Parteitag der SPD in Nürnberg, 25.-29.8.1986
Parteitag der SPD in Nürnberg, 25.-29.8.1986
Grundsatzprogramm der SPD - Entwurf der Programmkommission
Die Forderung nach gesellschaftlicher Gleichheit von Mann und Frau ist seit 1875 - sehr offensiv 1891 und 1925 - Inhalt sozialdemokratischer Programmatik. Das Godesberger Programm paßt sich - aus welchen Gründen auch immer - den gängigen Rollenvorstellungen der Adenauer-Ära an, und verweist bei formaler Aufrechterhaltung der Gleichheitsforderungen Frauen in eine besondere familienabhängige Rolle.
Der Orientierungsrahmen '85 nimmt dann die Gleichstellungsforderung wieder auf. Wenn im Programmentwurf die gesellschaftliche Gleichheit von Frau und Mann zu einem zentralen Punkt gemacht wird, so knüpfen wir an die sozialdemokratische Programmtradition, aber wir gehen auch auf ein geändertes Lebensgefühl von Frauen und Männern in unserer Gesellschaft ein, das nicht nur in der Frauenbewegung, sondern in veränderten Lebensformen vieler Menschen seinen Ausdruck findet.
Anders als die Sozialdemokraten vor 100 Jahren, die in der Tradition der Aufklärung die Gleichstellung von Mann und Frau vertraten, sind wir uns bewußt, daß die gesellschaftliche Gleichheitsforderung - wenn sie denn nicht nur Lippenbekenntnis bleiben soll - eine Umgestaltung des gesamten Lebens bedeutet und vor allem von uns selbst gelebt werden muß. Zwar brachte es schon der Aufklärer Montesquieu zu der Einsicht:
"Die Herrschaft, die wir über die Frauen haben, ist eine wahre Tyrannei."
Aber die Ideen zur Emanzipation solcher Aufklärer wie Montesquieu, Voltaire und Diderot endeten ebenso wie letztlich bei August Bebel in einem ungelösten Widerspruch zwischen dem theoretisch als richtig erkannten Anspruch auf Gleichheit und Emanzipation und den eigenen Lebensvorstellungen. Wenn Voltaire von der Neigungsbestimmtheit der Frauen im Unterschied zur Eigennützigkeit und Erfolgsorientiertheit der Männer schwärmt, wenn er ihre Sanftheit und moralische Stärke lobt und von der Verderbnis der Männer durch die Berufswelt spricht, so wird der Widerspruch ebenso deutlich wie bei August Bebel, der in seinem Buch: "Die Frau und der Sozialismus" fordert "Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter", aber gleichzeitig in seinen Memoiren seine "liebevolle, hingebende und allzeit opferbereite" Frau und die bei der Familie Bebel selbstverständliche Rollenteilung zur Voraussetzung seiner eigenen Lebensentfaltung macht.
Die Mitglieder der Programmkommission waren sich einig, daß die formale Deklaration gesellschaftlicher Gleichheit nicht mehr ausreicht für eine glaubwürdige Vertretung der Emanzipation der Geschlechter.
Wenn als Ziel festgehalten wird:
"Wir wollen Menschen, Frauen und Männer, die gleich, frei und solidarisch erzogen, sich allen Bereichen der gesellschaftlichen Arbeit und des gesellschaftlichen Lebens widmen und denen nach Haus- und Erwerbsarbeit Zeit und Kraft bleibt für gesellschaftliches Engagement, für sportliche und kulturelle Tätigkeit", dann wird mit dieser Zielvorgabe auch eine grundsätzlich andere Lebensperspektive für Männer und Frauen angestrebt. Eine Lebensperspektive, die Frauen seit langer Zeit vertreten.
Hier zeigt sich die Veränderung gesellschaftlichen Bewußtseins seit der Verabschiedung des Orientierungsrahmens 1975 - daß es nicht darum geht, Frauen als "defizitäre" Menschen auf den erstrebten Entwicklungsstand der Männer zu heben, sondern, daß es darum geht, die Defizite der männlichen und weiblichen Lebensbedingungen und Lebensformen zu überwinden - zum Nutzen von Männern und Frauen. So ist die Forderung nach einer Aufhebung der Spaltung zwischen "männlicher" und "weiblicher" Welt zu verstehen.
"Wir wollen eine Gesellschaft, in die Menschen sich unbefangen mit Verstand und Gefühl einbringen können. Damit wird jedem einzelnen Menschen ein größerer und freierer Spielraum zur Entwicklung und zum Ausdruck der eigenen Individualität gegeben." Der häufig in den Zeitungen zitierte Satz "Wer die menschliche Gesellschaft will, muß die männliche Gesellschaft überwinden." zeigt an, daß es um die Überwindung der eigenen Lebensgewohnheiten geht, zu denen auch die eigene Bequemlichkeit gehört. Kaum eine unserer Zielvorstellungen können wir so unmittelbar in die Praxis umsetzen wie diese, wenn wir sie denn selbst leben, in unserer Partei und in unseren Familien. Das heißt nicht, die gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen vernachlässigen; aber eine Volkspartei wie die SPD, die in ihren eigenen Reihen die Gleichheit von Mann und Frau verwirklicht, ist in der gesellschaftlichen Durchsetzung der Gleichstellung für Frauen nur schwer aufzuhalten. Selbst gelebte Politik wird hier zum wichtigsten Bestandteil politischer Aktion.
Quelle, S. 10-11
Da hat man also einen ungelösten Widerspruch zwischen dem theoretisch als richtig erkannten Anspruch auf Gleichheit und Emanzipation und den eigenen Lebensvorstellungen festgestellt. Und da müssen die Sozis eben die realen Lebensvorstellungen der Menschen an das theoretisch als richtig Erkannte anpassen. Dieses Schmonsens scheint die Sozis schon sehr lange umzutreiben und nicht erst seit dem Hamburger Parteitag.
"Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter", das hat Simone de Beauvoir dann vom guten August Bebel abgeschrieben und in ihrem Buch "Das andere Geschlecht" mit ihrer Unterschrift versehen. Braucht es noch mehr Beweise, dass der Feminismus ein sozialdemokratisches Wechselbalg ist?
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