Wann ist ein Junge ein Junge?
Der junge Mann ist gegenüber der jungen Frau klar benachteiligt.
DÜSSELDORF. Mädchen haben es schwer. Das "schwache Geschlecht" ist benachteiligt, wenn es um Bildungsschancen und berufliche Perspektiven geht. Von wegen: Jungen haben es viel schwerer, von Gleichberechtigung keine Spur. Das gilt zumindest für die Situation an den Schulen des Landes. Ein Blick in die neuesten NRW-Statistiken zeigt: Jungen sind gegenüber Mädchen deutlich benachteiligt.
So hat es ein männlicher Schüler viel schwerer, den direkten Bildungsweg zum Abitur einzuschlagen. Der Anteil der Jungen, die von ihrem Grundschullehrer eine Empfehlung für das Gymnasium bekommen, lag zum Schuljahreswechsel 2001/2002 runde sechs Prozent unter dem der Mädchen. Nahezu umgekehrt sah es bei den den Hauptschul-Empfehlungen aus.
Männlich stark und weiblich sanft
Der Trend setzt sich mit dem Abschluss fort: 8,5 Prozent der Jungen verlassen nach aktuellen Zahlen nordrhein-westfälische Schulen ohne Abschluss, bei den Mädchen sind es nur 4,9 Prozent. Und sechs Prozent weniger Jungs als Mädels haben nach dem letzten Gong ein Abitur in der Tasche.
Erklärungen? Jungen haben es schwerer, weil sie einerseits männlich-stark, robust und selbstbeherrscht sein sollen, um sich im Leben durchzusetzen. Aber sie sollen auch weiblich-sanft, emotional und einfühlsam sein, damit sie mit sich selbst und anderen gut auskommen. "Wann ist ein Mann ein Mann?", fragt nicht nur Grönemeyer. Nach den Eltern-Ratgebern "Lauter starke Jungen" und "Lauter starke Mädchen", so ist es für Jungen sehr viel schwieriger, alte und neue Geschlechterrollen auszuleben. Jungen scheinen sich immer mehr zum Sorgenkind in Familie und Kindergarten zu entwickeln. Sie sind aggressiver, lauter und streitsüchtiger als Mädchen und reden weniger mit anderen. Sie seien häufig anstrengender zu erziehen, schreiben Jan-Uwe Rogge und Bettina Mähler in ihrem Elternbuch über Jungen. Söhne sollen gleichzeitig neue und alte Geschlechter-Rollen leben. Und die widersprechen sich oftmals: Sind Jungen sehr durchsetzungsfähig, gelten sie als rücksichtslos. Zeigen sie dagegen Gefühle, so haben Eltern Angst, sie würden das Leben nicht meistern. Dass es für Mädchen einfacher ist, typisch männliche Eigenschaften zu übernehmen als umgekehrt, sieht auch die Autorin desMädchen-Ratgebers, Sylvia Schneider: Spielt die Tochter mit Lastautos, wird sie gelobt. Ein Junge, der mit einer Babypuppe knuddelt, wirkt hingegen "befremdlich". Schon die Geburtsstatistik sieht für Jungen recht düster aus: Männliche Embryos sind weitaus anfälliger als weibliche. Jungen leiden häufiger unter vorgeburtlichen Schäden, Lese-Rechtschreib-Schwäche, Hyperaktivität, Autismus und Stottern. Sie bleiben doppelt so oft sitzen.
Auch im NRW-Schulministerium ist spätestens mit der Pisa-Studie die Erkenntnis angekommen, dass es Jungen schwer haben: Die Probleme, die Schülerinnen mit den Naturwissenschaften haben, sind viel kleiner, als die Schwierigkeiten, die Jungen mit dem Lesen und dem Schreiben haben.
Reflexive Koedukation
"Vorwiegend ist das ein Problem der Sozialisation", sagt auch Ralph Fleischhauer, Sprecher des NRW-Schulministeriums. Um dem entgegen zu wirken, empfiehlt die Landesregierung eine "reflexive Koedukation". Hört sich nach modernen Zeiten an, meint aber alte, in denen Mädchen und Jungen noch getrennt voneinander unterrichtet wurden. Zumindest in Teilbereichen soll jetzt wieder geschlechtsspezifisch gefördert werden. Auch für Rogge und Mähler hat die Einführung der gemischten Klassen zu einer ungewollten Bevorzugung der Mädchen geführt. Langes Stillsitzen und diszipliniertes Reden falle Mädchen leichter. Jungen dagegen brauchten klare Strukturen und ein mehr körperbetontes Arbeiten. Typische Eigenschaften für die Jungen von heute, an denen sie sich lebensnah orientieren können, fehlen. Da kann von Gleichberechtigung nun wahrlich nicht die Rede sein. (NRZ/epd)