Kirchentag
Kirchentags-Tagebuch
Der erste Tag
Wenn dein Kind dich morgen fragt, so lautet das Motto des Evangelischen Kirchentages. Mehr als 100 000 Besucher sind gekommen. Die Presse berichtet von 100 000 Teilnehmern. Erstmalig gibt es ein Kinderzentrum auf einem Evangelischen Kirchentag. Man rechnet mit 30 000 Kinder, Müttern und Vätern. Gerade in unserer resignativen Zeit will man Zeichen der Hoffnung setzen. Der Bundestag ist sogar mit einem eigenen Stand vertreten.
Jugendliche Teilnehmer machen auf ihre gegenwärtigen Fragen aufmerksam. Es geht es ihnen nicht nur um eine Zukunft, sondern um ihre ganz konkreten Fragen in der Gegenwart. Auch der Väteraufbruch hat seine Fragen an die gegenwärtige Politik mitgebracht. Der rasante Geburtenrückgang, die nicht aufzuhaltende Scheidungsquote und die Vernachlässigung des Vaters sollen angesprochen werden.
Dafür haben wir gestern den Messestand aufgebaut. Gemeinsam mit Mitgliedern der Kreisgruppe Hannover haben wir unsere Standtätigkeit begonnen. Vielen Besuchern sind nicht nur die Probleme bekannt. Man erinnert sich an Gesichter von Fernsehsendungen.
Unser Hauptanliegen ist es mit den Kirchentagsbesuchern verschieden Lösungsansätze zu diskutieren. Wir fragen was mit den Kindern gerade nach einer Trennung und Scheidung geschehen soll? Welche Lösungen werden gelebt, wenn sich die Eltern nicht einig sind oder sogar das Kind gegen einen Elternteil aufgebracht wird? Der Cochemer Weg war immer wieder im Gespräch. Der Ministerpräsident aus Niedersachsen fragte sogar nach Material zum Cochemer Weg.
Mit dem Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse ergab sich ein kurzes Gespräch. Die Problemen vieler Väter stand dabei im Mittelpunkt, der Fall Görgülü" aus Sachsen-Anhalt steht da nur beispielhaft. Er bekam die Väterradiosendung vom 21.01.05. Leider schloss Herr Thierse das Gespräch, indem er den Berg der Umgangsprobleme gegen den Berg der Unterhaltsprobleme aufwog. Auf die Frage, was denn das beides miteinander zu tun hätte meinte er: Es sind beides Väter, verabschiedete sich und ging.
Eine öffentliche Veranstaltung zur Chancengleichheit von Frauen und Männern wurde besucht. Man möchte die Männer für die Betreuungsarbeit gewinnen, damit die Mütter bessere berufliche Möglichkeiten haben. Ulrich Wiechers von der Kreisgruppe Paderborn machte auf die Situation der Väter aufmerksam, die gar nicht mehr die Möglichkeit einer Betreuung haben, weil viele Mütter dies nicht zulassen. Er saget: Väter würden ja gerne an der Betreuung ihrer Kinder beteiligt sein, wenn ihnen nach einer Trennung auch die Möglichkeiten dazu gegeben werden. Er erhielt dafür viel Beifall vom Publikum.
Der zweite Tag
Wenn dein Kind dich heute fragt der Väteraufbruch wurde von den Jugendlichen heute gefragt. Auffällig war die Nachfrage von Jugendlichen, die vom Streit ihrer Eltern und ihrer Angst vor Trennung und Scheidung sprachen. Katrin aus Bochum, 16 Jahre alt: Was ist, wenn meine streitenden Eltern sich trennen? Welche Rechte habe ich und wie kann es gelingen, dass ich zu beiden Kontakt halten darf? Keine Berührungsängste hatten die jungen Menschen und boten ihr tiefes Inneres an, sprachen über ihre Familiengeschichten und vor allem über ihre Gefühle dabei. Diese Gespräche spiegeln die gesellschaftlichen Verhältnisse unserer Zeit wider, Kinder und Jugendliche mit ihren Ängsten vor einer Scheidung.
Der diesjährige Kirchentag wartete mit den verschiedensten Themen auf, allerdings wurden die Themen aus der Frauenperspektive klischeehaft dargestellt. Umso wichtiger ist die Notwendigkeit der Männer, ihren Sichtweisen öffentlich stärker darzustellen. Die Folge davon war, viele Männer äußerten sich empört über die Darstellung des Mannes auf diesem Kirchentag. So hatten wir eine erhöhte Nachfrage nach Flyern zur häuslichen Gewalt, weil in einer ganzen Messehalle dieses Thema präsentiert wurde. Völlig unreflektiert und unkritisch wurden dabei die gängigen Vorurteile übernommen, Gewalt sei überwiegend männlich.
Selbst in wissenschaftlichen Vorträgen konnte die einseitige Positionierung nur für die Frauen weitgehend unwidersprochen geäußert werden. Stefan, ein junger Kirchentagsteilnehmer und Vater hat sich dann zu Wort gemeldet und seinen Unmut geäußert. Dabei wurde er zusehends wütender, wie er uns sagte. Die Messeleitung hat ihm dann unseren Stand zum abkühlen empfohlen. Auch er betonte immer wieder: Ich bin ja so froh, das ihr da seid, das kann man ja gar nicht mehr anhören.
Im Gespräch wurde schnell deutlich, auch er kann seine Kinder seit drei Jahren nicht mehr sehen. Er sagte: Das Jugendamt ergriff nur für die Mutter Partei, ich kann heute keine Benachteiligung der Frauen mehr sehen.
Die Parteilichkeit des Jugendamtes wurde auch im Fall der Menschenrechtsverletzung an Kazim Görgülü nachvollziehbar und berührte die Menschen. Sie waren sehr interessiert und sprachen uns auf unser Plakat am Messestand an. Es ist eine Geschichte der Vaterentwertung, die von sehr vielen Teilnehmern nicht nachvollzogen werden kann. Wir druckten ständig neue Flyer in dieser Sache.
Während der beiden Abende haben wir die Kreisgruppen in Hannover und in Hildesheim besucht, es gab gute Gespräche über das Vereinsleben vor Ort und im Bundesverein. Erfahrungen vieler Jahre spielten eine Rolle, aber auch die Probleme der Gegenwart wurden offen benannt.
Der dritte Tag
Der heiße Sonnabend brachte viele Teilnehmer in die Messehalle 6. Es ist nicht nur Bewegung in der Messehalle zu verspüren, sondern auch im Denken.
Eindrücklich folgende Besucher: "Ich war selbst früher in der Protokollstelle eines Gerichtes tätig. Dort musste ich oft genug Schilderungen von Müttern aufnehmen, bei denen diese versicherten, dass alles der Wahrheit entspräche. Ich war als Angestellte verpflichtet, dies so aufzunehmen, obwohl mir oft genug klar wurde, dass alles erfunden ist."
Ein Sozialpädagoge: "Bei uns gibt es Fälle mit Umgangsboykott nicht. Warum? Weil wir frühzeitig beide Eltern verbindlich in die Pflicht nehmen und sie nicht in ihrem Streit alleinlassen."
Zwei angehende Richterinnen: "Wir kennen die Probleme vom Studium. Wir sehen ein großes Problem in der mangelnden Richterfortbildung, so dass gerade Familienrichter nicht auf dem neuesten Stand der Wissenschaft sind. Aber die Mittel für Richterfortbildung werden angesichts der knappen Kassen eher noch weiter gekürzt."
Frank Sawischlewski aus der Kreisgruppe Hannover sagte am Abend dazu: "Kindergärtnerinnen die täglich mit Trennungskindern zu tun haben, informierten sich ausführlich über unsere Arbeit. Es wurde ein Konsens gerade im Motto unseres Vereins gefunden: Allen Kindern beide Eltern." Auch Jugendliche begeisterten sich, nachdem sie näheres über den Väteraufbruch erfuhren. Nahezu alle Gesprächsteilnehmer berichteten entweder von eigener Betroffenheit oder vom Erfahrungen aus dem Freundeskreis."
Rüdiger Meyer-Spelbrink: "Ein anderer Erzieher schilderte, wie er zunehmend die Folgen bei den Jugendlichen wahrnimmt. Er beobachtet, dass es immer schlimmer wird." Er sagte: "Die Vaterlosigkeit und auch Feindlichkeit wird immer deutlicher sichtbar."
Dietmar Nikolai Webel: "Die anfängliche Distanz der Arbeitsgemeinschaft für allein erziehende Mütter und Väter zum Väteraufbruch während der Vorbereitung zum Kirchentag konnten in ein offenes Verhältnis gebracht werden. Wir haben ihren Gottesdienst für Alleinerziehende besucht. Beeindruckend war wie die Lebenssituation der gescheiterten Paare im Gottesdienst ernst genommen wurde. In Hannover finden kontinuierlich solche Gottesdienste statt, vielleicht sogar mit Kreisgruppenmitgliedern des Väteraufbruch für Kinder e.V. Hannover."
Es gab ein Gespräch mit der Bundestagsabgeordneten Ina Lenke von der FDP, welche im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist. Gerade im Fall "Görgülü" wurde auch ihr die Väterradiosendung zur Geschichte des "Staatlichen Kindesraubes" mitgegeben. Über mögliche Verbesserungen der Situation vieler Väter konnte gesprochen werden, allerdings blieb in diesem Rahmen vieles sehr unkonkret. Über Sanktionen bei Umgangsboykott konnten wir uns mit ihr verständigen, was sie auch für einen nicht haltbaren Zustand hielt.
Schließlich äußerte der Kirchentagspräsident als Resümee: "Was bedeutet der Kirchentag für die Familien? Familienpolitik steht mindestens rhetorisch ganz oben auf der Agenda von Politik und Kirche. Die so genannte demographische Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat uns an einen Punkt der Ratlosigkeit, ja der Depression geführt. Eine Gesellschaft ohne Kinder hat keine Zukunft."
Für diese Zukunft stand der "Väteraufbruch für Kinder", denn ohne ein gleichwertiges Familiensystem von Mutter und Vater wird auf die Dauer die Familie absterben. Es reicht nicht aus, die Situation der Mütter zu verbessern und die Situation der Väter überhaupt nicht zu thematisieren. Wollen wir hoffen, dass Chancengleichheit für Frauen und Männer in allen Lebensbereichen auch in Berlin eine Chance hat, damit wir den Graben zwischen den Elternteilen und dem Kind nicht nur zum Abbau des Messestandes abkratzen müssen.
gesamter Thread:
- Kirchentag -
Odin,
30.05.2005, 14:50
- Re: Kirchentag -
Texaco,
01.06.2005, 03:07
- Re: Kirchentag - Jolanda, 01.06.2005, 11:29
- Re: Kirchentag -
Texaco,
01.06.2005, 03:07