Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 2 - 21.05.2006 - 25.10.2012

233.682 Postings in 30.704 Threads

[Homepage] - [Archiv 1] - [Archiv 2] - [Forum]

«Es geht nur mit den Männern»

Christine ⌂, Wednesday, 10.01.2007, 14:12 (vor 6906 Tagen)

31. Dezember 2006, NZZ am Sonntag

Kasten: Neue Generation, neuer Feminismus

«Es geht nur mit den Männern>

Und das letzte Wort des Jahres gehört den Frauen. Die Autorin Thea Dorn und die Politikerin Ursula Wyss über die neue Feminismus-Debatte, weibliche Rollenbilder und die Unverzichtbarkeit der Männer

NZZ am Sonntag: Frau Dorn, wo war es Ihnen hilfreich, eine Frau zu sein?

Thea Dorn: Ich würde sagen, auf eine Weise hat es mir geholfen, und auf dieselbe Weise hat es mir die Karriere auch schwieriger gemacht. Ich habe als 24-Jährige mein erstes Buch veröffentlicht, und die Tatsache, dass ich jung und eine Frau bin, hat mir wohl mehr Aufmerksamkeit beschert, als wenn ich ein 24-jähriger Mann gewesen wäre. Negativ hat sich das Frausein bei der Reaktion auf mein Buch bemerkbar gemacht. Die drastische Darstellung der Gewalt nahm man mir übel nach dem Motto «und das von einer Frau!>.

Und Sie Frau Wyss, wann hatten Sie Vorteile, eine Frau zu sein?

Ursula Wyss: Das ist schwierig, rückblickend so etwas zu sagen. Vielleicht hat es schon angefangen bei der Erziehung durch die Eltern, die mich ganz bewusst eigenständig und selbstbewusst erzogen haben - stärker, als das bei meinen Brüdern der Fall war.

Aber bei Ihrem Eintritt in die Politik war Ihr Frausein doch hilfreich?

Wyss: So war das nicht. Ich bin viel eher über das «Jungsein> definiert worden als über das Frausein. Auf unserer Liste, mit der wir 1999 antraten, stand nicht die Frage nach dem Geschlecht im Zentrum. Interessant ist allerdings, dass vor allem junge Frauen gewählt werden.

Warum glauben Sie, haben es gerade junge Frauen geschafft und nicht die jungen Männer?

Wyss: Wähler, die bewusst den politischen Nachwuchs fördern, wählen tendenziell lieber Frauen. Vielleicht liegt es auch an der Stärke dieser jungen Frauen, hinzustehen und zu sagen: «Ich will es, und ich will es jetzt.>

Haben Sie beide den Eindruck, Frauenfragen seien wieder en vogue?

Dorn: Wenn man sich die Medien- Geräusche, die um dieses schreckliche Buch von Eva Herman gemacht wurden, anhört, könnte man meinen, ja. Ich glaube, man muss das Thema weiter fassen. Wir sollten eine Geschlechter-Debatte führen und die Frauenfrage nicht isoliert betrachten. Ohne die Jungs kommen wir nicht weiter. Das hat die Frauenbewegung in den siebziger Jahren gezeigt. Denn wenn die Männer an ihren Rollenbildern festhalten, können sich die Frauen noch so lange emanzipieren, es bringt nur bedingt etwas. Damit meine ich aber nicht, dass wir die Männer - wie in den achtziger Jahren in Deutschland - in die Strickgruppe schicken. Ich meine damit auch nicht, die alten Rollenzuteilungen neu festzuschreiben. Je mehr ich mich mit dem Thema Frauen beschäftige, desto klarer wird mir: Es geht nur mit den Männern.

Wyss: Ja, es muss ein gesellschaftlicher Prozess in Gang kommen. Andererseits habe ich überhaupt keine Lust, auf die Männer zu warten, bis die das kapiert haben. Die Männer kriegen ein Problem, wenn sie weiterhin an ihrer Rolle kleben - vor allem mit den jüngeren Frauen.

Ist das wirklich so? Sind nicht vielmehr gerade die jungen Frauen dabei, sich mit Freude wieder den alten Rollenmustern zu verschreiben?

Wyss: Nein, das ist ein Medienthema. Das sind vielleicht ein paar Luxus- Frauen, die ein Leben in der Villa anstreben. Aber die sind nicht repräsentativ. Schon allein die Tatsache, dass die Wirtschaft auf die gut ausgebildeten Frauen nicht verzichten kann, wird den Weg weisen. Es geht darum: Wie organisieren wir Beruf und Familie? Machen wir das selber, oder warten wir, bis die Männer endlich ihren Beitrag leisten? Da ist auch die Politik gefragt, die Strukturen schaffen muss.

Und was fordern Sie von den Frauen? Schliesslich waren es Frauen, die die Mutterschaftsversicherung lange blockiert haben.

Wyss: Das war eben eine Generation von Frauen, die sich nicht vorstellen konnten, Kinder zur Betreuung in fremde Hände zu geben. Das sind alte Rollenbilder einer Generation.

Dorn: Wenn ich mir die derzeitigen Debatten anschaue, habe ich nicht den Eindruck, dass das nur die ältere Generation ist, die mit alten Rollenbildern lebt. Meines Erachtens gibt es gerade bei Jüngeren wieder eine Sehnsucht nach traditionellen Rollen.

Wyss: Das sehe ich nicht so, zumindest nicht für die Schweiz. Wir sind weniger «romantisch>, und wir lamentieren weniger. Für mich geht es darum, dass zu wenig familienfreundliche Institutionen da sind. Wir sind weit davon entfernt, dass Frauen die Möglichkeit haben, berufstätig zu sein und Kinder zu haben.

Dorn: Ich möchte ein Beispiel dagegenhalten, das die Haltung verdeutlicht, die ich meine: Eine Freundin von mir ist Berufsberaterin, sie hilft Abiturientinnen dabei, zu überlegen, was sie beruflich machen können. Häufig hört sie von jungen Frauen den Satz: «Meine Schwester hat einen reichen Mann geheiratet, die muss nicht mehr arbeiten . . .> Die Pointe: Die anderen jungen Damen seufzen romantisch. Ich fürchte, das Leitbild vieler junger Frauen besteht darin, einen reichen Mann zu erwischen und damit die Option zu haben, ein schickes Kunststudium nebenher zu machen. Breites Kreuz, dickes Konto - mit diesem Wunschbild von einem Mann geben immer noch viel zu viele Frauen die Verantwortung für ihr Leben ab. Weiter geht es hier: Link

--
Es ist kein Merkmal von Gesundheit, wohlangepasstes Mitglied einer zutiefst kranken Gesellschaft zu sein


gesamter Thread:

 

powered by my little forum