Interview mit Bundes-Frauenministerin Schmidt
Neue Chance für Männer
Frauenförderung ohne Gesetzes-Keule: Familienministerin Renate Schmidt glaubt an die besondere Qualität weiblicher Fähigkeiten.
Unternehmen sollten sie für sich nutzen, meint die Politikerin.
Der Bundeskanzler hat das Gesetz zur Gleichstellung von Frauen in der Privatwirtschaft in der vergangenen Wahlperiode gestoppt. Wie wollen Sie das Thema jetzt wieder vorantreiben?
Ich werde mich genau an das halten, was in der Koalitionsvereinbarung steht: dass wir die EU-Richtlinien zur Gleichstellung der Frauen in der Privatwirtschaft umsetzen werden. In der EU-Richtlinie ist viel von "soll" und "kann" die Rede. Darin steht aber auch konkret, dass wir bis 2005 eine nationale Gleichstellungsstelle einrichten müssen.
Gibt es dafür schon Vorbilder?
Unser Nachbarland Österreich hat bereits eine solche Stelle mit sehr guten Erfolgen. Und zwar auch mit der Zielsetzung, die Frauenförderung tatsächlich voran zu bringen, den Gang zum Arbeitsgericht aber möglichst zu verhindern.
Wie soll das in Deutschland aussehen?
Darüber möchte ich mit den Gewerkschaften und Arbeitgebern sprechen und auch Konsens mit ihnen erreichen. Ich möchte beide in eine solche nationale Anlaufstelle einbeziehen. Eine weitere EU-Richtlinie schreibt vor, dass mittelbare Diskriminierung verhindert werden soll.
Was bedeutet das?
Die Frage der sexuellen Diskriminierung haben wir bereits geklärt. Wenn jemand seinen Mitarbeiterinnen an die Blusen geht, dann kriegt der vom Gesetzgeber was auf die Finger - und zwar zu Recht. Mittelbare Diskriminierung bedeutet: Wenn zum Beispiel dauernd irgendwelche blöden Witze gemacht werden und sich jemand in seiner Würde beeinträchtigt fühlt, dann muss das nach der EU-Richtlinie auch geahndet werden. Da werden wir uns mit den Ministerinnen und Ministern auf europäischer Ebene verständigen und Regelungen schaffen.
Das ursprüngliche Gleichstellungsgesetz in der Privatwirtschaft ist also vom Tisch?
Die Umsetzung dieser EU-Richtlinie und die Gleichstellung möchte ich voranbringen und den Kanzler vor Vorwürfen in Schutz nehmen. So wie das Gleichstellungsgesetz ursprünglich vorgesehen war gibt es das nirgendwo in Europa. Stattdessen hat der Bundeskanzler im Betriebsverfassungsgesetz dafür gesorgt, dass die Betriebsräte entsprechend der Vertretung der Geschlechter im Betrieb zusammengesetzt sind. Das haben die Gewerkschaften sehr positiv aufgenommen. Der Betriebsrat hat nun auch die konkrete Aufgabe, für die Gleichstellung zu sorgen. Und der Unternehmer muss jährlich einmal über seine Bemühungen zur Gleichstellung im Betrieb berichten. Beide Parteien, Betriebsrat und Arbeitgeber, müssen sich über Personalplanung und Gleichberechtigung verständigen.
Wird das denn auch in der betrieblichen Praxis umgesetzt?
Da würde ich gerne mit den Gewerkschaften reden, wie weit sie gekommen sind, das Betriebsverfassungsgesetz umzusetzen. Mein Ziel ist, die Gleichstellung nicht im Konflikt zu regeln. Ich möchte möglichst viele ins Boot holen. Es gibt so viele Möglichkeiten zur Umgehung gesetzlicher Regeln, dass das Drohen mit dem Gesetzes-Knüppel nur wenig hilft. Was wir brauchen sind Mentalitätsveränderungen und das Erkennen des eigenen betrieblichen Nutzens, Frauen in allen Bereichen der Wirtschaft die ihnen und ihrer Ausbildung gebührende Position einzuräumen.
In welchen Branchen sehen Sie besonderen Handlungsbedarf?
Ich sehe überall Handlungsbedarf. Wir haben einen viel zu geringen Anteil von Frauen in Führungspositionen - und zwar quer durch die Privatwirtschaft; deutlich niedriger als in vergleichbaren Ländern. In anderen Ländern, auch außerhalb der EU, sagen die Betriebe: Für uns sind die Frauen von erheblicher Bedeutung für den Erfolg des Betriebes. Frauen haben andere Fähigkeiten - ob die angeboren, angelernt oder anerzogen sind, ist mir egal. Aber die Fähigkeiten von Frauen zu vernetztem Denken und zur Teamarbeit - das sind moderne Führungselemente. Es gibt sogar Untersuchungen, die zeigen, dass Unternehmen mit einer Frau an der Spitze erfolgreicher sind als mit Männern.
Die Frau, das bessere Wesen?
Ich will jetzt nicht übertreiben. Aber ich glaube, dass vernünftige Ergebnisse erzielt werden, wenn die Fähigkeiten von allen Menschen zum Tragen kommen - egal ob in der Politik, in der Wirtschaft oder im Ehrenamt.
Der Zukunftsforscher Matthias Horx sagt, die Frauen seien der "Megatrend des Jahrhunderts", und die Zukunft gehöre den Frauen. Sehen Sie das ebenso?
Freilich. Das muss Männern aber keine Angst machen. Wenn Frauen nicht nur mehr Rechte haben und verwirklichen, übernehmen sie auch Pflichten. Darin liegt eine Chance für die Männer. Sie können ihr Spektrum erweitern und müssen ihre Selbstbestätigung und ihren Erfolg nicht nur aus dem Beruf ableiten. Sie haben die Möglichkeit, sich mehr um ihre Kinder zu kümmern und das Leben in seiner Breite zu erfahren. Dass Männer ihr Lebensgefühl viel zur stark aus dem Beruf beziehen, zeigt sich zum Beispiel bei der Arbeitslosigkeit. Studien zeigen, dass Männer darunter noch viel stärker leiden als Frauen: Männer fühlen sich unnütz, wenn sie arbeitslos sind - Frauen fühlen sich nie unnütz.
(Rheinische Post vom 7.12.2002)
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08.12.2002, 12:31
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