aktueller TV-Tipp für Femis und Maskus: "Oleanna"
Heute abend um 22:25 Uhr auf 3sat: "Oleanna", basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück David Mamets.
Meine Fernsehzeitung stellt den Film so vor: "Studentin Carol sucht das Gespräch mit ihrem engagierten Dozenten John. Anschließend bezichtigt sie ihn der sexuellen Belästigung. Als der Professor seine Karriere gefährdet sieht, verliert er allmählich die Beherrschung ( ) Intelligent beschreibt Mamet das Paradox jeder klassischen Tragödie: Egal wie man sich verhält, es wird immer falsch ausgelegt."
Nun ja. Das eigentlich Faszinierende an diesem Stück/Film war, dass die männlichen Zuschauer sich damals (1994) absolut mit dem Professor zu identifizieren schienen und die Handlung so wahrnahmen, als würde ihm im totalitären Political-Correctness-Wahn ein Übergriff unterstellt, den er gar nicht begangen hatte. Die weiblichen Zuschauer hingegen sahen ebenso fraglos die Studentin im Recht und fanden, dass der Prof nur bekam, was er verdiente. Ich weiß noch, als ich das Stück an der Uni gelesen hatte und überhaupt nicht verstehen konnte, wie zum Gülles man bei der gegebenen Darstellung des Sachverhalts zur zweitgenannten Interpretation gelangen konnte. Auch von meinen Kommilitoninnen, mit denen ich darüber sprach, konnte sich/mir das keine so recht erklären. Bis sich im Seminar selbst dann zwei Studentinnen aus dem Umfeld der Frauenbibliothek meldeten, die genau diese zweite Deutung vertraten.
Zwei sehr unterschiedliche Kritiken zu diesem Film (vielleicht sollte man sie besser erst lesen, nachdem man den Film unbefangen gesehen hat):
http://rogerebert.suntimes.com/apps/pbcs.dll/article?AID=/19941104/REVIEWS/411040303/1023
http://www.mith2.umd.edu/WomensStudies/FilmReviews/oleanna-mcalister
Beste Grüße
Arne
Es scheint sich was zu tun
Als Antwort auf: aktueller TV-Tipp für Femis und Maskus: "Oleanna" von Arne Hoffmann am 30. Juni 2005 07:49:23:
Hi,
in Deutschland wird offenbar nach solchen Anschuldigungen auch mal in die andere Richtung ermittelt. Vergewaltigungsvorwurf gegen Jungenkicker war erfunden. Ebenso wie die Sache in Schweden, waren es da nicht Eishockeyspieler? Schade nur, daß die Meldungen so unscheinbar sind, wenn die Täter gar keine waren...... Und kommt der Fall jetzt als aufgeklärte Vergewaltigung in die PKS?
P
Re: Es muss sich noch was zu tun
Als Antwort auf: Es scheint sich was zu tun von Pille am 30. Juni 2005 08:06:
Hi,
in Deutschland wird offenbar nach solchen Anschuldigungen auch mal in die andere Richtung ermittelt. Vergewaltigungsvorwurf gegen Jungenkicker war erfunden. Ebenso wie die Sache in Schweden, waren es da nicht Eishockeyspieler? Schade nur, daß die Meldungen so unscheinbar sind, wenn die Täter gar keine waren...... Und kommt der Fall jetzt als aufgeklärte Vergewaltigung in die PKS?
P
Ja, die eishockeyspieler in Schweden. Die sassen ja 2 wochen in u-haft -
unschuldig. Und was ist jetzt mit diesem holländischen fussballer van Persie,
der kürzlich 2 wochen in holland wegen eines vergewaltigungsvorwurfs in
u-haft sass? Sperrt die justiz nicht etwas schnell ein, wenn es um
vergewaltigung geht? Das muss weiter thematisiert werden.
Re: Es muss sich noch was zu tun
Als Antwort auf: Re: Es muss sich noch was zu tun von reinecke54 am 30. Juni 2005 09:49:
Ja, die eishockeyspieler in Schweden. Die sassen ja 2 wochen in u-haft -
unschuldig. Und was ist jetzt mit diesem holländischen fussballer van Persie,
der kürzlich 2 wochen in holland wegen eines vergewaltigungsvorwurfs in
u-haft sass? Sperrt die justiz nicht etwas schnell ein, wenn es um
vergewaltigung geht? Das muss weiter thematisiert werden.
Das Traurige ist, daß sowas erst 100 mal passieren muß, bevor man merkt, daß da was falsch läuft. Im Moment heißt es noch: Pech gehabt. Es dauert noch, bis man merkt, daß das System falsch ist.
Re: aktueller TV-Tipp für Femis und Maskus: "Oleanna"
Als Antwort auf: aktueller TV-Tipp für Femis und Maskus: "Oleanna" von Arne Hoffmann am 30. Juni 2005 07:49:23:
"Das eigentlich Faszinierende an diesem Stück/Film war, dass die männlichen Zuschauer sich damals (1994) absolut mit dem Professor zu identifizieren schienen und die Handlung so wahrnahmen, als würde ihm im totalitären Political-Correctness-Wahn ein Übergriff unterstellt, den er gar nicht begangen hatte. Die weiblichen Zuschauer hingegen sahen ebenso fraglos die Studentin im Recht und fanden, dass der Prof nur bekam, was er verdiente. Ich weiß noch, als ich das Stück an der Uni gelesen hatte und überhaupt nicht verstehen konnte, wie zum Gülles man bei der gegebenen Darstellung des Sachverhalts zur zweitgenannten Interpretation gelangen konnte. "
Hallo Arne!
Das ist das absolut erschreckende:Die Menschen sehen oft nur,was sie sehen dürfen. Es gibt eine erstaunlich starke Neigung,auch noch so deutliche Fakten,zu interpretieren,um sie "richtig",das heisst politisch richtig einzuordnen.
In der Wahrnehmungspsychologie spricht man da von "bottom-up" und "top-down"-Prozessen. Wahrnehmung ist weit mehr als die reine Abbildung der Welt. Der "bottom up"-Prozess bringt Informationen ins Hirn,die aber je nach Vorwissen und Vorfilterung also "top down" interpretiert werden. Man könnte auch sagen, sensorischer Input regt nur vorhandene Muster an. Im Extremfall wird nur noch gesehen, was man schon meinte zu wissen. Das erklärt auch die konträre Wahrnehmung des Films durch Frauen und Männer. Beide "wussten" schon etwas,was durch den Film nur reaktiviert wurde,nur jeweils etwas anderes.
Im Extremfall kann man sich so Argumentations- und Erfahrungsresistent machen, indem man zu wissen meint,was "wirklich in der Gesellschaft los ist",ohne je bereit zu sein,dass an der Realität zu überprüfen. Es gibt tatsächlich Personen, die diese "wissende" Sichtweise stark eingenommen haben und auch nicht einen Deut von ihren Wahrheiten abzuweichen bereit sind. Wozu auch,wenn man jede Erfahrung doch top-down immer wieder aufs gleiche Ergebnis herumbiegen kann?
Das klingt natürlich sehr pessimistisch. Aber da sind wir alle gefordert offen zu sein,aber auch Offenheit einzufordern!
Gruß
Ridcully
Meine Interpretation von "Oleanna"
Als Antwort auf: aktueller TV-Tipp für Femis und Maskus: "Oleanna" von Arne Hoffmann am 30. Juni 2005 07:49:23:
Ich habe das Stück gesehen, es ist tatsächlich sehr gut geschrieben. Es fordert Kontroversen auf mehrere Weisen heraus: Erstens geht es ein Tabu-Thema an, und zwar mitten in den feministischen 90ern. Zweitens lässt es nicht einfach Gut und Böse aufeinanderprallen, sondern schafft bewußt Figuren, die sich so oder so interpretieren lassen. Die Deutung ist also zunächst einmal offen gehalten, jeder kann sehen, soviel er oder sie sehen will. Folge: In den Interpretationen offenbaren sich die Werte der Rezensenten.
Im ersten Akt ist der Professor ein Blender, wie man es an realen Universitäten leider nicht selten findet. Ihn interessiert seine Karriere (er hat eine Frau zu versorgen, die sich noch dazu die Freiheit nimmt, ihn tagsüber laufend anzurufen) aber weder sein Fach, noch seine Studenten. Er hat seinen Status, auf den ist er stolz, und den braucht er angesichts der häuslichen Misere vermutlich auch. Eine hilfsbedürftige Studentin interessiert ihn am allerwenigsten. Manche Studenten scheitern eben. Sein Interesse ist erst geweckt, als er in ihr eine Zuhörerin gefunden zu haben meint, der er das Geheimnis seines beruflichen Erfolgs darlegen kann. Wenn ich es richtig verstanden habe, lautet das: Die Universität erwartete von ihm viel Schein und wenig Sein, und weil er das schneller als die anderen erkannt hatte, konnte er schneller liefern. Eine Entblößung ohne Folgen die Studentin versteht ihn nicht, sie ist dafür wirklich zu doof. (Korrupt genug wäre auch sie.) Der Professor seinerseits weiß am Ende des ersten Akts nicht viel über sie er hat zuwenig zugehört.
Im zweiten Akt streiten die beiden über Anschuldigungen, die sie in der Zwischenzeit gegen ihn erhoben hat, und mit denen sie ihn vernichtet. Die Telefonanrufe zeigen einmal mehr, wie viel für ihn von seiner Position abhängt. Der Dialog zeigt, wie vage definierte Verbrechen und öffentliche Hysterie die Studentin mächtig gemacht haben. Wobei sie nichts erfinden muss; sie muss es nur aus dem Zusammenhang reißen. Alles was er gesagt hat, wird politisch korrekt uminterpretiert als Unterdrückung mit dem Ziel, sexuelle Gefälligkeiten zu erpressen. Der Professor ist schuldig bei Anklage. Sie dagegen hat nicht mal Schuldgefühle, sondern glaubt sich im Gegenteil im Recht. (Auch der zweite Akt ist ein Vier-Augen-Gespräch, und sie verteidigt sich.) Als der Professor am Ende ihren Vernichtungswillen und erkennt und sie seinen Untergang im Auge niederschlägt, gibt sie preis, dass sie PC als eine legitime Waffe ansieht.
Die beiden Rezensionen sind IMHO sehr geschlechtstypisch. Der Rezensent ringt explizit um Objektivität, und kann letztlich kein sexuelles Fehlverhalten des Professors erkennen, während die Studentin akademisch schlicht unzulänglich ist. Die Rezensentin hingegen erklärt sich als Feministin, ergreift als Zuschauerin Partei, nimmt jede Deutung seitens der Studentin als ungebrochenes Faktum und sieht nur die schlechten Seiten des Professors, der deshalb nur das kriegt, was er auch verdient. Und deshalb tritt sie in die Falle des Autors ihre moralische Selbstgerechtigkeit wird offenbar. Sie hält Oleanna ganz im Ernst für ein Stück feministischer Erbauung.
Interessant ist ihre Wahrnehmung dennoch: Ihr entgeht das Kriterium akademischen Erfolgs. Es bleibt meiner Erinnerung nach offen, ob die Studentin an der Vernachlässigung durch den Prof oder an ihrer eigenen Dummheit scheitert. Für den Rezensenten ist das übrigens gar keine Frage: Sie müsste etwas tun, um Respekt zu erwerben. Der Professor erklärt ja sogar wie. Der Rezensentin hingegen entgeht die Chance, die der Professor der Studentin bietet. Für sie ist der Skandal nicht, dass Oleanna paradoxerweise die Werte der Universität korrumpieren müsste, um dort Erfolg zu haben, sondern dass eine Frau scheitert, während ein Mann seinen Erfolg feiert.
Das macht nachdenklich.
Warum ist dieser Mann eine solch universelle Provokation für Frauen? Er unterbricht die Studentin laufend, er hört nicht zu, er erzählt davon, wie er selbst es geschafft hat. Er ist zu sehr ein Selbstdarsteller, um der beste Dozent zu sein, aber er liefert ihr trotzdem hilfreiche Informationen. Das macht es für jeden Studenten und jede Studentin schwer aber ist das Unterdrückung? Warum scheinen es gerade seine inhaltsreichsten Ausführungen zu sein, die Frauen als selbstverliebtes Geschwafel ansehen? In männlicher Wahrnehmung begründet, in weiblicher Wahrnehmung präsentiert der Prof mit seinen Reden seinen Status. Aus Frauensicht lässt er sie ihre Unterlegenheit spüren, er nimmt sie nicht ernst und verweigert eine Beziehung auf gleicher Augenhöhe. Selbst sein späteres Hilfsangebot wird ihm als Herablassung ausgelegt. Doch Status beruht nun mal auf Leistung. Woher also der Hass?
Ich vermute, es liegt an der Kombination aus männlicher Selbstgewissheit und Selbstgenügsamkeit. Die Studentin ist ihm tatsächlich egal. Ob sie strahlt oder weint oder schmollt, hat keinen Einfluß auf sein vollkommenes Glück. Und hier liegt die Kapitalsünde des Mannes, wegen der Frauen nach seiner Vernichtung trachten. Es ist die Attraktivität seiner Ich-habe-gerade-den-Sieg-meines-Lebens-errungen-Ausstrahlung verbunden mit der Du-bist-mir-völlig-egal-Kränkung. Hier ist ein Alpha-Tier, das ein Weibchen zurückweist und damit dessen sexuelles Selbstwertgefühl vernichtet. Und deshalb bestehen keine Hemmungen, den Status und damit auch die sexuelle Macht dieses Mannes zu zerstören.
Denn das ist der Clou: Die zwei Szenen, die er der Rezensentin zufolge nicht bewußt als sexuell empfindet, werden umgekehrt von Frauen gerade als solche interpretiert. Eine junge Studentin kommt zu einem mächtigen Mann ins Büro. Sie sind unter vier Augen. Sie bittet um Hilfe. Sie hat sich ihm doppelt ausgeliefert. Und er guckt lieber in den Spiegel als sie an. Die Situation erregt ihn nicht sexuell, aber er nutzt sie aus, um sein Ego zu streicheln. Der mächtige, beeindruckende Mann verschmäht die verwundbare, junge Frau. Statt dessen zeigt er ihr, wie viel mächtiger er ist als sie. Darin liegt die Provokation. Der Clou ist die Wirkung der hier unerkannten, dort geleugneten weiblichen Sexualität.
Danke, super Analyse! (nt)
Als Antwort auf: Meine Interpretation von "Oleanna" von Texaco am 30. Juni 2005 16:12:
Re: aktueller TV-Tipp für Femis und Maskus: "Oleanna"
Als Antwort auf: aktueller TV-Tipp für Femis und Maskus: "Oleanna" von Arne Hoffmann am 30. Juni 2005 07:49:23:
Nun ja. Das eigentlich Faszinierende an diesem Stück/Film war, dass die männlichen Zuschauer sich damals (1994) absolut mit dem Professor zu identifizieren schienen und die Handlung so wahrnahmen, als würde ihm im totalitären Political-Correctness-Wahn ein Übergriff unterstellt, den er gar nicht begangen hatte. Die weiblichen Zuschauer hingegen sahen ebenso fraglos die Studentin im Recht und fanden, dass der Prof nur bekam, was er verdiente.
Also, als ich das Stück 1995 im Theater im Bauturm in Köln gesehen habe - es waren nur etwa 20 Leute im Publikum -, waren es bei der anschließenden Diskussion mit Regisseur und Darstellern vor allem drei Frauen um die fünfzig, die sich vehement für die erste, vermeintlich "männliche", Interpretation stark machten und das Verhalten der Studentin als "neuen Faschismus" bezeichneten. Eine der drei Frauen war geradezu empört über die Art und Weise, wie dem Professor in dem Stück mitgespielt wurde, und mußte von ihren Begleiterinnen, die ja ihrer Meinung waren, regelrecht beruhigt werden. Ist dieser im Stück und im Film dargestellte Zickenfeminismus vielleicht vor allem ein Phänomen der 20 bis 30jährigen?
Re: aktueller TV-Tipp für Femis und Maskus: "Oleanna"
Als Antwort auf: Re: aktueller TV-Tipp für Femis und Maskus: "Oleanna" von Simon (der erste) am 01. Juli 2005 00:24:
Also, als ich das Stück 1995 im Theater im Bauturm in Köln gesehen habe - es waren nur etwa 20 Leute im Publikum -, waren es bei der anschließenden Diskussion mit Regisseur und Darstellern vor allem drei Frauen um die fünfzig, die sich vehement für die erste, vermeintlich "männliche", Interpretation stark machten und das Verhalten der Studentin als "neuen Faschismus" bezeichneten. Eine der drei Frauen war geradezu empört über die Art und Weise, wie dem Professor in dem Stück mitgespielt wurde, und mußte von ihren Begleiterinnen, die ja ihrer Meinung waren, regelrecht beruhigt werden.
Von solchen Frauen wünsche ich mir mehr! Schön das zu lesen.
Re: Danke, das war ein interessanter Tip! (nt)
Als Antwort auf: aktueller TV-Tipp für Femis und Maskus: "Oleanna" von Arne Hoffmann am 30. Juni 2005 07:49:23:
Re: aktueller TV-Tipp für Femis und Maskus: "Oleanna"
Als Antwort auf: Re: aktueller TV-Tipp für Femis und Maskus: "Oleanna" von Texaco am 01. Juli 2005 12:05:
Von solchen Frauen wünsche ich mir mehr! Schön das zu lesen.
Tja, ist halt auch schon wieder 10 Jahre her. Inzwischen sind die wahrscheinlich im Altersheim. 