offener Brief eines Vaters
aus dem Newsletter des Väteraufbruch für Kinder
offener Brief eines Vaters
Verhängnisvolle und existenzgefährdende Bestimmungen im Unterhalts- und Familienrecht
hier: Nicht-Gewährung des sog. "Selbstbehaltes"
9. Oktober 2002
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich wende mich an Sie, da ich gehört habe, dass einem unterhaltspflichtigen
Ehemann im Scheidungsfalle stets der sog. Selbstbehalt zu gewähren ist.
Dieser solle angeblich in jedem Falle über dem Sozialhilfeniveau; in vielen
Einzelfällen sogar noch deutlich darüber liegen, u.a. weil ehebedingte
Darlehen etc. bei der Ermittlung des zu leistenden Unterhaltes
berücksichtigt würden. Dieses war zumindest nachzulesen in den Antworten
aller Bundestagsparteien auf eine entsprechende Anfrage der Organisation
"Väteraufbruch" kurz vor der Wahl (vgl. Anlagen 2-4).
Diese Aussagen stehen leider in krassen Gegensatz zu den Erfahrungen, die
ich in letzter Zeit machen musste:
Seit ca. 1 ¾ Jahren wurde mir nicht ein einziges Mal der volle Selbstbehalt
gewährt: Nach Abzug eines angeblichen "Wohnvorteiles" blieb mir stets nur
ein weit unterhalb des Sozialhilfeniveaus liegender Restbetrag.
Besonders prekär war dieses auch deshalb, da meine Frau meinte, sich genau 4 Wochen vor Einzug in das in Bau befindliche Familieneigenheim von mir
trennen zu müssen. Das führte dazu, dass das Haus - aus Geldmangel - nicht
fertig gestellt werden konnte, mit der Folge, dass ich seit 1 3/4 Jahren auf ein Baustelle lebe. Wie da von einem erheblichen Wohn"vorteil" die Rede sein kann, ist mir insofern bereits schwer nachvollziehbar.
Seit ca. ½ Jahr wird mir nicht einmal mehr dieser geringe Restbetrag mehr
zugestanden. Stattdessen ist der Selbstbehalt auf einen unter Null liegenden Wert (!) eingekürzt worden. Konkret heißt das, dass ich Monat für Monat für meine geleistete Arbeit nicht einen Cent Lohn mehr erhalte, sondern für meine Berufstätigkeit jeden Monat sogar exakt 14,20 Euro zuzuzahlen habe. Erklärbar ist dieser absurde Sachverhalt nur dadurch, dass ich jetzt u.a. auch für Steuerschulden meiner Ehefrau aufzukommen haben (die in Monatsraten à 400 Euro abzutragen sind), die aber vom Gericht nicht ohne weiteres anerkannt werden.
Besonders unverständlich ist mir dabei, dass dieser Zustand offensichtlich
nicht einmal auf Fehler oder arglistige Verschleppungsversuche
zurückzuführen ist, sondern das Ergebnis eines absolut gesetzeskonformen
Handelns ist: Demnach kann ein Gericht selbst in akuten Notlagen z.B.
Unterhaltsabänderungsklagen gar nicht schnell entscheiden, sondern ist
gehalten, u.a. zunächst mehrfach (unter ausreichenden Fristsetzungen)
Stellungnahmen der Gegenseite abzufordern.
Selbst wenn das alles insofern auf dem Papier seine Richtigkeit haben mag,
halte ich eine solche Rechtspraxis für fragwürdig und mit dem Prinzip der
Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar:
Verstoß gegen Menschenrechte
Allen Ernstes: Wie können wir überall in der Welt die Einhaltung von
Menschenrechten anmahnen und zugleich in unserem Staat über den Umweg des
Unterhaltsrechtes unbemerkt eine Art Todesstrafe einführen, indem in
Trennung lebende Väter durch gesetzeskonforme Rechtspraxis im Grunde in den
Hungertod getrieben werden?
Ich weiß, was Sie denken: Was soll das, was macht der für ein Theater, nur
weil er da mal ein paar Monaten zu viel Unterhalt bezahlen muss. Schließlich ist in Deutschland noch nie jemand an Hunger gestorben. (All das habe ich bereits zu hören bekommen).
Aber bitte, ganz konkret: Wo soll ich in meiner Situation (Haus nicht fertig und unveräußerbar, Scheidung und Sorgerechtsstreit ziehen sich) denn noch Rücklagen hernehmen, - oder wer bitte soll mir entsprechende Kredite gewähren? Natürlich kann man ruhig mal ein paar Wochen fasten ohne gleich zu verhungern, aber 6 Monate? Und bitte, wovon soll ich meine kleinen Kindern (4 und 6) etwas zu essen kaufen, wenn die am Wochenende mal bei Papa sein dürfen? Und wie meinen "Umgangspflichten" weiterhin nachkommen, wenn ich jetzt (der Winter naht!) nicht mal mehr die Heizung reparieren kann?
Verstoß gegen elementare rechtstaatliche Prinzipien (materielle
Gleichbehandlung)
Das Problem wäre ja noch lösbar, wenn durch das Unterhalts- und
Familienrecht nicht gleichzeitig auch wichtige rechtsstaatliche Grundsätze
außer Kraft gesetzt würden:
Beispiel 1: Wäre es wenigstens so, dass ich damit rechnen könnte, dass
zuviel gezahlter Unterhalt (nebst Zinsen) irgendwann zurückgezahlt werden
müsste, könnte ich notfalls bei Freunden einen Kredit aufnehmen, um die
Notlage zu überbrücken. Doch während das deutsche Recht in allen
Lebensbereichen die Möglichkeiten ausgebaut hat, für entstandenen Schaden
Schadensersatz geltend zu machen, gilt dieses Gerechtigkeitsprinzip im
Unterhaltsrecht nicht, denn Rückforderungen zu viel erbrachter Leistungen
sind hier nicht vorgesehen.
Beispiel 2: Auch ein "Verrechnen" ist nicht zulässig, denn selbst bei noch
so rechtmäßigen Gegenforderungen des Unterhaltspflichtigen darf er diese
nicht von den Unterhaltszahlungen abziehen. Wo bleibt hier der
Gleichheitsgrundsatz, wenn es bei wechselseitigen Forderungen keine
Gleichrangigkeit dieser Forderungen gibt?
Doppelter Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgundsatz (auch wegen fehlender
Beratungsangebote)
Ein geradezu doppelter Verstoß gegen das Prinzip der Gleichbehandlung in
Scheidungssituationen ist es, dass in Trennung lebende Männer nicht nur
finanziell wesentlich schlechter gestellt werden (siehe oben), sondern
zusätzlich auch bezüglich jeglicher Hilfs- und Beratungsangebote nach meinem Eindruck nicht ernst genommen werden bzw. schon mehr oder weniger
diskriminiert werden, Bei fast einem Dutzend verschiedener Institutionen
habe ich mir anhören müssen, dass ich "eigentlich" auch dringend
Beratungsangebote benötigen würde, wegen Personalmangels aber leider nur
Beratungsangebote für alleinerziehende Frauen vorgehalten können. (Selbst
bei der Schuldenberatung warte ich trotz höchster Dringlichkeit seit Monaten auf einen Termin...)
Verstoß gegen das Verbot der Sippenhaft
Ich kann ja die Motivation sogar verstehen, die in den letzten Jahren immer
wieder zu Verschärfungen des Unterhaltsrechtes geführt haben: Auch mir ist
bekannt, dass es Väter gibt, die sich jeglichen Unterhaltsverpflichtungen
entziehen. Aber kann es dann gerecht sein, Vätern die sowohl ihren Umgangs-
als auch ihren Unterhaltspflichten regelmäßig nachkommen dafür um so
rücksichtsloser heranzunehmen und so unbekümmert in den finanziellen Ruin
zu treiben? Ist das wirklich so gewollt, - oder hat die Politik hier einfach den Bezug zur Realität verloren?
Auch familien- und frauenpolitisch unsinnig und kontraproduktiv
Selbst unter dem Blickwinkel größtmöglicher Frauenförderung muss doch klar
sein, dass mit solchen Auswüchsen des Unterhaltsrechtes, wie ich sie jetzt
zu spüren bekomme, wirklich niemandem geholfen ist. Wie will man denn noch
Leistungen von einem Unterhaltszahler erzwingen, wenn er denn verhungert
bzw. finanziell völlig ruiniert ist?
Und wie sollen den Kindern im Zuge der anzustrebenden "gemeinsamen Sorge"
beide Elternteile erhalten werden, wenn einem der Elternteile absolut alle
finanziellen Voraussetzungen dazu derart konsequent entzogen werden?
Volkswirtschaftlich ruinös
Sicherlich werden Sie das, was ich erlebt habe, als Einzelschicksal bedauern und mir dann erklären wollen, dass man für solche außergewöhnlichen Einzelfälle aber leider keine Gesetze machen könne.
Nach Schätzungen wird jedoch annähernd jede zweite Ehe in Deutschland wieder geschieden, und der heftige Streit um Unterhalt ist dann eher die Regel.
Insofern kann ich nur vermuten, dass es nicht hunderte sondern eher tausende von Männern sein dürften, die in ähnliche Situationen geraten. Hat es hierzu jemals Untersuchungen über den volkswirtschaftlichen Schaden gegeben, der entstanden ist und entsteht, wenn so viele Menschen in den Ruin bzw. in derart perspektivlose Lebenssituationen getrieben werden?
Politischer Flurschaden nicht absehbaren Ausmaßes
Ich wäre ich mit meiner Geschichte längst in die Öffentlichkeit gegangen und ich gebe zu, entsprechende Berichte in der Sensationspresse so nach dem
Motto "Vater zum Verhungern verurteilt" hätte ich schon gerne mal gelesen.
Wenn ich mit diesem Schreiben einen anderen Weg gehe, dann vor allem auch
mit Rücksicht auf meine noch kleinen Kinder.
Trotzdem aber bitte ich Sie nicht zu unterschätzen, welch ein politischer
Sprengstoff sich weiter ansammeln wird, wenn einem so offensichtlichem
Unrecht nicht schnellstens entgegengewirkt wird. Es kann doch wirklich nicht angehen, einen in Scheidung lebenden Vater im Grunde härter zu bestrafen jeden Terroristen oder Massenmörder - der immer noch Anspruch auf drei regelmäßige Mahlzeiten und eine geheizte Zelle hat !
Es ist sicher kein Zufall ist, dass neue politische Gruppierungen sehr
massiv und erfolgreich mehr Rechtsstaatlichkeit einfordern. Von daher kann
ich nur hoffen, dass Sie - seitens der demokratischen Parteien - es
schaffen, die um Teil absurden Auswüchse des Unterhaltsrechtes schnellstens
zu korrigieren, - bevor sich andere dieser Themen annehmen und das
zweifellos nicht unerhebliche Wählerpotential entdecken.
Nach all dem Gesagten bitte ich Sie, mir doch bitte einmal deutlich zu
machen, wie sich das eklatante Missverhältnis betreffend dieses sog.
Selbstbehaltes erklärt: Wie kann es angehen, dass die Aussagen diverser Parteien zur Rechtslage überhaupt nicht mit meinen Erfahrungen in Einklang zu bringen sind?
In gesetzgeberischer Hinsicht halte ich folgende Maßnahmen für dringend
erforderlich:
Zu klären ist, wie zukünftig dafür Sorge getragen werden soll, dass auch
unterhaltspflichtigen Ehemännern ein zum Überleben notwendiges
Existenzminimum gewährleistet wird. Notwendig erschiene mir diesbezüglich
eine gesetzliche Bestimmung, in der eindeutig geregelt wird, dass einem
Unterhaltspflichtigen in jedem Falle ein zum Überleben notwendiges
Existenzminimum verbleiben muss.
Des weiteren bitte ich zu prüfen, ob es im Sinne der Gleichberechtigung bzw. des "gender mainstreaming" nicht geboten ist, eine Regelung zu finden, nach der zu viel gezahlter Unterhalt selbstverständlich zurückzuerstatten ist, um so auch dem Unterhaltspflichtigen einen gewissen Rechtsschutz zu bieten.
Ebenso sollte geklärt werden, ob ein "Verrechnen" von Unterhalts- mit
sonstigen (rechtmäßigen) Gegenforderungen nicht zugelassen werden sollte, um langwierige und völlig unnötige gerichtliche Auseinandersetzungen hierzu zu vermeiden.
Insbesondere für den Fall, dass die Lösungen b) bis d) nicht umsetzbar sein
sollten, müsste m.E. ansonsten die Personaldecke der Familiengerichte
erheblich aufgestockt werden, da über dringende Notfälle kurzfristig
entschieden werden muss (da es schließlich niemandem hilft, Recht zu
bekommen, nachdem er inzwischen verhungert ist).
Zwingend notwendig ist m.E. auch die Schaffung von Beratungsangeboten auch
für Männer, da es nicht angehen kann, dass Männern (die an der gemeinsamen
Sorge ebenso teilhaben sollen wie die Frauen) zumindest in ländlichen
Regionen keinerlei Beratungen zugestanden wird. Vor allem möchte ich hier
die Jugendämter und Schuldenberatungsstellen nennen, die so auszustatten
sind, dass sie ihren gesetzlichen Beratungspflichten nachkommen können bzw.
vemeidbare schwere wirtschaftlichen Schäden verhüten können. (Ggf. müsste
z.B. im Bereich der Schuldenberatung sogar ein Rechtsanspruch auf Beratung - innerhalb bestimmter Fristen - festgeschrieben werden.)
Bezüglich dieser genannten, dringend notwendigen Korrekturen im
Unterhaltsrecht, wäre ich über eine Information dankbar, in welcher Weise
die Politik diese bis wann anzugehen gedenkt.
Da mir alle der genannten Maßnahmen im eigenen Falle sicher nicht helfen
werden, auf eine Entscheidung über meine Unterhaltsabänderungsklage
wartend, noch weitere Wochen und Monate ohne jedes Einkommen zu überleben,
wäre ich auch diesbezüglich für Vorschläge Ihrerseits dankbar:
Gibt es ggf. irgendeinen Notfallfonds auch für männliche Scheidungsopfer?
Gibt es ggf. Organisationen, die mir mit Lebensmittelspenden weiterhelfen
könnten?
An wen muss ich mich notfalls. für den Winter zwecks Unterbringung in einer
Obdachlosenunterkunft wenden? Habe ich darauf überhaupt einen Anspruch?
(Sozialhilfeansprüche kann ich wegen des Hauses schließlich nicht geltend
machen).
Oder halten Sie es für denkbar, dass ich mit einem Hinweis auf meine oben
geschilderte Lage, einfach alle Bundestagsmitglieder mit der Bitte um eine
kleine Spende anschreibe? (Würden alle Abgeordneten nur 1 Euro geben, könnte ich damit locker die nächsten Wochen über die Runden kommen, bis die Entscheidung über meine Unterhaltsabänderungsklage dann endlich gefallen ist) Könnten Sie ggf. das Kopieren und Verteilen für mich übernehmen?
Ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie mir bei einigen der
angesprochenen Punkte weiterhelfen könnten und bedanke mich für Ihr
Verständnis und Ihre Unterstützung.
Mit freundlichen Grüßen
...
PS:
Für meine teilweise sehr deutlichen Worte bitte ich um Nachsicht. Mir war es jedoch wichtig mit größtmöglicher Deutlichkeit auf ein Problem hinzuweisen, dessen Tragweite von der Politik so offenbar noch nicht erkannt wurde. Im übrigen kann ich nicht ausschließen, dass Sie aufgrund meiner Erlebnissen im Zuge der Sorgerechtsauseinandersetzungen noch ein zweites Schreiben von mir bekommen werden, da mir unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes und des Wohles der Kinder hier ebenfalls Vieles im Argen zu liegen scheint.