Die Schweizer Feministin Julia Onken begründete ihren Aufruf, im Referendum gegen den Bau von Minaretten zu stimmen, unter anderem damit, dass der Koran "frauenfeindliche und Frauen verachtende Regeln" vorschreibe, "z.B. die Verhüllung des ganzen Körpers, ausser Hände und Gesicht. Zwangsheirat. Ehrenmord. Züchtigung durch den Ehemann bei Ungehorsam."
Der Koran
Der Koran ist genauso wenig wie die Bibel ein Gesetzbuch oder Regelwerk, sondern vor allem eine Quelle der spirituellen Inspiration und ethischen Leitung für die Gläubigen. Wie alle als heilig angesehenen Bücher enthält er widersprüchliche und unverständliche Verse. Es finden sich in ihm sowohl frauenfeindliche wie frauenfreundliche Stellen. Auf die Interpretation kommt es an.
Da es im Islam keine den Vatikan vergleichbare Instanz gibt, die verbindlich festlegt, was unter Islam zu verstehen sei, wird die gesamte Geschichte des Islams vom Richtungsstreit der Gelehrten über die richtige Auslegung des Korans und seiner Verse begleitet. Auch eine wachsende Anzahl von islamischen Feministinnen bezieht sich in ihrem Kampf gegen patriarchale Strukturen in ihren jeweiligen Gesellschaften auf den Koran, indem sie die darin enthaltenen egalitären und emanzipatorischen Züge heraus arbeiten.
Im Koran stehen zum Thema Körperbedeckung nur zwei kurze uneindeutige Verse, die von Muslimen höchst unterschiedlich ausgelegt werden. Von Zwangsheirat und Ehrenmorden ist überhaupt nicht die Rede. Diese haben mit dem Islam nichts zu tun, sondern gründen in lokalen patriarchalen Traditionen. Der Vers, der tatsächlich die Züchtigung von Frauen durch den Ehemann erlaubt, wird nur von einer verschwindend geringen Minderheit der Gläubigen als buchstäbliche Handlungsanweisung betrachtet. Die Zurückweisung von Gewalt gegen Frauen hingegen ist die Regel.
Es gibt eine ganze Reihe von islamischen Rechtsgelehrten und Theoretikern, die sich für die Rechte der Frauen einsetzen. Der einflussreiche schiitische Ayatollah Muhammad Hussein Fadlallah im Libanon zum Beispiel verbietet, dass Ehemänner ihre Frauen schlagen und billigt letzteren das Recht zu zurückzuschlagen, falls diese es doch tun sollten. Zudem ist es ein Trugschluss, den Islam verkürzt mit dem Koran gleichzusetzen. Das Verständnis des Korans und die Auslegung seiner Verse ist eine so komplizierte Angelegenheit, dass sich dazu eine ganze Wissenschaft herausgebildet hat. Die Interpretationen haben sich im Laufe der Geschichte verändert und auch heute findet unter Muslimen eine lebhafte Debatte darüber statt, was der Islam sei. Um sich darüber zu informieren, was Muslime denken und wie sie zur "Frauenfrage" stehen, wäre es wesentlich sinnvoller, sich mit den Werken zeitgenössischer Autoren wie zum Beispiel denen des Schweizer Muslims Tariq Ramadan auseinanderzusetzen, als selektiv Koranverse herauszupicken.
Klischees an Stelle von Kenntnissen
Nicht auf der Basis von Kenntnissen wird meist über den Islam geurteilt, sondern auf der Basis von Klischees. Das Bild, das vom Islam aufgerichtet wird, hat wenig mit der Realität von etwa 1,3 Milliarden unter ganz verschiedenen gesellschaftlichen Bedingungen lebenden Musliminnen und Muslimen weltweit zu tun. Der Islam ist kein monolithischer Block, sondern im Gegenteil eine vielfältige und dynamische Religion, die so gegensätzlich Phänomene wie das wahabitische Königreich Saudi-Arabien mit seiner tatsächlich frauenfeindlichen Islam-Interpretation und die matriachalen Minangkabau auf West-Sumatra umfasst. Auch die Minangkabau-Frauen tragen ein Kopftuch, ohne dass dies ihre zentrale gesellschaftliche Position beeinträchtigt hätte.[1]
Die immergleichen Klischees, die gegen die Islam und die Muslime ins Feld geführt werden, setzen sich aus Vorurteilen, Halb- und Unwahrheiten sowie dem Aufbauschen und Verallgemeinern marginaler Erscheinungen zusammen. Diejenigen, die diese Klischees verbreiten, wissen es entweder nicht besser oder betreiben gezielte Desinformation; diejenigen, die sie begierig aufgreifen, werden von Vorurteilen und allzu oft auch von einem latenten oder offenen Rassismus geleitet. Es ließe sich auch sagen: Der Kampf der "Islamkritiker", wie sie sich selbst gerne nennen, gilt einem Islam, den sie selbst erfunden haben oder anders: Sie haben sich den Islam so hergerichtet, wie sie ihn brauchen, um auf ihn einschlagen zu können.
Der Rest ist feministischen Gewäsch über das böse Patriarchat im Westen...
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Wer gegen Monster kämpft, muss achtgeben, nicht selbst zum Monster zu werden - Nietzsche