Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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"Der Chef ist eine Frau"

Gast, Sunday, 17.12.2006, 20:11 (vor 6930 Tagen)

Sie hatte sich gut vorbereitet: Ideen erarbeitet, Anträge formuliert. Doch in der Sitzung kam alles ganz anders. Die Vorschläge der Abteilungsleiterin wurden kurzerhand abgeschmettert. So hat Annette Sievers die Macht der Männer in den Führungsetagen kennengelernt. ?Das tut weh. Damit muss man sich auseinander setzen", sagt die Managerin. Heute lässt sich die 40-Jährige nicht mehr von Männern ausbremsen. Sie hat das Unternehmen gewechselt und ist inzwischen Geschäftsführerin von SV Deutschland, einem Unternehmen für Catering und Gebäudemanagement mit mehr als 9000 Mitarbeitern.

Annette Sievers gehört trotzdem zu einer Minderheit: Sie ist Führungskraft in einem deutschen Unternehmen. Studien gehen davon aus, dass in Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern der Anteil der weiblichen Führungskräfte bei vier Prozent liegt. Immer wieder denken die Parteien daher über eine Frauenquote für die Wirtschaft nach. Die Grünen in NRW wollen damit ernst machen: Sie stellen heute ihren Antrag für den Landtag vor, wie sie per Quote mehr Frauen in Aufsichtsräte bringen wollen. Vorbild: Norwegen.

In Sachen Bildung haben Frauen die Männer längst überflügelt. Nur in den Führungsetagen sind sie nicht angekommen. Bis ins mittlere Management steigen sie auf. ?Da werden fleißige Bienen noch gebraucht", sagt die Wirtschaftsprofessorin und Mitgesellschafterin der Großbäckerei Mestemacher Ulrike Detmers. Doch dann stoße frau an eine gläserne Decke. Die 50-Jährige weiß um die größte Hürde auf dem Weg nach oben. Über sie ist auch Annette Sievers gestolpert: ?Es gibt gewachsene Seilschaften der Männer. Männerbünde. Da entscheidet nicht die Qualifikation, sondern dass der Mann ein Kumpel ist", erklärt Detmers.

Weiterer Stolperstein: das Frauenbild mancher hoher Herren. ?Männer haben oft Vorurteile. Sie haben meist eine nichterwerbstätige Frau zu Hause, die ihnen den Rücken frei hält", sagt Detmers. Die Mitgesellschafterin der Mestemacher-Gruppe hält daher Zielbestimmungen für hilfreich. ?Die Gleichstellungsgesetze sind ausgezeichnet, aber Bund und Länder tun sich relativ schwer, sie
umzusetzen." Detmers schlägt daher vor: ?Bund, Land und Kommune könnten in Unternehmen, in denen sie Miteigentümer sind, Vorgaben für Aufsichtsrat und Vorstand machen. Das gibt Frauen die Plattform, die sie brauchen, um ihre Leistungen auch zeigen zu können."

Annette Sievers dagegen hält eine Quote für unrealistisch, ?solange sich nicht die Rahmenbedingungen ändern". Ihr eigenes Unternehmen ist in Sachen Frauenförderung vorbildlich: Das als Soldatenverpflegungswerk 1914 gegründete Dienstleistungsunternehmen hat in seiner Satzung festgeschrieben, dass die oberste Führungsposition mit einer Frau besetzt wird. 73 Prozent der Mitarbeiter sind Frauen, Anteil der Führungskräfte: 34 Prozent. Trotzdem hat die Managerin nicht viele Illusionen. ?In konservativen Branchen ist es hart. Da muss sich die Frau praktisch entscheiden: Beruf oder Familie."

Finanzfachfrau Ute Gerbaulet glaubt ebenfalls nicht an die Macht der Quote. ?Das ist zwanghaft und nicht immer hilfreich. Ich bin eher dafür, dem Wettbewerb freien Lauf zu lassen." Als Leiterin des Bereichs Aktienkapitalmarkt bei der WestLB arbeitet sie in einer Männerdomäne. Bei den Kunden habe sie das sogar manchmal als Vorteil erlebt. ?Im Finanzsektor fällt eine Frau eben mehr auf." Gerbaulet kann nur spekulieren, warum die Frauen fehlen: ?Männer interessieren sich vielleicht eher für internationale Finanzen. Außerdem sind es lange Arbeitszeiten." Gerbaulet selbst hat sich nicht abschrecken lassen - trotz Familie mit zwei Kindern. ?Es geht. Mit Mut, Willen, Disziplin und viel Organisation."

Quelle: Rheinische Post (Druckausgabe) vom Freitag, 15.12.2006
E-Mail-Adresse: leserbriefe@rheinische-post.de


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