Seltene Töne bei der "Taz"
VON INES KAPPERT
"Der" Mann ist in der Krise - diese These gehört derzeit zu den beliebtesten Gassenhauern der Medien. Einfach nur dummes biologistisches Gerede? Oder Indiz für eine kriselnde symbolische Ordnung? Es lohnt sich, hinter dies Krisengerede zu gucken
"Der Fall der jungen Männer, die Krise der Männlichkeit", so lautete der Titel eines Vortrages, den Christian Pfeiffer diese Woche im Rahmen der renommierten Mosse-Lectures an der Humboldt Universität zu Berlin zum Motiv "Verlierer" hielt. Der ehemalige Justizminister von Niedersachsen und aktuelle Leiter des Kriminologischen Instituts Niedersachsen ist ein solider Populist; schon mehrfach hat er von sich reden gemacht. 1999 konstruierte er einen Zusammenhang zwischen der vermeintlich autoritären DDR-Erziehung und dem Rechtsradikalismus in Ostdeutschland und sorgte für viel Ärger. Ein Jahr später fiel er im Zusammenhang des so genannten "Joseph-Fall" in der sächsischen Kleinstadt Sebnitz auf. Pfeiffer hatte ein Gutachten verfasst, das die Mutter in ihrer These bestärkte, ihr Junge - Joseph - sei von Rechtsradikalen ertränkt worden. Der Fall und vor allem Pfeiffers Gutachten erfuhren eine große Resonanz in den Medien. Eine Woche später stellte sich heraus, dass das Kind einen Unfall hatte, und Pfeiffers Argumentation erwies sich als haltlos. Nun hat Pfeiffer die Krise der Männlichkeit, der Männer und der Jungen für sich entdeckt. Er schließt also zu einem neuen Reizdiskurs auf.
Dabei, so neu ist die Rede vom Mann in der Krise nicht. Mannsein als "hochriskante Lebensform" (Geo Special, Themenheft, 2000), Männer als das "gebrechliche Geschlecht" (Spiegel, Titelgeschichte, 2001) und der "Mann als Risikofaktor" (taz, 2003) oder "Problemzone" (Focus, Titelgeschichte, 2005) sind mittlerweile fester Bestandteil des Infotainments. Behauptet wird dabei stets, dass der Mann unabhängig von Bildung, Finanzkraft oder Alter in eine existenzielle Krise geraten und infolgedessen hilfebedürftig sei. Die Gesellschaft solle ihn endlich als defizient, als Opfer oder Gefahrenquelle erkennen und sich seiner annehmen.
Bei der Rede von Männern in der Krise werden in der Regel folgende Diskursjetons gespielt: Die männliche Gesundheit werde fragil, ein spezieller Männerarzt müsse her. Zudem sei die geringere Lebenserwartung der Männer Ausdruck ihrer enormen Belastung, ebenso wie die Tatsache, dass sie weit öfter als Frauen der Alkoholsucht anheimfallen und rund 90 Prozent der Gewaltdelikte auf ihr Konto gehen. Zu allem Übel sind es auch noch vor allem Männer, die zum Freitod als letztes Mittel greifen.
Wir sehen, die Lage ist dramatisch, und nicht weniger ist es die Wortwahl: "Als Fötus sind sie empfindlicher, in der Schule scheitern sie häufiger, sie neigen zu Gewalt und Kriminalität, und sie sterben früher: Sind Männer Mängelwesen der Natur?" Im Rekurs auf ein wohlfeiles Naturverständnis findet sich zügig eine Antwort; behände stützen die Verfasser der Spiegel-Titelstory "Eine Krankheit namens Mann" (2003) ihre Prinzipalthese auf Biologismen ab: "Nun offenbaren auch noch die Biologen: Das Y-Chromosom ist ein Krüppel, der Mann dem Untergang geweiht."
Damit längst nicht genug. Im Zuge der Pisa-Studie ist ein neues Problemfeld in den aufgeregten Blick gerückt: die Jungen und ihre seit Anfang der 1990er-Jahre nachlassenden schulischen Leistungen. Während sich zuvor noch keine gravierende Geschlechterdifferenz bei den AbiturientInnen feststellen ließ, haben laut statistischem Bundesamt im Jahr 2005 von hundert GymnasiastInnen nur 43 Jungen die Hochschulreife erworben.
Pfeiffer macht den Grund für das schlechtere Abschneiden, neben dem Elternhaus, vorrangig in der maskulinen Mediennutzung aus. Denn Jungs, zumal die aus den bildungsschwachen Haushalten, besitzen deutlich häufiger als Mädchen einen Fernseher, Computer oder eine Spielkonsole und verbringen entsprechend mehr Zeit mit ihnen. Dieses Freizeitvergnügen nun absorbiere ihre Aufmerksamkeit; dass zudem der Konsum von gewalttätigen Computerspielen den meisten Jungen selbstverständlich ist, mache die Sache nicht besser. Wie zu erwarten, fügte Pfeiffer an dieser Stelle die sattsam bekannte Kurzschließung von Gewaltbildern und Gewalttaten an.
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Es ist kein Merkmal von Gesundheit, wohlangepasstes Mitglied einer zutiefst kranken Gesellschaft zu sein