Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Lieber Michael, was ist "wissenschaftliches" Arbeiten?

Mus Lim ⌂, Tuesday, 14.02.2012, 17:29 (vor 4426 Tagen)

Michael hat letztens uns nahezubringen versucht (hier, hier und hier), warum Hinrich Rosenbrocks "Expertise" unwissenschaftlich sei.

Ich finde es rührend, wie Michael versucht, die wissenschaftlichen Ideale hochzuhalten. Das meine ich absolut nicht spöttisch.

Die Frage ist aber, wie es außerhalb Michaels Utopia aussieht, im realen wissenschaftlichen Betrieb, in der Feminismus (Women's Studies) und Geschlechtergleichschaltung (Gender Studies) als seriöse Wissenschaften auffasst.

Wie streng die Sanktionen gegen Andersdenkende sind, erfuhr 2004 Prof. Michael Bock (Uni Mainz), der es in einem Essay wagte "Gender-Mainstreaming als totalitäre Steigerung der Frauenpolitik" zu bezeichnen. Der Wissenschaftsminister untersagte ihm unter Androhung disziplinarischer und strafrechtlicher Konsequenzen, Derartiges weiter zu publizieren. "Diskutieren wollte niemand, dagegen bekam ich anonyme Droh- und Schmähanrufe sowie soziale Distanzierungen und Ridikülisierungen", sagt der Wissenschaftler, der heute pflichtgemäß die Klappe hält. (Quelle)

Wie wenig es in den Wissenschaften noch um Wissenschaft geht, erfährt man beispielsweise in einem Blog-Artikel, der die reale Welt des heutigen akademischen Betriebens beschreibt. Deshalb liegt Michael falsch und bleibt Utopist, während Hinrich Rosenbrock sich (nur) den (üblich gewordenen) "wissenschaftlichen" Standards angepasst hat.

- - -
[Zitat:]

Hadmut Danisch legt anlässlich eines Falles von 2011 in seinem Weblog "Forschungsmafia. Titelhandel. Forschungsbetrug. Wissenschaftskorruption. Hochschulkriminalität" unter dem Titel "Kriminelle Zitierpraktiken deutscher Professoren" die Ansicht dar, dass nämlich "viele Professoren (und die sie nachahmenden Nachwuchswissenschaftler) Zitierungen nicht als Quellenangabe im urheberrechtlich-wissenschaftlichen Sinn verstehen, sondern als Würdigung und Bekenntnis zu gewissen Leuten, und natürlich als wertvolles Tauschobjekt in den Zitierkartellen.

Zitierungen gelten in der Wissenschaft nicht als selbstverständliche Pflichtübung, sondern als Mittel der Selbst- und Fremddarstellung. Zitiert zu werden ist ungemein wichtig, weil aus der Art und Menge der Zitate über die Zitiermetriken der 'Wert' eines Wissenschaftlers bestimmt wird. Man muß zitieren, um zitiert zu werden, und man vergrätzt Bekannte und Kollegen, wenn man sie nicht zitiert. Zitate dienen nicht der wissenschaftlichen oder urheberrechtlichen Korrektheit und Sorgfalt, sondern sie sind mehr so etwas wie eine Abbildung, der Graph eines sozialen Beziehungsgeflechtes. Das, was heute im Internet in den ach so neuen sozialen Netzwerken wie Facebook, Xing, Twitter usw. die eingetragenen Freundes- und Follower-Beziehungen sind, gibt es in der Wissenschaft als papierbasierende Netzwerke schon lange, weil die Zitate diese Darstellung der Beziehungen belegen. Was dem einen die Webseite bei den sozialen Netzwerken, ist dem anderen der Zitierapparat. Die Zitiermetrik besagt nichts anderes als wer die meisten 'Followers' im Zirkus hat. Wie bei Twitter.

Deshalb ist es auch eine ständige Praxis, daß Professoren, die ein Werk, etwa ein Buch oder eine Dissertation, nach ihrem Quellenverzeichnis beurteilen. Es geht gar nicht darum, was in der Dissertation oder dem Buch steht, ob der Inhalt taugt oder nicht. Meist wird der sowieso nie gelesen, interessiert auch niemanden. Es geht darum zu sehen, aus welcher Schule derjenige kommt, welchen Stallgeruch er hat. Ob man ihn 'riechen' kann oder nicht. Das sind ganz archaische Mechanismen, so wie die tätowierten Stammeszeichen, die sich heute so viele als Arschgeweih oder auf Beine, Schultern, Oberarme kritzeln lassen. Oder wie die Pin-Up-Girls im Soldatenspind, die gleich jedem unmißverständlich signalisieren sollen, an welchem der Ufer man seine Hütte hat.

Deshalb ist es in manchen Fächern auch so, daß die echten Quellenangaben als Fußnote angegeben werden, damit man beim Lesen sieht, wo etwas herstammt, während die Würdigungszitate in einem Anhang als Quellenverzeichnis aufgelistet werden, damit man beim Aufschlagen sieht, zu welchem Stamm und welcher Sippe der Indianer gehört und ob er die sozialen Huldigungsrituale beherrscht. Ob er also wissenschaftschwiegersohntaugliches Benehmen hat, und nach dem Doktorvater (= Adoptivvater) einen Folgevater (= Schwiegervater) findet.

Das führt zu zwei sehr unschönen und unwissenschaftlichen Effekten:
* Einmal gibt es falsche Zitate oder Quellenangaben. Das heißt, es werden Quellen zitiert, obwohl diese gar nicht genutzt wurden, das zitierte dort nicht steht oder eigentlich von jemand anderem stammt. Gründe dafür gibt es viele. Manchmal geht es nur darum, den Anhang mit den Quellenangaben so aufzublasen, daß es aussieht, als habe man viel und gründlich gearbeitet. Viele Dissertationen enthalten seitenlange Quellenangaben, die für die Dissertation überhaupt keine Rolle spielen oder nie gelesen wurden, aber Eindruck schinden sollen. Interessanterweise werden bei Dissertationen oft nicht nur die Inhalte, sondern noch viel öfter (was keiner untersucht) die Quellenverzeichnisse aus anderen Arbeiten übernommen.
Na ja, und dann gibt es eben die Gefälligkeitszitate, die Speichelleckerei, damit der Kollege sich gebauchpinselt fühlt und im Index steigt, das Zitierkartell bedient ist und man auch wieder zitiert wird, um Werbung für ein Buch zu machen, das sonst keiner kennt, um falsche Urheberschaften zu fingieren und suggerieren, und, und, und ...
* Und dann gibt es die fehlenden Zitate. Dabei geht es meist gar nicht mal um das (gefühlte) Plagiieren, sondern schlicht um die Unterscheidung zwischen zitierwürdigen und nicht zitierwürdigen Quellen. Deutsche Wissenschaftler haben sich ein Gehabe angeeignet, das an den Adel erinnert, der sich vom gemeinen Pöbel abheben will. Und so unterteilen sie ihre Welt strikt in 'wissenschaftlich', also würdig, und 'nicht wissenschaftlich', also unwürdig und damit unbeachtlich. Ein häufig zu beobachtender Standardeffekt ist, daß wenn jemand Kritik am Wissenschaftsbetrieb oder oder wissenschaftlichen Werken äußert, nicht die Kritik inhaltlich aufgenommen wird, sondern die Person des Kritikers als unwissenschaftlich und damit unbeachtlich eingestuft und damit ausgeblendet wird. Wer als unwissenschaftlich und nicht zitierwürdig oder -fähig gilt, wird nicht zitiert. Dazu gehören beispielsweise automatisch alle Studenten. Auch Mitarbeiter ohne eigenen Doktor, sofern sie nicht mindestens einen würdigen Wissenschaftler als Co-Autor haben, beispielsweise ihren Professor als Ehrenautor.
Das hat außerdem den Zweck, das Quellenverzeichnis quasi 'adlig' elitär und sauber zu halten, denn es wäre ja eine Beleidigung für einen zitierten Wissenschaftler, wenn er im Quellenverzeichnis neben einer schnöden Tageszeitung stehen würde, in der irgendein ungebildeter, nichtakademischer Lokaljournalist herumtrötet.

Zu den unergründlichen Wundern der Wissenschaft gehört auch der sonderbare Umstand, daß die Qualität wissenschaftlicher Arbeit oder eines Werkes nicht in dessen Inhalt liegt. Naiverweise würde man annehmen, daß sich die Güte eines Werkes beim Schreiben bildet und folglich mit der unveränderlichen Fertigstellung festgelegt ist, daß die Qualität also abschließend feststeht, wenn das Werk erst einmal schwarz auf weiß auf Papier gedruckt ist.

Wissenschaftler glauben das nicht. Sie sind fest davon überzeugt, daß sich die Qualität eines Werkes erst nachträglich herausbildet, quasi auf mystisch-metaphysisch-magische Weise, und das Werk sich nachträglich verbessert, wenn es zitiert wird, obwohl alle mir bekannten Experimente und alle meine eigenen Beobachtungen belegen, daß der Text sich nicht nachträglich verändert, wenn er erst einmal auf Papier gedruckt ist. So erlebe ich es immer wieder (gerade erst vor wenigen Minuten wieder durch einen Blog-Kommentar), daß mir bei Kritik an Wissenschaftlern oder Publikationen entgegengehalten wird, wie oft das zitiert wurde. Es geht gar nicht darum, ob meine Kritik inhaltlich berechtigt ist. Das interessiert keinen. Es geht um die Zahl der 'Followers'. Als ob jedes Zitat den Text nachträglich verbessern und irgendwelche Fehler ausbeulen würde. Als ob '3 = 5' umso richtiger würde, je öfter es zitiert wird. Die Merkwürdigkeiten des Zitierwesens haben sehr viel damit zu tun, daß man wissenschaftliche Qualität längst jeder Objektivität, jeder Argumentation, jeden fachlichen Disputs völlig enthoben hat und die Qualität nur noch als Ergebnis einer Art Abstimmung ansieht. Nicht mehr der Inhalt zählt, sondern wieviele den Finger heben. Wissenschaft verkommt zum Sozialereignis, zum höfischen Gehabe, wo man wie bei einer Festrede die Anwesenden in der protokollarischen Reihenfolge ihrer Wichtigkeit zu grüßen und zu respektieren hat." (Hadmut Danisch: Kriminelle Zitierpraktiken deutscher Professoren, 21. Februar 2011)

[Zitat Ende]
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Warum jetzt dieser lange Beitrag?

Michael und andere mühen sich redlich ab, den Feminismus und seine Lila Pudel zu widerlegen. Das ist aber, wie der oben zitierte Beitrag zeigt, vergebliche Liebesmüh.

Es geht gar nicht darum, ob unsere Kritik inhaltlich berechtigt ist. Das interessiert keinen. Es geht um die Zahl der 'Followers'. Die Wissenschaft, auf die sich Michael beruft, ist längst zu einem Sozialereignis verkommeb, zum höfischen Gehabe, wo man wie bei einer Festrede die Anwesenden in der protokollarischen Reihenfolge ihrer Wichtigkeit zu grüßen und zu respektieren hat. Und wir sind nicht dabei!

Wir werden nicht in den elitären Zirkel aufgenommen, sondern ausgegrenzt. Das ist ja der einzige Anspruch, den die "Expertise" überhaupt hat. Wir haben das falsch "Stammeszeichen". Nur das Stammeszeichen zählt, nicht die Argumente.

Wer es nicht glaubt, der prüfe man mit Google, wie oft der Maskulist (Savvakis) oder WikiMANNia zitiert werden.

Erst kürzlich machte Väterradio einen Beitrag zu Kuckuckskindern. Dort wurde ein Link zum Kuckucksvater-Block entrüstet entfernt als man feststellte, dass sich in der Blogroll eine Verlinkung zu WikiMANNia befindet. Väterradio will also nichts mit Leuten zu tun haben, die WikiMANNia zitieren. So schottet man sich ab. Für die nächste Sendung am 16. Februar 2012 mit dem Thema "Männer und Väter in Bewegung - Versuch einer Differenzierung" ist das "Bundesforum Männer" verlinkt. (Siehe hier)

Das ist aber nicht überraschend, sondern nur die konsequente Weiterführung der von Hadmut Danisch benannten Verhaltensregeln. Die Mechanismen der Zitierkartelle reichen bis zum Väterradio. Anderswo dürfte es sich nicht viel anders verhalten.

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