Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Sigusch in "Neosexualitäten"

Arne Hoffmann, Saturday, 28.05.2005, 02:08 (vor 7502 Tagen)

Volkmar Sigusch, einer der bekanntesten deutschen Sexualwissenschaftler, erörtert in seinem neuen Buch "Neosexualitäten" (Campus 2005) unter anderem den Verlauf von Forschung und Debatte über (sexuelle und nicht-sexuelle) Gewalt in familiären und anderen Intimbeziehungen:

"Der ehemals singuläre und kranke Triebtäter wurde zum ubiquitären und normalen Geschlechtstäter, zum Vergewaltiger und Missbraucher vervielfältigt. Männer schienen nur noch geil, gewalttätig und impotent zu sein. (…) Richtete sich die Dissoziation der aggressiv-trennenden von der zärtlich-verbindenden Seite der Sexualität zunächst gegen Männer, erreichte sie bald auch alle anderen. Inzwischen sind nicht nur Frauen in heterosexuellen Beziehungen Täterinnen, womit ihnen ein Subjektstatus und nicht nur die Opferrolle zugesprochen wurde. (…) Der jüngste Versuch, Destruktion und Gewalttätigkeit aufzuspüren, besteht darin, Frauen ausfindig zu machen, die sich an Kindern vergehen, und Kinder zu erforschen, die andere Kinder sexuell missbrauchen. Und natürlich gibt es neuerdings in Skandinavien auch Heime, in die Männer flüchten, die von ihren Frauen geschlagen worden sein sollen. (…) Inbegriff des Täters ist aber nach wie vor `der Mann´, was nicht verwundert, weil sich der Patriarchalismus trotz aller Modernisierungen tendenziell fortschleppt und weil die skandalöse gesellschaftliche Benachteiligung des weiblichen Geschlechts in Zeiten ökonomischer Krisen wieder zunimmt."
(S. 32-33)

Man merkt hier natürlich, dass Sigusch aus der politischen Linken kommt (er schreibt unter anderem für den Konkret Verlag) und dass er fremdworttechnisch gern auf dicke Hose macht. Warum sollte man "allgegenwärtig" sagen, wenn es "ubiquitär" auch tut? Trotzdem finde ich diese Darstellung ganz interessant. Auch zum Thema Sexueller Missbrauch fasst Sigusch die Entwicklung der Debatte zusammen:

"Alle geschiedenen Väter sollten wieder mit ihren Kindern baden. Erwachsenen ausgeliefert zu sein, die sexualisieren und misshandeln, ist für Kinder die Hölle. In die Fallstricke des Missbrauchsdiskurses zu geraten ist für die Verdächtigten und für die durch Verhöre zusätzlich verstörten Kinder eine Vorhölle, insbesondere wenn es um Familienangehörige geht. Manfrau muss in der Praxis erlebt haben, wie Kinder mir diskursivem Geifer blindwütig von ihren Eltern getrennt, Ehen zerstört und Familien aufgelöst wurden, behördlich angeordnet, gutachterlich abgesegnet, beraterisch angezettelt, als gäbe es keine Unschuldsvermutung, als sei ein Eltern-Kind-Verhältnis eine Nebensächlichkeit und nicht das Wichtigste von der kindlichen Welt."
(S. 149)

Bemerkenswert, dass diese Zustände immerhin im Kopf eines Forschers angekommen sind, der sein ganzes Buch über allen Ernstes das Wort "manfrau" benutzt. :-)

Amazon-Link zum Buch:
http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3593377241/qid%3D1117227814/302-4739094-7720835

Arne

Re: Sigusch in "Neosexualitäten"

susu, Saturday, 28.05.2005, 06:06 (vor 7502 Tagen) @ Arne Hoffmann

Als Antwort auf: Sigusch in "Neosexualitäten" von Arne Hoffmann am 27. Mai 2005 23:08:05:

Volkmar Sigusch, einer der bekanntesten deutschen Sexualwissenschaftler,...

Einigen vieleicht bekannt ist, daß ich ein Plattelabel names "Post-Neo-Records" betreibe. Dieser Name entstand als Reaktion auf Siguschs Begriff der "neosexuellen Revolution". Wie das Post schon andeutet geht es darum, Sigusch zu überwinden. Die Foucautsche Analyse der Arbeit von Krafft-Ebing, wird eine ebensolche der Ergüsse Siguschs folgen müssen.

Während Siguschs "Sexuelle Störungen und ihre Behandlung" die Pathologisierung von genderqueeren Personen fortschreibt, bezieht er gleichzeitig Stellung außerhalb des queer-akademischen Diskurses. Sigusch ist dabei in der Position als bekannter Sexualwissenschaftler sich formierende politische Konfigurationen als Pathologie oder Perversion zu betrachten, sein Umgang mit dem Thema ist durch eine Distanz bestimmt, die dadurch erzeugt wird, daß die eigene Verwobenheit mit Fragen des Geschlechts nicht hinterfragt wird (das ist nichts ungewöhnliches, aber durch seine herausgehobene Position in diesem Fall besonders verheerend). Um das an einem seiner Begriffe deutlich zu machen: Sigusch führt die "Zissexualität" ein, einen Begriff den er auf Hirschfelds "Cisvestiten" zurückführt. Nun gibt es ein Wort, daß seit ca. 30 Jahren verwendet wird und den gleichen Sachverhalt beschreibt: Cissexuell. Das Sigusch erklärt, er habe diesen Begriff quasi erfunden ("Ich gestatte mir hier einmal ‚Zissexualismus' und ‚Zissexuelle', ganz sachlogisch und sprachlich korrekt, einzuführen [..]" - aus "Geschlechtswechsel", Sigusch 92) ist lächerlich (Ich gestatte mir hier einmal den Begriff Jesuismus, ganz sachlogisch und sprachlich korrekt einzuführen, da es keinen Begriff gibt, der das Verlangen gegeißelt zu werden beschreiben würde...). Das Sigusch genderqueer als Sexualität begreift, zeigt auch noch mal deutlich, daß er nichts verstanden hat.

Letztlich geht es Sigusch darum genderqueere Personen aus diesem Diskurs auszuschließen, einem Diskurs, in dem es ganz konkret um sie (uns!) geht. Wir sollen uns da bitteschön an daß anpassen, was Sigusch für uns vorsieht, immerhin ist er der Experte, was unsere Leben angeht, während wir keine Ahnung haben (und das gilt erst Recht für diejenigen unter uns, die tatsächlich eine akademische Laufbahn in dieser Richtung führen). Deshalb, Sigusch wegwerfen und lieber mal Butlers "Undoing gender" lesen. Sehr empfehlenswert, weil (für Butler) unglaublich poetisch geschrieben und konzeptionell up to date (vor allem ihre Überlegungen zu loss/transformation, kinship als Beziehungsmodell und die Gedanken zu Sex [undoing gender kam im selben Amazon Paket wie "der Kick im Kopf" und es gibt da Parallelen]).

susu

Re: Sigusch in "Neosexualitäten"

Arne Hoffmann, Sunday, 29.05.2005, 22:44 (vor 7500 Tagen) @ susu

Als Antwort auf: Re: Sigusch in "Neosexualitäten" von susu am 28. Mai 2005 03:06:52:

Hi susu,

dachte mir, dass du darauf einsteigst. :-)

Ich rezensiere den Sigusch gerade für eine Szene-Zeitschrift. Die Rohfassung meiner Kritik hab ich unten mal beigefügt. Ich hab den Text aber noch nicht überarbeitet, insbesondere fehlt noch ein Schlussabsatz als Fazit. Den ergänze ich dann wohl morgen früh.

Während Siguschs "Sexuelle Störungen und ihre Behandlung" die Pathologisierung von genderqueeren Personen fortschreibt,

Das tut er? In diesem Buch zumindest kommt das nicht so zum Tragen. Aber ich hab das mal in meine Besprechung aufgenommen. Wird Sigusch unter Transsexuellen/Postgendern eigentlich intensiv diskutiert?

bezieht er gleichzeitig Stellung außerhalb des queer-akademischen Diskurses. Sigusch ist dabei in der Position als bekannter Sexualwissenschaftler sich formierende politische Konfigurationen als Pathologie oder Perversion zu betrachten, sein Umgang mit dem Thema ist durch eine Distanz bestimmt, die dadurch erzeugt wird, daß die eigene Verwobenheit mit Fragen des Geschlechts nicht hinterfragt wird (das ist nichts ungewöhnliches, aber durch seine herausgehobene Position in diesem Fall besonders verheerend).

Ja, die eigene Verwobenheit Siguschs hätte mich auch interessiert. Ich werde manchmal ein bisschen misstrauisch, wenn sich Leute hinter allzu gestelzter Phraseologie verbergen. Andererseits spricht man in gewissen Kreisen und nach intensiver Lektüre wohl so; die Butler und du selber, ihr seid für viele ja auch oft recht unzugänglich.

Um das an einem seiner Begriffe deutlich zu machen: Sigusch führt die "Zissexualität" ein, einen Begriff den er auf Hirschfelds "Cisvestiten" zurückführt. Nun gibt es ein Wort, daß seit ca. 30 Jahren verwendet wird und den gleichen Sachverhalt beschreibt: Cissexuell. Das Sigusch erklärt, er habe diesen Begriff quasi erfunden ("Ich gestatte mir hier einmal ‚Zissexualismus' und ‚Zissexuelle', ganz sachlogisch und sprachlich korrekt, einzuführen [..]" - aus "Geschlechtswechsel", Sigusch 92)

So spricht Sigusch in diesem Buch auch, wobei das allerdings zum Teil ohnehin eine Zusammenstellung älterer Texte zu sein scheint. So ein Neuaufguss, wie ihn auch Alice Schwarzer mit ihren Büchern manchmal macht.

Dass Sigusch genderqueer als Sexualität begreift, zeigt auch noch mal deutlich, daß er nichts verstanden hat.

Du meinst, er betrachtet das als sexuelle Erlebnisform wie meinethalben den Sadomasochismus, und in Wahrheit ist es eine Form von Identität?

(…) Deshalb, Sigusch wegwerfen und lieber mal Butlers "Undoing gender" lesen.

Ich hab mir gerade mal die Inhaltsangabe durchgelesen. Butler setzt sich mit Willa Cather auseinander? Hört sich spaßig an.

Sehr empfehlenswert, weil (für Butler) unglaublich poetisch geschrieben und konzeptionell up to date (vor allem ihre Überlegungen zu loss/transformation, kinship als Beziehungsmodell und die Gedanken zu Sex [undoing gender kam im selben Amazon Paket wie "der Kick im Kopf"

Wenn ich Sigusch bei Amazon verlinke, muss ich das natürlich auch mit dem "Kick im Kopf" tun, so Leid es mir tut. *hüstel* ;-)

http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3896024558/qid%3D1117385074/302-4739094-7720835

und es gibt da Parallelen]).

Zwischen der Butler und meinem "Kick"? Erzähl mal! :-)

Herzliche Grüße

Arne

***********

der Rohentwurf meiner Rezension:

Volkmar Sigusch: Neosexualitäten. Über den kulturellen Wandel von Liebe und Perversion. Paperback Campus 2005, 225 Seiten, ISBN: 3593377241, 24,90 Euro

Warum können sich Sexualforscher wie Kurt Starke und Gunter Schmidt eigentlich klar ausdrücken und Sigusch muss unbedingt brabbeln? Tatsächlich ist die Dichte auch wenig bekannter Fremdwörter (Dispersion, katexochen, Topoi, hylomorph …) in diesem Buch derart groß, dass sie nicht nur den Zugang zum eigentlich Gesagten verstellt. Dem Leser drängt sich auch ein bisschen der Verdacht auf, dass Sigusch hier bewusst auf dicke Hose macht, weil er in der Sache nicht so arg viel zu sagen hat. Handelt es sich vielleicht nur um "eleganten Unsinn", um mit Sokal und Bricmont zu sprechen?
Ganz so ist es erfreulicherweise nicht. Natürlich pflegt Sigusch die Pose und die grandiose Selbstinszenierung. (Ob er sich etwa zu Recht die Erfindung des Begriffes/Konzepts "Zissexualität" zuschreibt, gilt als sehr umstritten.) Bleibt man aber trotz dieses pompösen Getues am Text dran, statt gleich zu vermuten, dass der Kaiser keine Kleider trage, stößt man immerhin auf einige durchaus diskussionswürdige Thesen – auch wenn sie manchmal mit der Geburtszange hervorgeholt werden müssen und von Sigusch lediglich angerissen werden. Häufig ranken sich um sexuelle Spielarten, die oft den Randbereichen zugeschrieben werden und die man früher als „Perversionen“ bezeichnete: vom altvertrauten Sadomasochismus bis zu weniger bekannten Varianten wie Sitophilie, Shrimping und Zipper Sex. Dabei ist Sigusch zufolge die Perversion "das Positiv der Normalität" – nicht deren Verdrehung und Verkehrung, sondern ihre Überhöhung und Steigerung ins Extreme: "Niemand hat das bisher zu schreiben gewagt: dass die Lust, die aus einer Perversion gezogen werden kann, einzigartig ist." Oft geht es Sigusch aber auch um die Entwicklung der Sexualität im allgemeinen.
Dass wir es momentan mit einer Kommerzialisierung und Banalisierung von Sex zu tun haben, der zu einem großen Teil auf Selbstinszenierung beruht, ist nun noch keine umwälzende Erkenntnis, sondern findet sich heute in jedem zweiten Kommentar zur Love Parade oder zum CSD. Kühner sind da schon Thesen wie die folgenden:
- In zwei oder drei Generationen würden wohl auch sodomistische Lebenspartnerschaften rechtlich und gesellschaftlich anerkannt werden, auch wenn man dafür wohl euphemistische Umschreibungen wie "tierliebende Beziehungen" oder "Mensch-Tier-Partnerschaften" wählen würde.
- Potenzmittel wie Viagra besäßen kein biochemisch ähnlich erfolgreich wirkendes Gegenstück für Frauen, da es in unserer Kultur keinen Signifikanten gebe, der dem Phallus an symbolischer Durchschlagskraft gleichgestellt sei.
- Je rasender bei Fällen von sexuellem Missbrauchs oder Sexualmords an Kindern das "Rübe ab!" ausfalle, desto deutlicher zeige sich das Verlangen, mit der individuellen Katastrophe die kollektive Katastrophe der Gewalt gegen Kinder in unserer Gesellschaft zu verdrängen: Stehe doch beispielsweise einem Hund hierzulande rechtlich mehr Wohnfläche zu als einem Kind. Und: "Pro Jahr sterben bei uns 1400 bis 1600 Kinder im Straßenverkehr, während vier bis sechs Kinder aus offenbar sexuellen Motiven getötet werden. In den Medien wird aber ein ganz anderes Bild erzeugt."
- Nachdem die Sexualität durch Enttabuisierung, Entmystifizierung, Komerzialisierung und permanenter öffentlicher Präsentation an sozialer Sprengkraft verloren hat, dürfte in Zukunft an ihre Stelle die Kraft der Gewalt treten, um noch den ersehnten Kick und Thrill zu erleben.
(…)

Sigusch

susu, Monday, 30.05.2005, 03:59 (vor 7500 Tagen) @ Arne Hoffmann

Als Antwort auf: Re: Sigusch in "Neosexualitäten" von Arne Hoffmann am 29. Mai 2005 19:44:15:

Huhu Arne

dachte mir, dass du darauf einsteigst. :-)
Ich rezensiere den Sigusch gerade für eine Szene-Zeitschrift. Die Rohfassung meiner Kritik hab ich unten mal beigefügt. Ich hab den Text aber noch nicht überarbeitet, insbesondere fehlt noch ein Schlussabsatz als Fazit. Den ergänze ich dann wohl morgen früh.
[quote][quote]Während Siguschs "Sexuelle Störungen und ihre Behandlung" die Pathologisierung von genderqueeren Personen fortschreibt, [/quote][/quote]
Das tut er?

Das Buch ist der Standard, was in Deutschland die Therapie bzw. "Therapie" von GID angeht. Wen jemand einen Psycholgen aufsucht, der sich mit der Thematik nicht aktuell befasst hat, ist Siguschs Buch das Werk, in dem er nachschlägt.

In diesem Buch zumindest kommt das nicht so zum Tragen. Aber ich hab das mal in meine Besprechung aufgenommen. Wird Sigusch unter Transsexuellen/Postgendern eigentlich intensiv diskutiert?

Nicht in so einem starken Außmaß. Ich kenne einige die "Geschlechtswechsel" gelesen haben und dannacht hat eigentlich niemand mehr große Lust, sich mit Sigusch zu beschäftigen. Zumal jener sich wie gesagt umgekehrt nicht die Mühe macht unserem Diskurs überhaupt zu folgen.

Ja, die eigene Verwobenheit Siguschs hätte mich auch interessiert. Ich werde manchmal ein bisschen misstrauisch, wenn sich Leute hinter allzu gestelzter Phraseologie verbergen. Andererseits spricht man in gewissen Kreisen und nach intensiver Lektüre wohl so; die Butler und du selber, ihr seid für viele ja auch oft recht unzugänglich.

Das stimmt, aber, um mal ein sehr fragiles wir zu konstruieren, Butler und ich sind eben explizit mit unserer Position verwoben. Und das auch recht öffentlich. Auf der anderen Seite besteht der Versuch an unseren Positionen allgemeine Themen aufzuhängen. Bei Sigusch habe ich den Eindruck er schiebt das was er betrachtet so weit von sich weg, wie es nur geht.

So spricht Sigusch in diesem Buch auch, wobei das allerdings zum Teil ohnehin eine Zusammenstellung älterer Texte zu sein scheint. So ein Neuaufguss, wie ihn auch Alice Schwarzer mit ihren Büchern manchmal macht.

Ich glaube Sigusch hat seit über 10 Jahren keine neue Idee mehr gehabt.

Du meinst, er betrachtet das als sexuelle Erlebnisform wie meinethalben den Sadomasochismus, und in Wahrheit ist es eine Form von Identität?

Na ja, teilweise ja auch die Zurückweisung von Identität. Nur hat das eben nicht zwingend irgendetwas mit Sexualität zu tun. Irgenwie entspricht er da dem Klichee des Psyvhoanalytikers der sagt "Sie essen gerne Gummibärchen. Aha. Das heißt sie wollen ihren Vater schwängern".

Ich hab mir gerade mal die Inhaltsangabe durchgelesen. Butler setzt sich mit Willa Cather auseinander? Hört sich spaßig an.

Hab´s noch nicht ganz durch und finde auch keine Referenz im Sachregister (jedes Buch sollte ein Sachregister haben *g*)

Zwischen der Butler und meinem "Kick"? Erzähl mal! :-)

"Moreover, fantasy is part of the articualtion of the possible; it moves us beyond what is merely actual and presen into a realm of possibility, the not yet actualized or the not actualizable. The struggle to survive is not seperable from the cultural life of fantasy, and the foreclosure of fantasy - through censorship, degradation, or other means - is one strategy for providing for the social death of persones."

Vieleicht ist es zwingend für jede Philosophische Betrachtung von Sexualität, daß sie erst mal vom Kopf ausgeht (Andererseits gibt´s ja Descartes [oder doch Voltaire? Mal Nachschlagen...], der die sexuelle Fantasie in seinen ethischen Überlegungen mit Vergewaltigungen gleichstellte.).

der Rohentwurf meiner Rezension:
Häufig ranken sich um sexuelle Spielarten, die oft den Randbereichen zugeschrieben werden und die man früher als „Perversionen“ bezeichnete: vom altvertrauten Sadomasochismus bis zu weniger bekannten Varianten wie Sitophilie, Shrimping und Zipper Sex. Dabei ist Sigusch zufolge die Perversion "das Positiv der Normalität" – nicht deren Verdrehung und Verkehrung, sondern ihre Überhöhung und Steigerung ins Extreme: "Niemand hat das bisher zu schreiben gewagt: dass die Lust, die aus einer Perversion gezogen werden kann, einzigartig ist." Oft geht es Sigusch aber auch um die Entwicklung der Sexualität im allgemeinen.

Auch wenn er selbst es gern so gehabt hätte: Niemand war Foucault nicht...

Dass wir es momentan mit einer Kommerzialisierung und Banalisierung von Sex zu tun haben, der zu einem großen Teil auf Selbstinszenierung beruht, ist nun noch keine umwälzende Erkenntnis, sondern findet sich heute in jedem zweiten Kommentar zur Love Parade oder zum CSD.

Eigentlich ist es sogar ein Rückschritt. Aktuell wäre eine historische Analyse die herausarbeitet das Sexualität schon immer zum größten Teil auf Selbstinszenierung beruht.

Kühner sind da schon Thesen wie die folgenden:
- In zwei oder drei Generationen würden wohl auch sodomistische Lebenspartnerschaften rechtlich und gesellschaftlich anerkannt werden, auch wenn man dafür wohl euphemistische Umschreibungen wie "tierliebende Beziehungen" oder "Mensch-Tier-Partnerschaften" wählen würde.

Das halte ich für Unfug. Damit diese Partnerschaften rechtlich annerkannt werden könnten, müsten die Tiere erstmal rechtsgültige Verträge abschließn können, also bestimmte Rechte erwerben. Katzen würden Whiskas kaufen, aber welche Partei würden sie wählen?

- Potenzmittel wie Viagra besäßen kein biochemisch ähnlich erfolgreich wirkendes Gegenstück für Frauen, da es in unserer Kultur keinen Signifikanten gebe, der dem Phallus an symbolischer Durchschlagskraft gleichgestellt sei.

Hä? Und Heroin macht abhängiger als XTC, weil eine Spritze ein Pallussymbol ist, eine Pille aber nicht? Wenn er Lacan doch wenigsten verstanden hätte...

- Je rasender bei Fällen von sexuellem Missbrauchs oder Sexualmords an Kindern das "Rübe ab!" ausfalle, desto deutlicher zeige sich das Verlangen, mit der individuellen Katastrophe die kollektive Katastrophe der Gewalt gegen Kinder in unserer Gesellschaft zu verdrängen: Stehe doch beispielsweise einem Hund hierzulande rechtlich mehr Wohnfläche zu als einem Kind. Und: "Pro Jahr sterben bei uns 1400 bis 1600 Kinder im Straßenverkehr, während vier bis sechs Kinder aus offenbar sexuellen Motiven getötet werden. In den Medien wird aber ein ganz anderes Bild erzeugt."

Das scheint mir vernünftiger. Wobei dann doch anzumerken wäre, daß sexueller Mißbruch meist nicht tödlich endet.

- Nachdem die Sexualität durch Enttabuisierung, Entmystifizierung, Komerzialisierung und permanenter öffentlicher Präsentation an sozialer Sprengkraft verloren hat, dürfte in Zukunft an ihre Stelle die Kraft der Gewalt treten, um noch den ersehnten Kick und Thrill zu erleben.

Das wiederum ist eine scharfsinnige Analyse... Es sei denn man befindet sich gerdade wo anders als vor dem Fernsehapparat auf dem gerade Clockwork Orange läuft. Gerade durch ihre Enttabuisierung und Kommerzialisierung (Entmystifizierung ist Unsinn. Die Moderne hat Sexualität mit "Wahrheit" aufgeladen und damit ihren Mythos erzeugt) gewinnt die Sexualität an sozialer Sprengkraft, weil erst das massive Bombardement mit dem "Normalen" und als Kontrast den Spengseln des "Perversen" dazu geführt hat, daß es da klare Demarkationslinien gibt.

susu

Re: Sigusch

Arne Hoffmann, Monday, 30.05.2005, 13:17 (vor 7499 Tagen) @ susu

Als Antwort auf: Sigusch von susu am 30. Mai 2005 00:59:12:

Hi susu, :-)

Das Buch ist der Standard, was in Deutschland die Therapie bzw. "Therapie" von GID angeht. Wen jemand einen Psycholgen aufsucht, der sich mit der Thematik nicht aktuell befasst hat, ist Siguschs Buch das Werk, in dem er nachschlägt.

O je! Ja, Psychologen sind oft nicht sehr hilfreich. Ich kenne einen, der ausgerechnet die Heide-Marie Emmermann als Klientin hatte und spätestens seitdem SM nur vor der Folie von Krankheit und Störung liest. Wenn er gar nicht mehr weiter weiß, beruft er sich auf Freud … :-/

Ich glaube Sigusch hat seit über 10 Jahren keine neue Idee mehr gehabt.

Das kann gut sein, ist aber auch schwer, sobald man zu einem Thema mal ausführlich Position bezogen hat. Von mir erfolgten in den letzten Jahren auch keine umwälzend neuen Erkenntnisse zur Männerfrage; ich komme auch immer wieder auf meine Grundthesen zurück. (Mit ein Grund, warum ich ständig auch zu anderen Themen schreibe, bei denen ich noch eher neue Gedanken entwickeln kann.)

Irgenwie entspricht er da dem Klichee des Psyvhoanalytikers der sagt "Sie essen gerne Gummibärchen. Aha. Das heißt sie wollen ihren Vater schwängern".

Das ist ein klasse Beispiel. :-)

Hab´s noch nicht ganz durch und finde auch keine Referenz im Sachregister (jedes Buch sollte ein Sachregister haben *g*)

Unbedingt! ;-)

"Moreover, fantasy is part of the articualtion of the possible; it moves us beyond what is merely actual and presen into a realm of possibility, the not yet actualized or the not actualizable. The struggle to survive is not seperable from the cultural life of fantasy, and the foreclosure of fantasy - through censorship, degradation, or other means - is one strategy for providing for the social death of persones."

Ah, okay, das erinnert mich an mein Vorwort im "Kick".

- Potenzmittel wie Viagra besäßen kein biochemisch ähnlich erfolgreich wirkendes Gegenstück für Frauen, da es in unserer Kultur keinen Signifikanten gebe, der dem Phallus an symbolischer Durchschlagskraft gleichgestellt sei.
Hä? Und Heroin macht abhängiger als XTC, weil eine Spritze ein Pallussymbol ist, eine Pille aber nicht?

Auch diese Frage bringt den Sigusch-Unfug klasse auf den Punkt. Gott ja, auch etwas, was mich am Trivialfeminismus damals so abgestoßen hatte: dieser ganze Phallus-Kult selbst in den gesuchtesten Zusammenhängen …

(Entmystifizierung ist Unsinn. Die Moderne hat Sexualität mit "Wahrheit" aufgeladen und damit ihren Mythos erzeugt)

Hier muß ich zugeben, dass das Wort "Entmystifizierung" von mir stammt. Sigusch schreibt wörtlich "Enträtselung".

Das Problem bei deinen Antworten ist, dass ich jetzt guten Gewissens meine ursprüngliche Rezension nicht mehr so schreiben kann wie geplant. :-) Ich schick dir gleich eine Mail mit der aktuellen Fasung und der Frage, in welcher Form und unter welchem Namen du deine Einflüsse gewürdigt sehen möchtest. Leider krieg ich da selber keine Kohle für, ich mach das so nebenher.

Freundliche Grüße

Arne

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