Buchtipp
Jeremy Golden und der Meister der Schatten
Angela Sommer-Bodenburg ist die Meisterin des kindlichen Grusels. Schon beim Kleinen Vampir einer der erfolgreichsten Kinderbuchreihen der letzten 25 Jahre, konnte man es sich genüsslich kühl den Rücken herunter laufen lassen, denn man wusste: wirklich gefährlich wird es nie, es wird immer gut ausgehen. Und die Accessoires des Genres genießen - Gruft, Grabsteine, Nebel, Vampierjäger -, während man schön eingekuschelt dem Söhnchen oder Töchterchen die neuesten Abenteuer von Rüdiger, Anna und Anton vorlas.
Auch Jeremy Golden ist so ein Genrestück - und wieder meisterlich entwickelt. Märchenhafte Anklänge bereits am Anfang: Jeremy leidet unter der Boshaftigkeit der Stiefmutter, die ihr eigenes Kind bevorzugt Der täglich sehnsüchtig erwartete Vater ist zu schwach, um sich da egen aufzulehnen, noch im Schmerz um den Tod seiner ersten Frau gefangen.
Das Leiden an der Welt schafft den Grund, sich in ein anderes Land zu sehnen. Es braucht eine Tür, um hinüber zu gelangen und selbstverständlich einen Führer. Und im anderen Land wartet eine Aufgabe auf den Helden. Der in der realen Welt versagt, ist in der Fantasywelt ein Auserwählter. Sein Job: dem grauen Reich die Farben wiederzu bringen. Dazu muss er die Prinzessin befreien und, klar, so ein bisschen Verlieben darf schon sein.
Ein echter Haudegen ist Jeremy bei weitem nicht. Aber er hat Mut, stellt sich immer wieder allen Schwierigkeiten. Seine Aufgabe bewältigt er nicht durch Säbelrasseln und heldenhafte Kämpfe, sondern durch das Entdecken weiblicher Qualitäten. So hilft er den Gorilla-Kräfte ihr Ei auszubrüten und ihr Baby zu verstehen.
Deshalb wird er nicht gefressen, sondern aufdie Insel "No Man's Land" gebracht, wo eine Gruppe von Arnazonen jedes männliche Wesen verfolgt und umbringt. Die Motivation hierfür ist die einzige Schwäche des Buches: es wird nur nebulös von schlechten Erfahrungen mit Männern berichtet, leichte Andeutungen von Vergewaltigung schimmern hindurch. Das hätte auch für zehnjährige Leser schon klarer ausgedrückt werden können, ohne sie zu verstören. Natürlich gelingt es, die dort festgehaltene Gefährtin zu befreien und in das Schloss des Bösen vorzudringen. Des Bösen? Auch hier wieder verkörpert eine Frau, auf s Hässlichste entstellt, die zerstörende Urkraft. Weil sie sich ausgestossen und ungeliebt wähnt, stiehlt sie die Farben und macht alle Wesen im Fantasyland unglücklich Verständnis für die Motive des Bösen durchzieht das Buch, nie jedoch führt das zu einer Rechtfertigung der Taten. Und deshalb muss auch - wie im Märchen - die böse Frau am Ende sterben.
Der Job ist erledigt, Jeremy schlüpft durch die Tür zurück in sein Zimmer - und man weiß, auch in der realen Welt muss sich etwas verändert haben, wenn irn Fantasyland wieder das Glück eingekehrt ist: Jeremys Vater schmeißt die Stiefmutter raus und ist wieder für seinen Sohn da.
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- Buchtipp -
Odin,
19.06.2005, 17:39
- Re: Buchtipp -
ChrisTine,
19.06.2005, 20:06
- Re: Buchtipp - Silvain, 19.06.2005, 22:59
- Re: Buchtipp -
ChrisTine,
19.06.2005, 20:06