Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 1 - 20.06.2001 - 20.05.2006

67114 Postings in 8047 Threads

[Homepage] - [Archiv 1] - [Archiv 2] - [Forum]

"Geboren, gequält, gestorben" - Fälle wie dieser sind die Spitze des Eisbergs...

Sven, Sunday, 12.06.2005, 12:28 (vor 7485 Tagen)

Arme Kinder sind arm dran

Der Fall einer jungen Mutter, die ihr Baby misshandelt hat, bewegt die Stadt. Doch solche Einzelfälle stehen für zahllose andere, weniger spektakuläre. Zwischen Armut und Gewalt gibt es dabei einen klaren Zusammenhang, sagen Kinderschützer
VON PLUTONIA PLARRE

Blaue Flecken im Gesicht, Blutungen in den Hirnhäuten, ein Blutgerinnsel im Kopf - die Misshandlung eines zwei Wochen alten Säuglings hat die Stadt erschüttert. Das zumindest suggeriert die Boulevardpresse. "Berlins böseste Mutter", schlagzeilte die B.Z. gestern und präsentierte auf der Titelseite ein Foto der 25-jährigen Kindesmutter im Großformat.

Die Frau steht im Verdacht, ihr schreiendes Baby bis zu Bewusstlosigkeit geschüttelt zu haben, weil sie sich überfordert fühlte. Der Haftbefehl gegen sie ist am Donnerstag unter Meldeauflagen außer Vollzug gesetzt worden. Ob der Säugling überlebt, wird sich erst in den nächsten Tagen herausstellen, wenn die Schwellung im Gehirn zurückgegangen ist.

"Fälle wie dieser sind die Spitze vom Eisberg", sagt die Kriminalhauptkommissarin Gina Graichen, die das Kommissariat "Delikte an Schutzbefohlenen" leitet. Wenn Kinder zu Tode kommen, so ihre Erfahrung, ist die Empörung der Öffentlichkeit stets groß. Von den zahllosen anderen Fällen, wo die Verletzungen oftmals nicht sichtbar sind, die Folgen die Kinder aber ein Leben lang begleiten, rede dagegen kaum jemand, so Graichen.

Im vergangenen Jahr sind in Berlin 398 Kindesmisshandlungen angezeigt worden. 2001 waren es 267 Fälle. Die Dunkelziffer ist laut Graichen noch höher als bei sexuellem Missbrauch. Dort geht die Polizei davon aus, dass auf einen angezeigten Fall 6 bis 20 unentdeckte Taten kommen.

Im August 2004 hat die Polizei deshalb eine Plakataktion gestartet, um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Auf einem sind drei Kinder in einer vermüllten Wohnung zu sehen. Unter dem Bild heißt es: "Verdreckt, hungrig, allein gelassen". Ein anderes zeigt eine Babyflasche vor einem Grab mit der Inschrift: "Geboren, gequält, gestorben".

Damit die Hinweise aus der Bevölkerung nicht im Ämterdschungel untergehen, hat Graichen ihre Durchwahlnummer auf die Plakate drucken lassen - mit Erfolg. Sei Beginn der Aktion sind rund 100 Anrufe bei ihr eingegangen. "Nicht jeder Anruf hat zu einer Anzeige geführt, aber an den Schilderungen war immer etwas dran." Trotzdem ist es immer noch die Polizei, die die meisten Fälle von Kindesmisshandlungen aufdeckt. "In der Bevölkerung herrscht immer noch die Auffassung vor: Familie ist Privatsphäre, in die man sich nicht einmischt", so die Erfahrung der Kriminalhauptkommissarin.

Kindesmisshandlung kommt in allen Schichten vor, doch in sozial schwachen Familien werden deutlich mehr Fälle registriert. "Es gibt ganz klar einen Zusammenhang zwischen Armut, Vernachlässigung und Gewalt", sagt Sabine Walther, die Geschäftsführerin des Landesverbandes des Deutschen Kinderschutzbundes. Arme Familien wohnen beengter, sind mehr mit sich selbst beschäftigt und besonders gestresst.

Berlin sei bereits die Hauptstadt von Kinderarmut und Kindesmisshandlung, aber es werde noch schlimmer kommen, sagt Walther. Die Polizei leiste zwar hervorragende Öffentlichkeitsarbeit, aber die Eltern brauchten eher Hilfe als Strafen - nicht nur vonseiten des Jugendamts. "Wenn ein Nachbar sieht, dass eine junge Mutter völlig fertig ist, könnte er sie fragen, ob er ihr was abnehmen kann, statt die Polizei zu rufen", so Walther.

Quelle: http://www.taz.de/pt/2005/06/11/a0229.nf/text.ges,1

Re: "Geboren, gequält, gestorben" - Fälle wie dieser sind die Spitze des Eisberg

Klaus, Sunday, 12.06.2005, 14:31 (vor 7484 Tagen) @ Sven

Als Antwort auf: "Geboren, gequält, gestorben" - Fälle wie dieser sind die Spitze des Eisbergs... von Sven am 12. Juni 2005 09:28:

In dem Artikel heißt es:

***********************************

Die Polizei leiste zwar hervorragende Öffentlichkeitsarbeit, aber die Eltern brauchten eher Hilfe als Strafen - nicht nur vonseiten des Jugendamts. "Wenn ein Nachbar sieht, dass eine junge Mutter völlig fertig ist, könnte er sie fragen, ob er ihr was abnehmen kann, statt die Polizei zu rufen", so Walther

***********************************

Hilfe statt Strafe - hier wird das Problem überaus sichtbar. Es liegt eine Straftat vor, aber selbst die Polizei rät der Bevölkerung von einer Anzeige ab. Man stelle sich das im Falle von Partnergewalt oder bei sexuellem Missbrauch vor. Bei Partnergewalt klagen Frauenpolitikerinnen darüber, dass die Staatsanwaltschft viel zu häufig eine Strafverfolgung der Täter aussetzt und bei Sexualstraftaten wird immer wieder das lebenslange Wegsperren gefordert. Aber auch "gewöhnliche" Kindesmisshandlung kann tötlich enden und dann müssen diejenigen, die keine Anzeige erstattet habe, sich den Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung gefallen lassen.

Klaus

Re: "Geboren, gequält, gestorben" - Fälle wie dieser sind die Spitze des Eisberg

stiller Mitleser ;-), Sunday, 12.06.2005, 16:46 (vor 7484 Tagen) @ Klaus

Als Antwort auf: Re: "Geboren, gequält, gestorben" - Fälle wie dieser sind die Spitze des Eisberg von Klaus am 12. Juni 2005 11:31:

In dem Artikel heißt es:
***********************************

Die Polizei leiste zwar hervorragende Öffentlichkeitsarbeit, aber die Eltern brauchten eher Hilfe als Strafen - nicht nur vonseiten des Jugendamts. "Wenn ein Nachbar sieht, dass eine junge Mutter völlig fertig ist, könnte er sie fragen, ob er ihr was abnehmen kann, statt die Polizei zu rufen", so Walther

***********************************
Hilfe statt Strafe - hier wird das Problem überaus sichtbar. Es liegt eine Straftat vor, aber selbst die Polizei rät der Bevölkerung von einer Anzeige ab. Man stelle sich das im Falle von Partnergewalt oder bei sexuellem Missbrauch vor.

Ich denke mal, es ist gemeint, Hilfe anzubieten bevor eine Straftat begangen wird (weil die Mutter überfordert ist).
Das könnte ich mir durchaus auch bei bevorstehender Partnergewalt vorstellen, also dem psychisch/finanziell fertiggemachten Mann Hilfe anbieten, bevor er durchdreht.

Aber was denkt ihr wohl was passiert, wenn man einer jungen Mutter Hilfe anbietet, weil man denkt, daß sie nicht klarkommt mit der Situation oder dem Kind. Schon die vage Formulierung dieses Gedankens wird umgehend heftige Aggressionen gegen die eigene Person zur Folge haben.

Missverständnisaufklärungsservice

Daddeldu, Sunday, 12.06.2005, 18:13 (vor 7484 Tagen) @ Klaus

Als Antwort auf: Re: "Geboren, gequält, gestorben" - Fälle wie dieser sind die Spitze des Eisberg von Klaus am 12. Juni 2005 11:31:

Hallo,

Hilfe statt Strafe - hier wird das Problem überaus sichtbar. Es liegt eine Straftat vor, aber selbst die Polizei rät der Bevölkerung von einer Anzeige ab.

Moooment, es war nicht die Polizistin, die von einer Anzeige abgeraten hat, sondern die Tante vom Kinderschutzbund:

------------------------------------------------------------------------------------------------------

"Fälle wie dieser sind die Spitze vom Eisberg", sagt die Kriminalhauptkommissarin Gina Graichen, die das Kommissariat "Delikte an Schutzbefohlenen" leitet. […] Damit die Hinweise aus der Bevölkerung nicht im Ämterdschungel untergehen, hat Graichen ihre Durchwahlnummer auf die Plakate drucken lassen - mit Erfolg. Sei Beginn der Aktion sind rund 100 Anrufe bei ihr eingegangen. "Nicht jeder Anruf hat zu einer Anzeige geführt, aber …“

"Es gibt ganz klar einen Zusammenhang zwischen Armut, Vernachlässigung und Gewalt", sagt Sabine Walther, die Geschäftsführerin des Landesverbandes des Deutschen Kinderschutzbundes. […] es werde noch schlimmer kommen, sagt Walther. Die Polizei leiste zwar hervorragende Öffentlichkeitsarbeit, aber die Eltern brauchten eher Hilfe als Strafen … „Wenn ein Nachbar sieht, dass eine junge Mutter völlig fertig ist, könnte er sie fragen, ob er ihr was abnehmen kann, statt die Polizei zu rufen", so Walther

-----------------------------------------------------------------------------------------------------

Die Polizistin will die Anzeigebereitschaft durch Plakate erhöhen, die Kinderschützerin will Hilfen. Beide bewerben halt ihr Geschäftsfeld.

Gruß,

Daddeldu

powered by my little forum