Gemeinsamer Weg aus der Gewaltspirale (Artikel)
Ein Artikel von Sylvia Meise für den "Wiesbadener Kurier" vom 14.11.2002, Seite 2, online unter http://www.main-rheiner.de/archiv/objekt.php3?artikel_id=1018324:
Gemeinsamer Weg aus der Gewaltspirale
In Groß-Gerau leistet das Diakonische Werk "Täterarbeit" an prügelnden Männern
Groß-Gerau. "Was? Du hast deine Frau geschlagen?!" Seine Freunde waren entsetzt, später gestanden ihm die meisten, dass es ihnen auch schon so ergangen sei. "Das hat mich dann schon erschreckt", erinnert sich Kai Wenzel, der von sich aus Hilfe suchte und deshalb in der Gruppe "schlagender Männer" im Diakonischen Werk Groß-Gerau betreut wird. Seit fünf Jahren leistet das Beraterteam dort "Täterarbeit" und ist Teil des "Hilfesystems" des Landkreises, einem Zusammenschluss verschiedener Einrichtungen von Diakonie über Justiz bis Frauenhaus, der unter dem Motto "Gegen Gewalt an Frauen in der Familie" zustande kam.
Diese Kooperation ist gerade für die Umsetzung des neuen Gewaltschutzgesetzes hilfreich. Danach nämlich gelten Männer (und Frauen), die zu Hause zuschlagen, als Straftäter. Ende August hat der hessische Landtag dazu ein entsprechendes Polizeigesetz verabschiedet, das den Beamten nun den Hausverweis ermöglicht: Bis zu 14 Tage können Familienmitglieder, die Gewalt ausüben, aus ihrer Wohnung gewiesen werden. Zwanzig Jahre habe es gedauert, bis "häusliche Gewalt zum Offizialdelikt wurde", unterstreicht die Leiterin der diakonischen Täterarbeit, Cornelia Brand-Wittig. Doch noch immer sei Gewalt ein gesellschaftliches Tabu, was auch für die Auseinandersetzung mit "Tätern" gelte. Sie erklärt deshalb nicht zum ersten Mal, was sie daran unverzichtbar findet, den Aspekt der Prävention: Gerade weil die Sympathie den Opfern gehöre, müsse der Weg aus der Gewaltspirale gemeinsam mit den Tätern gesucht werden. Worte finden statt zuschlagen, Verhaltensmuster ändern wer hier mitarbeitet, will künftig Gewalt vermeiden.
Zwei Drittel der Männer, die den Weg zur kostenlosen Täterberatung finden, sind "Selbstmelder", die aus eigenem Antrieb um einen Termin bitten. Ein Drittel, so die hausinterne Statistik, sind "Fremdmelder" das bedeutet, sie werden von der Staatsanwaltschaft zur Beratung geschickt. .
Zwar sind es überwiegend Männer, die Gewalt in der Familie ausüben, doch die Therapeuten beobachten, dass vermehrt auch Frauen handgreiflich werden. Etwa bei einem italienischen Paar, das seit kurzem von Brand-Wittig und Reinhold Roth begleitet wird. Zuerst, so Roth, "kam die Frau und zeigte unter Klagen blaue Flecken am Arm". Sofort zum Arzt gehen, Attest ausstellen lassen und Polizei einschalten, lautete die Empfehlung der Berater. "Tags darauf hatten wir den Mann hier", erzählt Roth weiter, der habe die Vorkommnisse ganz anders geschildert. Die blauen Flecken am Arm seien nicht durch ihn entstanden, sondern durch eine Spritze beim Arzt. Dann streifte der Mann das Hosenbein hoch und zeigte dem verblüfften Gesprächspartner eine Bisswunde von seiner Frau. Der Vorfall stellt das Klischee von Täter und Opfer auf den Kopf.
Die Aufarbeitung des Geschehenen sei wichtig, meint Brand-Wittig, die Analyse: Wie kam es zu der Eskalation? Warum hat der Mann zugeschlagen? Welche Konflikte schwelen unter der Oberfläche? Keiner von den Männern wolle seiner Partnerin wirklich weh tun, ist Brand-Wittig überzeugt, denn "bis auf ganz wenige haben alle, die herkommen, ein Unrechtsgefühl". Das Bedürfnis, eine Trennung zu vermeiden, sei groß. "Deswegen ist die Täterarbeit, die wir machen, eine wichtige Hilfe für die Erhaltung von Familien". Brand-Wittig versteht die Arbeit ihres Hauses auch als Beitrag zur ökumenischen Dekade mit dem Ziel der "Überwindung von Gewalt" ebenso wie zum "Jahr der Familie".
Für die Zukunft hat sie konkrete Vorstellungen: eine wissenschaftliche Begleitung durch die Evangelische Fachhochschule, um gezielter auf die Betroffenen eingehen zu können. Gut wäre auch ein bundesweiter Vergleich, meint Brand-Wittig. Zudem soll es mittelfristig eine "Männerzuflucht" geben, ein Pendant zum Frauenhaus. Der Bedarf entstehe durch die Umkehrung der bisherigen Situation: "Wenn die Männer gehen müssen, wo sollen sie denn hin?"
gesamter Thread: