Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 2 - 21.05.2006 - 25.10.2012

233.682 Postings in 30.704 Threads

[Homepage] - [Archiv 1] - [Archiv 2] - [Forum]

Frauenwünsche, Frauenwut

DschinDschin, Friday, 10.11.2006, 18:30 (vor 6966 Tagen)

Aus Zeit online Die Zeit

Wie Alice Schwarzer mich beinahe zum Weinen brachte. Oder: Wo die Frauenbewegung noch viel zu tun hat Susanne Mayer

Wie lammfromm darf eine Frau sein? Wie ergeben wünscht sich Alice Schwarzer ihre Fans? Wie demütig müssen Leserinnen sein, um ihr durch ein ganzes Buch nachzutrotten, um dann auf Seite 266 der einzig wichtigen, der wirklich entscheidenden Frage zu begegnen: "Welche angemessene Form könnte eine Frauenbewegung des 21. Jahrhunderts haben?" Jetzt aber los!

Ach. Buch ist ja fast schon zu Ende.

Da ist man also Seite um Seite durch die Geschichte der Frauenbewegung gewatet, hat sich wieder und wieder vom Skandal der Pornografie schockieren lassen, Details angehört über die embryonale Entwicklung von Vagina und Penis, Sätze ertragen wie "Frauen sind das gefolterte Geschlecht", die Augen brav niedergeschlagen, als die Veteranin mal wieder über Wie-ich-im-stern-die-218-Kampagne ... schwadroniert, und das Buch auch nicht in den Müll gestopft nach Geschmacklosigkeiten wie dieser: "Wer Pampers wechselt, hat keine Missbrauchs-Fantasien." Weil, da kommt doch bestimmt noch was. Oh, man könnte weinen.

Pippi Langstrumpf in natura, Hilfe!

Jetzt keine falschen Erwartungen. Ein Alice-Schwarzer-Bashing ist leicht zu haben. Watschen für Alice Schwarzer werden freigebig verteilt, weil viele sie immer noch mit einer Schärfe hassen, als sei da etwas ganz Gefährliches auf Freigang. Wie damals, als sie eine ganze Generation in die Erregung hochpeitschte mit ihrem Buch Der kleine Unterschied und alle mit heißer Leidenschaft über Genuss und die Liebe stritten. Wie früher, als diese Frau - so frech, so unverschämt und immer auch besonders witzig - plötzlich als neues Rollenmodell auftrat, Pippi Langstrumpf in natura, Hilfe!

Bitte auch keine falsche Friedensbotschaft erhoffen. Der Kampf der Frauen "um die Hälfte der Welt", wie Alice Schwarzer etwas glatt formuliert, ist nicht gewonnen. Kleiner Augentest: Wie viele Frauen sitzen im Vorstand der hundert größten börsennotierten Unternehmen dieses Landes und wachen über das große Geld? Natürlich keine, nicht eine einzige! Und jetzt: Wer sitzt auf dem Spielplatz und beäugt die Kleinen? Na? Für Blinde haben wir einen Rechentest: Wenn ein Rentner 2020 Mark bekommt und seine Frau, die partnerschaftlich die gemeinsamen Kinder versorgt hat, 614,32 Mark Rente, wie viel kriegt er zu viel und sie zu wenig?

Und wer sitzt auf der Straße. Und wer sitzt ohne Obdach. Und wer übt die schmutzigen und gefährlichen Arbeiten aus. Und wer stirbt früher. Und wer bevölkert die Gefängnisse. Und wer übt Suizid. Susannchen, Du hast einen Knick in der Optik. Die Hälfte des Himmels aber dann auch die Hälfte der Hölle. Nur im Doppelpack ist das zu haben.
Über 70% der Kaufkraft in Deutschland verfügen die Frauen. Was Susannchen nicht bedenkt, dass es sich bei der Rente der Beiden um eine gemeinsame Rente handelt, oder nicht?

Nein, wir können der Kollegin Ursula März nicht zustimmen, die neulich in der Frankfurter Rundschau schon"Vorzeichen der greifbar nahen Zukunft" für die Gleichberechtigung ausmachte und deshalb Alice Schwarzer für erledigt hält: "Vor der Dynamik, mit der sich der Feminismus als Regel der Realpolitik durchsetzt, verblassen die Benachteiligungen, die Frauen gegenüber Männern erfahren oder erleiden, mehr und mehr zu Ausnahmen." Sofern man die Trennung von seinem Typ überlebt, möchte man ergänzen (und mit Alice Schwarzer empfehlen, mal ein Auge auf die Zeitungsseite "Vermischtes" zu halten: ein Mord pro Tag kommt vor). Sofern eine Frau sich nicht entschlossen hat, eine Professur in Gynäkologie zu erringen, Frauenheilkunde von Frauen, ein Skandal! Oder gar ihre Kinder selber zu erziehen, na dafür büßt sie bis zum Tode! Hohn statt Lohn. Und ausgerechnet Angela Merkel soll als Schwalbe herhalten, die einen Frühling ankündigt? Da sind aber schon viele Schwalben vorbeigeflogen, Maggie Thatcher, Katharina die Große, ohne den Rest der Weiblichkeit gleich mit in den Himmel zu reißen.

Wenn die Lektüre des Buches von Alice Schwarzer eines lehrt, dann dies: Wie Frauen wichtige Themen übersehen und die falschen Fährten verfolgt haben. Eine kluge Journalistin und scharfsinnige Frauenrechtlerin wie Alice Schwarzer erweist sich als unfähig, eine Revue der letzten 30 Jahre zu nutzen, um selbstkritisch nach Schwächen zu fahnden und diese Analyse als Schwungrad für eine korrigierte Strategie zu nutzen. Aus der Fülle der Einwände, die sich aufdrängen, nur diese:

1. Die Gleichberechtigung habe im Wesentlichen nur die Gedanken verändert und nicht die Zustände, sagt Schwarzer und hat im Wesentlichen Recht. Wahr ist aber auch: Nicht einmal der wachsende Anteil der Frauen an der Berufswelt geht voll aufs Konto der Frauenbewegung. Es war die Bildungsexplosion der sechziger und siebziger Jahre, die Frauen über das Puddingabitur hinaus an die gymnasiale Oberstufe und in die Seminare der Universitäten katapultierte. Nicht nur Frauen: auch Metzgersöhne, Handwerksburschen. Die Märkte, damals noch als kapitalistisches Feindesland gescholten, brauchten qualifizierte Arbeitnehmer.

Es fehlt ein ganzes Universum: Das der Frauen

Trotzdem schön. So gelangten viele Frauen in Positionen, von denen ihre Mütter nie ge- wagt hätten zu träumen. Mag sein, dass sie da gelegentlich gleichberechtigt auftreten. Aber Gleichberechtigung will mehr als den Zutritt zur Welt der Lohnarbeit. Gleichberechtigt heißt: Beide Seiten des Lebens - die Lohnarbeit wie der Schattenbereich der so genannten privaten Reproduktion: Haushalt und Kinder - sind gleichermaßen berechtigt im Anspruch auf unsere Achtung und eine Auszahlung aus den Sozialversicherungskassen. Man könnte sagen, viele Frauen haben einfach die Seite gewechselt. Nun arbeiten Männer, die so tun, als hätten sie keine Kinder, neben Frauen, die zunehmend keine Kinder haben. Auf Kosten derer, die zu Hause sind, natürlich. Und der Preis? Da wird so rumgemurmelt, selbst bei Alice Schwarzer, jaja, da gebe es irgendeinen Preis, den frau gezahlt habe, bloß nicht näher nachdenken. Um es mal so zu formulieren: Auch Alice Schwarzer ist ein Mann: Sie profitiert von Arbeit, die Mütter für diese Gesellschaft unentgeltlich leisten.

2. Im Zentrum der Gesellschaft, argumentiert Schwarzer, stehe die Gewalt des Mannes gegen die Frau. Ohne da irgendetwas verharmlosen zu wollen, wie sollte man es auch harmlos reden können, dass in so einer tollen deutschen Kulturnation in jedem Jahr geschätzte 50 000 Frauen sich vor ihren Männern in Schutzhäuser flüchten müssen (ihr Pech, dass sie nicht von Glatzen verprügelt werden, da gäbe es mehr öffentliche Beachtung). Aber prügelnde Männer konzentrieren sich keineswegs wie Schwarzer auf Frauen, es leiden auch Kinder, gelegentlich ihre Eltern, nicht selten andere Männer. Und ohne den vergewaltigten Frauen von Bosnien das Mitgefühl zu versagen - wollen wir ihr Elend mit dem Abschneiden von Hoden oder dem Fußballspielen mit Männerköpfen am Ufer der Drina in eine Rankingliste sortieren? Mit Blick auf zu Tode gefahrene Menschen oder rauchende Berge von Rinderkadavern scheint es geradezu verniedlichend, Gewalt als Frauenproblem zu präsentieren.

3. Dem Thema Sexualität widmet Alice Schwarzer 138 von 290 Textseiten. Wer mag da noch jammern, dass der Mann die Frau zum Sexualobjekt reduziert? Schwarzer trägt im Klageton vor: Prostitution, Abtreibung, Frauenmord. Und natürlich die Spitze des Penis im Vergleich zur Fläche der Klitoris, als ginge es um die ewige pubertäre Frage, wer das größte, schärfste Ding hat. Da merkt man, was fehlt: der Spaß zum Beispiel, den Frauen haben, übrigens auch mit Männern, in den hier als "Zwangsheterosexualität" verhöhnten Beziehungen.

4. Es fehlt ein ganzes Universum: das der Frauen. Und das ist vielleicht das Erstaunlichste an diesem Schwarzer-Buch: Überhaupt nicht in den Blick kommt das große Spektrum an nichtsexuellen Beziehungen, die das weibliche Leben auch ausmachen - die Freundinnen, die Nachbarn, das komplexe Geflecht des Networking, da fehlen natürlich die Kinder. Schockierend: Ausgerechnet die Sphäre des weiblichen Lebens, die in Männergesellschaften nichts zählt, wird auch bei Schwarzer ignoriert, bestenfalls verächtlich kommentiert.

Wer sagt denn, dass das Kinderkriegen in Männergesellschaften nichts zählt? Dummes Geschwätz! Gerade patriarchalische Gesellschaften haben ein besonders inniges Verhältnis zu den Kindern. Die Kinder sind der Stolz des Patriarchen, seine Augäpfelchen. Wer das Kinderkriegen madig gemacht hat, das sind die Feministinnen.

Verbissen starrt Schwarzer auf das Dogma von der Gleichheit zwischen Mann und Frau und sieht nicht, was offensichtlich ist: dass Frauen und tatsächlich nur Frauen eine besondere Beziehung erfahren können - die zu einem anderen Menschen, der in ihnen herangewachsen ist und aus ihrem Körper hervorgeht in einem Ereignis, das sich die meisten Frauen (hier bitte mal herhören, Alice!), die meisten Frauen wünschen und das viele als die Zäsur ihres Lebens erfahren. Als Glück. Oh je, oh je, darf man das überhaupt sagen? Na, da kommt natürlich gleich die schlimmste aller Verdächtigungen: "Mystifizierung" der Mütterlichkeit! Emanzipation: 6! Noch infamer, die Verhöhnung mit "Mutterkreuz", mit der Mütter, die sich für ihre Kinder engagieren, in die Nähe der menschenverachtenden Nazis gerückt werden. Ausgerechnet. Statt über Kinderglück wirklich nachzudenken, ist es Schwarzer lieber, wenn eine "Anna" sich bei ihr darüber ausheult, dass ihr zweites Kind ein Fehler war.

A bisserl mutterzentriert is des scho, Susanne, net wohr.

Frauen hätten weniger zu jammern, wären die Schwestern in den vergangenen Jahrzehnten dazu gekommen, sich nicht nur um die Erlaubnis zur Abtreibung zu kümmern, sondern auch um die Bedingungen, unter denen Frauen und Männer und Kinder gut zusammenleben können: reduzierte Arbeitszeiten, Muße, finanzielle Absicherung - ein Brachland, das die Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts hinterlassen hat. Bitter die Erkenntnis, dass Frauen vielleicht auch deshalb heute noch so oft in der Opferposition landen, weil sie gezwungen sind, sich in ungesicherten Verhältnissen einzurichten.

Männer mussten sich schon immer in ungesicherten Verhältnissen einrichten und diese dann durch Arbeit meistern. Es waren die Frauen, die dann von den Sicherungsleistungen der Männer profitiert haben. Nur ist dieser Sicherheit eben nur im Paket mit dem dazugehörenden Mann zu haben. Aber nein, heute gibt es ja Papa Staat, der den Muttchen ein gemütliches Nestchen für die Bastarde baut, die sich Muttchen zusammengefickt oder vom Vater gestohlen hat. Susanne, Susanne, so wird dat nüt.

Womit klar wäre, was das Thema einer Frauenbewegung für das 21. Jahrhundert ist.

Ja, nämlich Bewegung. In die Hände spucken, Power zeigen. Nicht nölen und jammern. Malochen, malochen, malochen.

--
Barbarus hic ergo sum, quia non intellegor ulli.

Frauenwünsche, Frauenwut

Salvatore Ventura @, Berlin, Friday, 10.11.2006, 19:16 (vor 6966 Tagen) @ DschinDschin

Bei aller Kritik gibt es dennoch ein paar gute Ansätze.

Frauenwünsche, Frauenwut

Kondor, Saturday, 11.11.2006, 02:46 (vor 6966 Tagen) @ Salvatore Ventura

Bei aller Kritik gibt es dennoch ein paar gute Ansätze.

Sie mußte ja auch schon Ende 1998 mit dem Nachdenken anfangen:

Hier

powered by my little forum