Deutschland, eine Nabelschnurschau
Die Demografie avanciert zur neuen Leitwissenschaft der Berliner Republik. Politiker, Soziologen, Publizisten streiten über die Bevölkerungspyramide: Wie viele Alte verträgt das Land? Wie viele Kinder werden geboren? Und wer zahlt die Zeche?
Die Zukunft des Landes lässt sich begreifen wie ein Girokonto bei der Bank. Jede positive Geste,
jede Stunde intensiver Beschäftigung, jeder Tag kreativer Wissensvermittlung mit unseren Kindern wirkt wie eine Anzahlung eines kleinen Beitrags. Sie erhöht das Guthaben und wirft eines Tages reiche Frucht in Form von Zinsen ab.>
Wer so denkt, muss ein Mann sein. Einer Frau kämen fiskalische Metaphern bei der Fortpflanzungsfrage wohl nicht so leicht über die Lippen. Und richtig: Ulrich Deupmann ist, schon dem Namen nach, keine Frau. Deupmann ist Journalist bei der «Bild am Sonntag>, und sein Buch «Die MACHT der KINDER!> gibt schon in der typografischen Gestaltung des Titels die Argumentationslinie vor. Bereits im vergangenen Jahr erschienen, fordert es, was derzeit alle fordern: mehr Nachwuchs - und zu diesem Zweck einen tiefgreifenden Mentalitätswandel.
Keine Kinder = keine Hoffnung. Auf diese simple Gleichung lässt sich die aufgeregte gesellschaftliche Debatte bringen, entfacht durch die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Deutschland ist Weltmeister, sagen diese Zahlen: Champion der Unfruchtbarkeit. Zwar gab es kurz nach der Wende schon einmal eine Phase, in der die Geburtenrate in der ehemaligen DDR nur vom Vatikan unterboten wurde. Aber das war verständlich, wegen der unsicheren Aussichten damals. Die neuen
Negativrekorde will hingegen niemand mehr verstehen. Umso häufiger werden sie wie in Trance wiederholt, als gemurrtes Mantra eines lendenlahmen Landes: Gesamtfruchtbarkeitsrate bei 1,3 Kindern je Frau, 60-Jahres-Tief bei der absoluten Geburtenziffer, mit 9,7 Lebendgeborenen pro 1000 Einwohner die derzeit niedrigste «rohe> Geburtenrate weltweit.
Lesenswert!
DS
Deutschland, eine Nabelschnurschau
Hallo DS!
Ich kann den Link leider im Moment nicht öffnen. Deshalb nur kurz etwas dazu:
Zwar gab es kurz nach der Wende schon einmal eine Phase, in der die Geburtenrate in der ehemaligen DDR nur vom Vatikan unterboten wurde. Aber das war verständlich, wegen der unsicheren Aussichten damals. Die neuen
Negativrekorde will hingegen niemand mehr verstehen.
Ja, das ist ja auch völlig unverständlich. Trotz Massenerwerbslosigkeit und massiver Lohndrückerei in immer mehr Branchen gibt es tatsächlich immer noch viele Menschen, die es noch nicht aufgegeben haben, sich Gedanken über ihre Zukunft und die Zukunft ihrer möglichen Kinder zu machen. Die womöglich noch glauben, daß sie vielleicht noch mit einem zusätzlichen Teilzeitjob und einem Fernstudium nebenbei irgendwann in den nächsten Jahren genug Geld verdienen, um einem Kind später einen optimalen Start ins Berufsleben ermöglichen zu können. Und die nicht einfach fröhlich drauflos werfen und Kinder wie Orgelpfeifen in die Welt setzen, ohne sich darum zu kümmern, wo die denn später noch ihren Platz in der Gesellschaft finden könnten.
Aber dieses Problem wird sich auch bald lösen. Je mehr Menschen so weit in die Armut gedrückt werden, daß sie genau wissen, daß sie eh niemals mit legaler Arbeit auf einen grünen Zweig kommen, umso mehr wird die Geburtenrate steigen. Allerdings wird das kein einziges unserer Probleme lösen, eher im Gegenteil.
Freundliche Grüße
von Garfield