Standardargument: Frauen und Kinder
Frauen leisten durch Kinderkriegen und Kindererziehung einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft, die kein Mann leisten muss. Daher ist eine Wehrpflicht nur für Männer gerechtfertigt. Eine Ausweitung auf Frauen wäre eine Frechheit.
Entgegnung:
Hier wird ein Recht mit einer Pflicht verglichen,
Ich würde sogar sagen, dass hier eine biologische Möglichkeit mit einer Pflicht gleichgesetzt wird.
Evolution 1: Anzahl Wehrpflichtige = Anzahl Frauen mit Kindern
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Ungerechtigkeit auch unter den Männern sieht man sich gezwungen, die Argumentation zu modifizieren. Es ergibt sich eine Mischung aus dem Standardargument und einem Pseudoargument. Das Argument sieht dann so aus:
Nicht jeder Mann wird gezogen, in Summe entspricht die Anzahl aber in etwa der Anzahl der Frauen, die Kinder gebären.
Entgegnung:
Der Logikfehler aus dem Standardargument bleibt unsaniert. Dass die Anzahl der wehrpflichten Männer zufällig, und nichts anderes als Zufall ist es, der Zahl der gebärwilligen Frauen entspricht, sagt rein gar nichts aus.
Der eigentliche Logikfehler in Evoluion 1 ist, dass dort der Begriff des Grundrechtes verkannt wird. Dass nämlich der Träger des Grundrechtes ausschließlich das einzelne Individuum ist, und nicht ein wie auch immer geartetes Kollektiv. Das Gleichheitsgrundrecht bedeutet, dass ein einzelner Bürger nicht (ohne sachlichen Grund) vom Staat rechtlich besser oder schlechter gestellt werden darf, als ein anderer Bürger, nur weil er ein anderes Geschlecht hat als dieser. Deshalb haben "die Frauen" auch nicht das Recht, vom Wehrdienst freigestellt zu werden, weil "die Frauen" Kinder gebären und "die Männer" nicht.
Zur Verdeutlichung: Man dürfte auch nicht einführen, dass "die Frauen" genausoviel Steuern abführen müssen wie "die Männer" - also jeweils zusammengerechnet. Aus oben genanntem Grund.
Evolution 3: Justiztricks
Offensichtlich kann man den Leuten den Unfug mit "Frauen und Kindererziehung" nicht mehr verkaufen, weil immer weniger darauf reinfallen..
Stattdessen wurde jetzt etwas vollkommen Neuartiges erfunden: das Prinzip des Verfassungsranges.
Demnach ist die Wehrpflicht für Männer eine Bestimmung im Range eines Verfassungsartikels. Ebenso wie bspw. der Verbot von Zwangsdiensten oder die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Da diese Artikel den gleichen Rang besitzen, dürfen sie nicht gegeneinander verwendet werden, auch wenn sie sich widersprechen.
Dieses allerdings ist keineswegs neu, sondern das älteste der Argumente. Es stammt tatsächlich vom Bundesverfassungsgericht, und dass es falsch ist, habe ich im Vorgängerforum schon mal geschrieben:
Grundgesetz, Spiegeleitheorie und Wehrpflicht ? das BVerfG zum Art 12a GG
Ich möchte hier mal die Meinung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) zur Verfassungsmäßigkeit der Männerwehrpflicht darstellen, wobei ich aber gleich betonen will, dass ich diese Meinung nicht teile.
I. Gesetzestext
Zunächst brauchen wir ein paar Normen aus dem Grundgesetz (GG):
Artikel 1
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Artikel 3
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, [?] benachteiligt oder bevorzugt werden.
Artikel 12
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
Artikel 12a
(1) Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.
(4) [?] (Frauen) dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden.
Artikel 79
(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche [?] die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.
II. Art 12a I GG als lex specialis zu Art 3 II GG
Der Art 12a I GG ist eine speziellere Norm, auf Latein "lex specialis", und verdrängt in seinem Bereich die allgemeinere Norm Art 3 II GG.
Das ist eine normale Gesetzestechnik, die überall verwendet wird. Z. B. bestimmt § 195 BGB dass Ansprüche regelmäßig nach 3 Jahren verjähren. Nach § 438 BGB verjähren Ansprüche wegen Mangelhaftigkeit einer Kaufsache in 2 Jahren. ?Was denn nu??? möchte man fragen. Aber es ist einfach: § 438 hat mehr Voraussetzungen, also den engeren Anwendungsbereich und ist daher lex specialis zu § 195 BGB und geht daher in seinem Anwendungsbereich vor. Ist auch logisch, der Gesetzgeber hat sich wohl etwas dabei gedacht, als er neben der allgemeinen Norm noch die Spezialregelung schuf. Die allgemeineren Regeln werden auch gerne als Auffangnormen beschrieben, da sie die Fälle regeln sollen, die zwischen den Lücken der besonderen Regeln hindurch fallen. Der Gesetzgeber kann und soll schließlich nicht alles bis ins Letzte regeln.
Aber ?lex specialis? ist natürlich nur ein rein gesetzestechnischer Begriff, der Verhältnis und Vorrang sich überschneidender Normen beschreibt. Er sagt aber nichts darüber aus, ob dies auch rechtmäßig ist.
III. Die Einschränkung von Grundrechten
Art 3 II GG ist ein Grundrecht. Offensichtlich bricht Art 12a I GG dieses Grundrecht. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit der Gesetzgeber ein Grundrecht einschränken darf.
Es gibt Grundrechte, die haben einen sogenannten Gesetzesvorbehalt. Da steht dann z. B.: ?Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden.? Das ist bei Grundrechten der Fall, bei denen von vorneherein klar ist, dass sie zu weit sind, und ein Bedürfnis nach staatlicher Regelung besteht.
Die Berufsausübungsfreiheit wird z. B. in Art 12 I GG geschützt. Das bedeutet, dass der Metzger selbst entscheidet, wie er seinen Leberkäse zubereitet. Die Freiheit der Leberkäsezubereitung ist vom Grundgesetz geschützt. Aber es gibt auch die Notwendigkeit, hier bestimmte Regeln einzuführen, damit der da keine rostigen Nägel reintut. Daher darf der Gesetzgeber in gewissen Grenzen doch regeln, was da so drin sein darf und muss, damit es als genießbarer Leberkäse verkauft werden kann.
Aber darf der Gesetzgeber die Berufsausübungsfreiheit des Metzgers soweit einschränken, dass von ihr nichts mehr übrig bleibt? Nein, denn: Die Würde des Metzgers ist unantastbar. Sie zu achten ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, weshalb der Staat die Grundrechte im Grundgesetz normiert hat. Die Grundrechte sind nichts anderes als Versatzstücke der Menschenwürde. Jedes Grundrecht hat einen Menschenwürdekern, den auch der Gesetzgeber nicht antasten darf.
Die Menschenwürde unseres Metzgers schützt auch die Leberkäsezubereitungsfreiheit. Aber wo fängt die Würde des Menschen an? Viele Leute verwechseln die Würde in Art 1 I GG mit Ehre, oder gar mit einem würdevollen Verhalten. (In einem anderen Forum schrieb neulich eine Posterin, ihr Pudel habe mehr Würde als die meisten Menschen.) Es geht aber nicht um einen selbstbewussten Gang und eine stolzgeschwellte Brust. Und persönliche Ehre ist nur ein Teil der Würde. Mit Würde ist der Wert des Menschen gemeint, der ihm durch schlichtes Menschsein zukommt, der allgemeine Eigenwert, der dem Menschen kraft seiner Persönlichkeit zukommt. Jeder Mensch ist ein Subjekt, und nicht bloßes Objekt. Wo seine Subjektsqualität verneint wird, wo er zum bloßen Objekt staatlichen Handelns wird, ist seine Würde verletzt.
Zugegeben, diese Beschreibungen bleiben auch etwas vage. Aber mit dem letzten Satz lässt sich zumindest etwas anfangen. Wenn die Berufsregeln des Metzgers ihm bis ins Letzte vorschreiben, wie er die einzelnen Wurstsorten zuzubereiten hat, ihm 15 Wurstsorten vorschreibt, welche er anzubieten hat und keine sonst und ihm auch den Preis vorschreibt, dann ist er nur noch ein Roboter, der staatliche Lebensmittelrichtlinien ausführt. Er ist zum Objekt staatlichen Handelns geworden, seine Würde ist spätestens dann verletzt. Das Fleischerleben macht halt einfach mehr Laune, wenn man mal ganz spontan einen Hauch Majoran in den Leberkäse mischen kann.
Jedes Grundrecht trägt also einen Menschenwürdekern, der nicht verletzt werden darf. Man spricht hier auch flapsig von der Spiegeleitheorie: Das Grundrecht ist wie ein Spiegelei, mit einem äußeren Bereich, dem Eiweiß, und einem Kern, dem Eigelb. Im Eiweiß darf der Gesetzgeber nach Herzenslust rumschneiden, da kann nichts passieren. Kommt er aber ans Eigelb, dann platzt es, und man hat die Sauerei. Rührei, wie unappetitlich.
Aber es soll ja eigentlich nicht um Schlachter, sondern um Schlächter gehen. Der Art 3 II GG kennt keinen Gesetzesvorbehalt. Und das bedeutet, dass der (einfache) Gesetzgeber auch nicht an ihm rumschnibbeln darf. Aber es gibt hier, wie so oft, ein aber. Ich schrieb der einfache Gesetzgeber, und damit meine ich den Bundes- und Landesgesetzgeber. Will sagen: durch normale Bundesgesetze oder Landesgesetze darf ins Grundrecht Art 3 II GG nicht eingegriffen werden. Also muss man das Grundgesetz selbst ändern.
Und so ist es gemacht worden. Neben dem Art 3 II GG wurde der allseits beliebte Art 12a I GG aufgenommen. Beide stehen im GG, sind also grundsätzlich gleichrangig, Art 12 a I GG ist als lex specialis aber in seinem engen Bereich vorrangig.
So, sind wir damit fertig? Nein, natürlich nicht. Denn es gibt ja noch die ?
IV. Ewigkeitsgarantie des Art 79 III GG
Die in Art 1 GG geregelten Grundsätze (und ein paar andere) können noch nicht einmal durch eine Grundgesetzänderung geändert werden. In die Menschenwürde darf auch der Verfassungsgesetzgeber nicht eingreifen.
Und hier kommen wir auf Umwegen wieder zur Spiegeleitheorie. Denn die Menschenwürde wird ja, wie gesagt, durch die Grundrechte näher ausgestaltet und geschützt. Die Grundrechte sind Versatzstücke der Menschenwürde. Im äußeren Bereich des Grundrechtes darf der Verfassungsgesetzgeber sich weite Freiheiten nehmen, aber im Kernbereich, dem Menschenwürdekern, dem Eigelb, ist ein Eingriff immer unzulässig. Selbst durch Änderung des Grundgesetzes. Es ist also durchaus verfassungswidriges Verfassungsrecht denkbar.
V. Verletzt Art 12a I GG die Würde des Menschen?
Das ist nun die Frage die sich stellt, und zu der sich gewiss viel vertreten lässt. Denn Art 3 II GG hat natürlich auch einen Menschenwürdekern, der unverletzlich ist.
Wie grenzt sich dieser ab? Hier stößt man auf ein echtes Problem. Die Definition der Menschenwürde funktioniert bei Ungleichbehandlung nicht. Denn wie war das doch gleich wieder? Mit Würde ist der Wert des Menschen gemeint, der ihm durch schlichtes Menschsein zukommt, der allgemeine Eigenwert, der dem Menschen kraft seiner Persönlichkeit zukommt. Jeder Mensch ist ein Subjekt, und nicht bloßes Objekt. Wo seine Subjektsqualität verneint wird, wo er zum bloßen Objekt staatlichen Handelns wird, ist seine Würde verletzt. Jetzt könnte man natürlich durchaus sagen, Wehrpflicht mache den Bürger zum reinen Objekt, weil die Beschneidung seiner Freiheit zu stark sei: Seine allgemeine Handlungsfreiheit, die Freiheit der Person, seine Freizügigkeit, die Freiheit der Berufsausübung und das Petitionsrecht werden stark eingeschränkt. Da die Wehrpflicht eine Naturalsteuer von 100 % ist, wird auch das Eigentumsgrundrecht eingeschränkt.
Diese Argumentation hilft hier aber nicht weiter. Themaverfehlung! Denn wir fragen hier nach dem Menschenwürdekern des Gleichberechtigungsrechtes, Art 3 II GG, nicht nach anderen Grundrechten. Die Definition funktioniert nur bei Freiheitsrechten, nicht bei einem Gleichheitsrecht. Denn die Frage lautet hier ja: Warum Männer, aber Frauen nicht? Ich gehe deswegen im folgenden davon aus, dass der junge Mann, dadurch dass er zum Bürger in Uniform gemacht wird, nicht an sich zum Objekt staatlichen Handelns wird, sein Wert als Mensch nicht verneint wird.
Aber wie schützt das Gleichbehandlungsgebot die Menschenwürde? Warum gehört es nicht nur zu meiner Würde, dass ich sagen kann: ?Staat, lass mich in Ruhe!? sondern auch dass ich sagen kann: ?Staat, wenn Du mich schon belästigst, dann doch bitte nicht nur mich, sondern alle gleich!?
Nun, ich konnte zur Abgrenzung des Menschenwürdekerns der Gleichheitsgrundrechte nichts finden, ich weiß nicht, ob es da eine Formel gibt. Die Standardkommentare geben nichts her.
Allerdings wäre dann doch eine Verletzung der Würde immer ausgeschlossen, wenn der Eingriff nicht auch den Menschenwürdekern eines anderen Grundrechtes verletzt. Eine Steuererhöhung von 5 % verletzt z. B. sicher nicht die Menschenwürde. Was aber, wenn mit Zweidrittelmehrheit beschlossen wird, den Satz: ?Rothaarige zahlen einen Zuschlag zur Einkommensteuer von 5 %.? ins GG zu schreiben? Diese offenkundige Ungleichbehandlung wäre dann rechtmäßig. Das kann aber nicht sein. Auch das Gleichheitsgrundrecht muss einen Menschenwürdekern haben. Spiegeleier ohne Eigelb gibt?s nicht. Das befiehlt die Grundrechtsdogmatik.
Wenn aber Gleichheitsrechte überhaupt einen Menschenwürdekern haben sollen, dann muss dieser Kern hier m. E. verletzt sein. Und zwar wegen der Tiefe des Eingriffs. Hier kommt wieder der enorme Eingriff in die Freiheit des männlichen Bürgers ins Spiel. Ein solch tiefer Eingriff muss einfach auf alle Schultern verteilt werden. Sonst wird Gleichberechtigung zur Makulatur. Ein tieferer Eingriff in die Rechte des unbescholtenen Bürgers ist kaum vorstellbar: eine neunmonatige Arbeitspflicht, in der das Leben des Soldaten zur Disposition stehen kann und er zum Töten gezwungen werden kann. In der er am untersten Ende einer Hierarchie steht, die auf Befehl und Gehorsam beruht und ihn zum Gehorsam verpflichtet.
Wenn so etwas Entwürdigendes schon zwingend sein muss, dann muss es aber auch für alle gelten.
VI. Die Meinung des Bundesverfassungsgerichtes
Ich bin ein bisschen vom Thema abgekommen, denn ich wollte die Meinung des BVerfG darstellen, habe jetzt aber meine eigene gezeigt.
Das BVerfG hat meiner Meinung nach noch gar nicht richtig zu diesem Themenkomplex Stellung genommen. Es hat lediglich entschieden, dass Art 12a I GG und Art 3 II GG ranggleich sind und Art 12a I GG als gleichheitsrechtliche Sondernorm eben hier vorgeht.
Hierzu BVerfGE 12, 45 [52 f. Rn. 22]:
?Daß die Beschränkung der Wehrpflicht auf männliche Bürger keinen Verfassungsverstoß darstellt, braucht im Hinblick auf Art. 12a Abs. 1 und Abs. 4 GG nicht näher dargelegt zu werden. Diese Bestimmungen haben gleichen verfassungsrechtlichen Rang mit Art. 3 Abs. 2 und 3 GG; sie wären somit - selbst als Ausnahmeregelung - gerechtfertigt, wenn man, was nicht entschieden zu werden braucht, in der Wehrpflicht für Männer eine "Benachteiligung" im Sinne des Art. 3 Abs. 3 GG zu sehen hätte.?
Diese Begründung ist offenkundig unzureichend, das BVerfG hätte mindestens auf die Ewigkeitsgarantie in Art 79 Abs. 3 GG eingehen müssen.
Verfahren hierzu hat es in jüngerer Zeit immer als unzulässig zurückgewiesen.
Gruß,
Daddeldu