Familie und Beruf müssen für Männer und Frauen vereinbar sein. Dafür brauchen wir außerdem eine Infrastruktur an Kindergärten, Ganztagsschulen, Mehrgenerationenhäusern, die verlorene Prinzipien der früheren Großfamilie wieder möglich macht. Bildungsräume, in denen Kinder viele andere Kinder und andere Generationen treffen. Außerdem sind gezielte finanzielle Hilfen am Lebensanfang wichtig, wenn die Einkommen klein sind.
WELT.de: Die deutschen Frauen bekommen aber, wenn man sie mit ihren Geschlechtsgenossinnen anderswo vergleicht, beides nicht besonders gut hin: zugespitzt machen sie weder Kinder noch Karriere.
Von der Leyen: Es stimmt, dass in den Ländern, in denen die Müttererwerbsquote höher ist, wieder mehr Kinder geboren werden, die Kinderarmut geringer und mehr Frauen in Führungspositionen sind. Diese Länder haben sehr viel früher Voraussetzungen geschaffen, dass Kindererziehung und Berufswünsche Hand in Hand gehen können. Sie haben nachhaltig investiert. In Deutschland dagegen haben junge Frauen unendlich viele Vorurteile überwinden müssen, wenn sie Verantwortung übernehmen wollten für den Lebensunterhalt und für Kinder. Wir haben viel zu lange gesagt, was mit Kindern nicht geht, anstatt zu überlegen, wie junge Menschen mit Kindern bessere Perspektiven bekommen.
WELT.de: Ist also der klassische Einverdiener eher eine Art Standortnachteil?
Von der Leyen: Es geht nicht mehr um unsere Generation, sondern um die Jüngeren. Wie sollen sie als zahlenmäßig kleine Generation die Herkulesaufgabe der Mitversorgung einer großen Zahl Älterer bewältigen, dazu noch selbst Kinder ernähren und dieses Land wettbewerbsfähig halten? Das ist nicht mit nur der Hälfte aller Fähigkeiten zu bewältigen. Wir haben hervorragend ausgebildete Frauen, die diese Gesellschaft mitgestalten wollen.
WELT.de: Aber die meisten Mütter wollen doch gar nicht Vollzeit arbeiten, sondern streben Teilzeitjobs an. Werden solche Wünsche mit der neuen Familienpolitik einfach ignoriert, weil die Frauen in der Wirtschaft gebraucht werden?
Von der Leyen: Nein, gerade die Wirtschaft muss sich umstellen. Der Fachkräftemangel hat schon begonnen. Unternehmen, die junge Fachkräfte suchen, müssen tradierte männliche Arbeitsmuster über Bord werfen und arbeitszeitflexibel organisieren. In Zukunft werden wir Lebenszeit entzerren. Kürzere Ausbildungszeiten, häufige Weiterbildungen, Phasen der Kindererziehung und der Pflege älterer Menschen und längere Lebensarbeitszeit werden zu anderen Lebensverläufen führen. Auch für Männer. Zeit für Arbeit und Zeit für Angehörige ist die Balance, die eine Gesellschaft mit weniger jungen Menschen schaffen muss. In Frankreich und Skandinavien funktioniert das, und dort steigt die Kinderzahl auch wieder. Für erfolgreiche schwedische Männer ist es ein Statussymbol, ein aktiver Vater zu sein. Oder dänische Männer arbeiten nicht weniger als die deutschen, aber sie haben kürzere Arbeitstage, dafür aber mehr Arbeitstage im Jahr. Kinder brauchen Vater und Mutter verlässlich am Tag und nicht einmal in der Woche.
--
Es ist kein Merkmal von Gesundheit, wohlangepasstes Mitglied einer zutiefst kranken Gesellschaft zu sein
![[image]](Info/Img/feminismus-gegen-frau-kl-1.png)