neue deutsche Studie: Frauen in Partnerschaften gewalttätiger als Männer?
Die aktuellen "Männer-News" des Männerrats Berlin verweisen auf eine aktuelle Studie, in der Männer mehr als doppelt so häufig wie Frauen angaben, Opfer häuslicher Gewalt geworden zu sein.
--- Sind Frauen in Partnerschaften gegenüber ihren Männern gewalttätiger als umgekehrt? Dies läßt zumindest eine Untersuchung von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt vermuten.
Gegenstand dieser Studie ist körperliche Gewalt in Familienhaushalten - mit zwei biologischen und/ oder sozialen Elternteilen - mit Kindern im Jugendalter mit den Ausschnitten "Partnergewalt" (Mann-Frau- und Frau-Mann-Gewalt) sowie "Eltern-Kind-Gewalt". Diese Studie wurde im März diesen Jahres durchgeführt von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
In jeder dritten Familie mit Kindern im Jugendalter wird körperliche Gewalt ausgeübt. Meist sind davon Kinder betroffen; in sechs Prozent der Familien richtet sich die Gewalt gegen den Partner. Dabei zeigt sich, dass Männer öfter angeben, Opfer körperlicher Gewalt durch den Partner geworden zu sein, als Frauen. Bei der Eltern-Kind-Gewalt bestätigt sich die Annahme vom "Kreislauf der Gewalt".
In den 80er-Jahren, vor allem in der zweiten Hälfte, nahm die Sensibilität für innerfamiliale Gewalt zu. Gewalt in der Partnerschaft wurde ebenso als Thema entdeckt wie Gewalt gegen Kinder. Beide wurden Gegenstand der empirischen Prävalenz- und Ursachenforschung. Seit Anfang der 90er-Jahre untersuchen auch Jugend- und/oder Schulgewaltstudien die Auswirkung familialer Gewalterfahrung auf das Gewalthandeln. Nach einer Repräsentativstudie Anfang der 90er-Jahre wiesen etwa ein Fünftel der Familien in Deutschland einen deutlich gewaltbelasteten Umgang mit ihren Kindern auf. Eine Städtevergleichsuntersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachen (KfN) ermittelte, dass gut vier Zehntel der 15- bis 16-Jährigen, von Eltern-Kind-Gewalt betroffen waren, ein Sechstel schwer. In einer gut zehn Jahre alten Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts wird in 8% der Familien der Partner geschlagen oder geohrfeigt. Nach einer KfN-Studie erlitten zwischen 1987 und 1991 ein Siebtel der Frauen im Haushalt körperliche Gewalt, 1,1% sexuelle Gewalt und 1,5% beides.
In einem Lehrforschungsprojekt im Rahmen der praktischen quantitativen Methodenausbildung für Soziologiestudierende an der KU wurde nun eine weitere Studie zur Gewalt in der Familie am Lehrstuhl für Soziologie II durchgeführt. Erhoben wurden die Daten mit Hilfe der computerunterstützten telefonische Befragung (CATI). Grundgesamtheit waren Familienhaushalte in Bayern mit mindestens einem Kind im Jugendalter. Die Feldphase fand zwischen Mitte Februar und Mitte März 2002 statt. Die Befragung erfolgte im CATI-Labor der KU Eichstätt-Ingolstadt. Die bereinigte Bruttostichprobe umfasste 2008 Telefonnummern bzw. Haushalte. Die Ausschöpfungsquote betrug 62,4% (1.236 realisierte und verwertbare Interviews). Verweigert hatten 27,3% (548), die systematischen Ausfälle machten 10,4% (209) aus. Der recht gute Rücklauf ist ein Indikator dafür, dass auch sensible Themen telefonisch erhoben werden können. Gegenstand dieser Studie ist körperliche Gewalt in Familienhaushalten - mit zwei biologischen und/oder sozialen Elternteilen - mit Kindern im Jugendalter mit den Ausschnitten "Partnergewalt" (Mann-Frau- und Frau-Mann-Gewalt) sowie "Eltern-Kind-Gewalt". Erhoben wurde jeweils das Gewaltaufkommen (Prävalenz) insgesamt und jenes der letzten 30 Tage. Analytisch nähern wir uns dem Phänomen lerntheoretisch (Gewalt als erlerntes Verhalten, "Kreislauf der Gewalt"), rollentheoretisch (Männlichkeitsmodelle, Täter- und Opferrollen) und ressourcentheoretisch (Gewalt als Ergebnis unzureichender Ressourcen für die Bewältigung von Konfliktsituationen). Der vorliegende Beitrag enthält erste deskriptive Ergebnisse zur Gewaltprävalenz bei der Partner- und Eltern-Kind-Gewalt sowie Resultate zum "Kreislauf der Gewalt".
Körperliche Eltern-Kind-Gewalt seit dem formalen Eintritt der Kinder ins Jugendalter (14 Jahre) wurde in der "weichen" Form über Fragen nach heftigem Schubsen bzw. Ohrfeigen erfasst, in der schweren Formen über Schläge mit der Faust oder mit einem Gegenstand. Für die physische Partnergewalt wurde nach Schlägen mit der flachen Hand (Ohrfeige), Tritten, Schlägen mit der Faust sowie mit einem Gegenstand gefragt. Dabei interessierte sowohl die Täter- als auch die Opferseite. Aus diesen Prävalenzangaben lassen sich vier Kategorien von Haushalten bilden: Gewaltfreie, Familien mit Partnergewalt, Familien mit Eltern-Kind-Gewalt und Familien mit Eltern-Kind- sowie Partnergewalt. Den bei weitem größten Anteil machen mit 65,7% die Familien ohne jegliche physische Gewaltanwendung aus. In gut einem Drittel der Familien kam aber physische Gewalt vor, wobei alleinige Eltern-Kind-Gewalt am häufigsten ist: 28,4% aller Familien zählen zu dieser Kategorie. Ausschließliche Partnergewalt tritt in 2,4% aller Familien auf. Etwas mehr Familien sind es, bei denen es sowohl zu Partner- als auch zu Eltern-Kind-Gewalt kam (3,5%).
Der Anteil physisch gewaltbelasteter Partnerschaften beträgt also insgesamt 5,9% (73). Mit Abstand am häufigsten (72,4%) war es schon einmal zu einer Ohrfeige bzw. einem Schlag mit der flachen Hand gekommen. Bei einem Drittel der Partnerschaften (32,9%) ist der Partner bereits getreten, bei 15,1%; mit Gegenständen und bei etwa einem Zehntel mit der Faust geschlagen worden. Mehrheitlich (bei 61,6% war oder ist nur einer der Partner gewaltaktiv. D. h.: das Opfer hat sich weder körperlich gewehrt, noch ist es von sich aus körperlich gewaltaktiv geworden. Dass beide Partner gegeneinander vorgehen, kommt seltener vor (38,4%). Es ist bemerkenswert, dass Männer signifikant häufiger als Frauen angeben, schon einmal Opfer geworden zu sein (6,0% gegenüber 2,7%).
Körperliche Gewalt als Sanktion für die jugendlichen Kinder wird in etwa einem Drittel (32%) aller Familien angewandt (vgl. Abb. 3), wobei sich dies fast ausschließlich auf heftiges Wegschubsen und/oder Schläge mit der flachen Hand, also die "weicheren" Formen, beschränkt. Relativ am häufigsten, nämlich in gut einem Zehntel der Familien (11,6%), kommt das ausschließliche "heftige Wegschubsen bei einem Streit" vor, knapp dahinter liegen die Schläge mit der flachen Hand (10,1%). Zu beiden Gewaltformen haben 9,2% der Eltern in einem Konflikt mit ihren jugendlichen Kindern gegriffen. Nur 1,1% der Eltern wenden zudem noch die "härteren" Formen an - Faustschläge und Schläge mit einem Gegenstand -, entweder einzeln oder beide (dies ungeachtet der Häufigkeit und der Intensität). Väter und Mütter unterscheiden sich in ihrem Verhalten nicht wesentlich und auch das elterliche Bildungsniveau differenziert nicht weiter. Hoch signifikant ist der Zusammenhang mit der Partnergewalt: Unter denen, die schon einmal körperlich gegen den Partner vorgegangen sind, ist auch die Rate derer erheblich größer, die bei der Erziehung ihrer jugendlichen Kinder körperliche Gewalt einsetzen (60% gegenüber 30,7%; bei denjenigen, die ihren Partner nicht ohrfeigen usw.). Das heißt: Die Mehrheit derer, die schon einmal gegen den Partner physisch gewaltaktiv wurden, wird dies auch gegen die eigenen Kinder.
Die Annahme des Gewaltkreislaufes geht, lerntheoretisch begründet, davon aus, dass Personen, die in ihrer eigenen Erziehung Opfer von Gewalt ihrer Eltern wurden, bei der Erziehung der eigenen Kinder ebenfalls überproportional zur physischen Gewalt als Erziehungsmittel greifen, so dass sich Gewalt gleichsam in die nächsten Generationen sozial "vererbt". Wir wollten daher von den Eltern wissen, ob sie von ihren Eltern "öfter geohrfeigt" bzw. "auch schon einmal schwer geschlagen" worden sind. Gut die Hälfte der Befragten (53,3%) meinte, "öfter geohrfeigt" worden zu sein. Dies variiert(e) eindeutig mit der Geschlechtsgruppenzugehörigkeit: es betraf relativ mehr Männer (59,8%) als Frauen (48,9%). Merklich seltener dagegen kam es vor, dass sie in ihrer eigenen Kindheit "schwer geschlagen" wurden: für insgesamt gut ein Achtel (13,5%) traf dies zu, wobei zwischen Männern (15,9%) und Frauen (11,9%) keine statistisch gesicherten Unterschiede auftreten. Jedoch steht die erlebte Erziehungspraxis der Eltern in einem eindeutigen, wenn auch eher schwachen Zusammenhang mit der Gewaltanwendung gegen die eigenen Kinder. Eltern, die selber öfter geohrfeigt wurden, wenden bei der Erziehung ihrer Kinder häufiger physische Gewalt an (39,4%) als die selber gewaltlos Erzogenen (23,4). Genauso deutlich zeigt sich das bei den "schweren Schlägen", wo sogar 47,9% gegenüber 29,6% bei den nicht Geschlagenen zur Ohrfeige usw. greifen. Dieser Effekt ist bei den schwer geschlagenen Müttern etwas stärker ausgeprägt ist als bei den Vätern. Wer also selber auch unter Einsatz von physischer Gewalt erzogen wurde, neigt eher dazu, in der Erziehung seinerseits physische Gewalt einzusetzen. Dahinter steht kein Determinismus, aber das Risiko, so zu handeln, ist erhöht. Dass auch gewaltförmig erzogene Eltern nicht immer ihre Kinder körperlich züchtigen, ist möglicherweise eine Auswirkung des Wertewandels, der die Erziehungsziele und -praktiken beeinflusst hat: Wer zur Selbstentfaltung erziehen möchte und von der Gleichberechtigung des Kindes ausgeht, wird seltener patriarchale, an körperlicher Sanktionierung ausgerichtete Praktiken anwenden, sondern der diskursiven Problembewältigung mehr Raum geben. Andererseits bewahrt auch eine nach eigener Erinnerung physisch gewaltlose Erziehung nicht automatisch davor, die eigenen Kinder mit physischen Mitteln zu sanktionieren, sie trägt aber dazu bei, das Risiko zu senken. ---
Der Beitrag wurde erstmals veröffentlicht in Agora 1/2002, S. 8-9. Als Autoren zeichnen Jens Luedtke und Siegfried Lamnek. Er ist mit diversen den Text illustrierenden Abbildungen noch einmal im Web nachzulesen unter http://www.ku-eichstaett.de/presse/agora/artikel/familie.