Wenn der Mensch zur MenschIn wird - oder:

Wieviel »Gleichberechtigung« verträgt das Land?

How much »equality« the country can stand?

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Liste Femanzen Michaela Schießl (Liste Femanzen)

Oberkellner @, Sunday, 08.02.2015, 13:43 (vor 3375 Tagen)

F354 Michaela Schießl geboren am 28.12.1961 in Bremen – Studium der Journalistik und Sportwissenschaften in Heidelberg und Hamburg - 1990 Sportredakteurin der „taz“ – 1995 Wirtschaftsredakteurin „der Spiegel“ – 1998 Spiegel-Korrespondentin in Washington, 2001 in San Francisco – 2006 Spiegel-Reporterin Wirtschaftsressort – Anschrift: Michaela Schießl, Ericusspitze 1, 20457 Hamburg - michaela_schiessl@spiegel.de - http://www.reporter-forum.de/typo3temp/pics/353f88d5e5.jpg


Unternehmenskultur
"Eine Sache des Wollens"
Von Michaela Schießl
Frauen sind selten im Top-Management. Microsoft Deutschland zeigt, wie man Gleichberechtigung systematisch organisiert.


Ein wenig nervös war Isabel Vogel durchaus, als sie bei Microsoft in Unterschleißheim zum Vorstellungsgespräch erschien. Du hast nichts zu verlieren, sprach sie sich selbst Mut zu. Schon eingeladen zu werden, ist ein Sieg, sagte sie sich, denn sie wusste: Bei den meisten anderen Firmen hätte ihre Bewerbung trotz brillanter Zeugnisse keine Chance gehabt. Ihr Makel: Isabel Vogel, 41, ist Mutter dreier Kleinkinder.
Die Zwillinge waren damals gerade mal zwei, das dritte Kind dreieinhalb Jahre alt. Trotzdem wollte die Marketingassistentin 30 Stunden pro Woche arbeiten. Ein Unding, fanden Bekannte. "Kein Problem", fand der Mann von Microsoft. "Ich vertraue Ihnen, das schaffen Sie", sagte er und stellte sie ein.
Zwei Jahre ist das nun her, und Isabel Vogel hat es geschafft. Mehr noch: Aus ihrer Teilzeitstelle im Marketing ist ein Fulltime-Job geworden. Keinen Tag fiel sie aus - auch dank des familienfreundlichen Umfelds, das die Firma bietet. Jungen Kolleginnen dient sie seither als strahlendes Vorbild - und ihrem Arbeitgeber als Beweis, dass seine Personalstrategie aufgeht. Die lautet: Frauen, an die Arbeit! "Wenn es uns jetzt nicht gelingt, Frauen zu gewinnen, stehen wir spätestens in fünf Jahren vor massiven Problemen", beschreibt der deutsche Microsoft-Geschäftsführer Achim Berg die Herausforderung des Bevölkerungsschwundes.
Weitaus wichtiger jedoch als der Fachkräftemangel sind die überraschenden Erkenntnisse mehrerer Studien vom vergangenen Jahr. Deren übereinstimmendes Ergebnis lautet: Firmen, in denen Mitarbeiterinnen führende Positionen einnehmen, erwirtschaften mehr Gewinn.
Drei Frauen im Vorstand steigern die Erträge
Die US-Frauenorganisation Catalyst untersuchte die 500 größten Aktiengesellschaften Amerikas und kam zum gleichen Schluss wie die vergleichsweise unverdächtige Unternehmensberatung McKinsey: Gemischte Führungsgremien sind sowohl ökonomisch als auch von der Unternehmenskultur her signifikant erfolgreicher. Die Firmen mit den meisten Frauen im Vorstand erzielten im Vergleich zu solchen ohne Frauen eine bis zu 53 Prozent höhere Eigenkapitalrendite.
Wo sich mindestens drei Frauen im Vorstand finden, steigen die Erträge nachweislich. Drei allerdings müssen es sein, um die dominierende Kultur in einer Gruppe zu beeinflussen. Die klassische Einzelkämpferin, so viel steht fest, kann nichts verändern. Entweder sie passt sich dem männlichen Verhaltenskodex an - oder sie scheitert.
"Vielfalt ist extrem wichtig, sagt Microsoft-Mann Berg, "Vielfalt schafft Qualität." Anfang 2007 wechselte der ehemalige T-Com-Vorstand in die deutsche Geschäftsführung von Microsoft - und fand bereits drei Direktorinnen vor. Zwei weitere hat er selbst berufen, nun sitzen 5 Frauen im 13-köpfigen Leitungsgremium - eine Ausnahme in der deutschen Wirtschaft.
"Jedes Mal, wenn ich das anderen Managern erzähle, wird eine halbe Stunde lang über nichts anderes mehr gesprochen", amüsiert sich Berg. Verrät der 43-Jährige dann noch, dass alle fünf Top-Managerinnen erziehende Mütter sind, bringt er damit so manches Weltbild ins Wanken.
Denn nur eine einzige Frau arbeitet derzeit im Vorstand eines Dax-Unternehmens, Bettina von Oesterreich vom Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate. Ansonsten: Nadelstreifen, wohin man schaut.
Enorme Entlohnungslücke
In den Top 50 börsennotierten Unternehmen Europas halten Frauen nur elf Prozent aller Sitze in den Führungsgremien, so EU-Statistiker von Eurostat. Deutsche Aufsichtsräte sind gerade mal zu zehn Prozent weiblich besetzt - und auch das nur dank der Arbeitnehmerseite.
Obendrein existiert eine enorme Entlohnungslücke. Pro Arbeitsstunde erhalten Frauen hierzulande durchschnittlich 22 Prozent weniger Geld. So ist die Lage, sechs Jahre nachdem die Bundesregierung mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft vereinbarte, die Chancengleichheit zu fördern.
Mittlerweile ist zwar klar, dass man die Frauen braucht. Doch sie zu gewinnen, wird immer schwieriger. "Das familiäre Umfeld ist für Frauen das Killerkriterium. Wenn das nicht stimmt, kriegen wir sie nicht", sagt Microsoft-Personalchefin Brigitte Hirl-Höfer, die im Kampf um die besten Talente alles unternimmt, um das gewünschte Ambiente zu schaffen: Microsoft organisiert Kita-Plätze und finanziert sie mit, betreibt eine Eltern- und Babysitterbörse und zahlt die Vermittlungsgebühr für alle möglichen Familienservices, von der Kinder- bis zur Elternbetreuung.
Aus der Babypause zurückkehrenden Müttern werden Joblösungen maßgeschneidert. Mit dem Ergebnis, dass die meisten nur sechs bis zwölf Monate zu Hause bleiben. Alle nur denkbaren Teilzeitmodelle sind zudem im Angebot, Jobsharing und sogar virtuelle Teams, die per Internet kooperieren.
Wer von zu Hause aus arbeiten möchte, bekommt ohnehin die technische Ausrüstung gestellt. Während ihrer Elternzeit bleiben Mitarbeiter in allen Verteilern und so im Bilde.
Doch alle diese Maßnahmen funktionieren nur unter einer Voraussetzung, erklärt Hirl-Höfer: "Die Kultur der flexiblen Arbeitszeiten muss stark akzeptiert sein."
Vertrauensarbeitszeit heißt das Zauberwort, mit dem der drittgrößte Microsoft-Ableger außerhalb der USA nicht nur gute Renditen erwirtschaftet, sondern auch wiederholt zum beliebtesten Arbeitgeber Deutschlands gewählt wurde. "Wir vereinbaren mit jedem Mitarbeiter bestimmte Ziele. Wie die erreicht werden und wo, ist zweitrangig", sagt Hirl-Höfer.
Erfrischend einfach klingt das und unkompliziert, doch für viele Unternehmen sei das noch weit entfernte Zukunft, bilanziert die McKinsey-Studie "Women matter" (zu Deutsch: Frauen sind wichtig). Denn fast allerorten sind die Regeln des Berufslebens auf Männer zugeschnitten, deren Gattinnen Haushalt und Kindererziehung regeln.
Das Prinzip etwa, jederzeit und überall einsetzbar zu sein, verträgt sich nicht mit der Doppelbelastung von Frauen. Dem erwarteten lückenlosen Lebenslauf können besonders Mütter nicht gerecht werden.
"Solange die Kriterien für Beförderungen nicht geändert werden, wird sich nur Unwesentliches an der Situation von Frauen in Führungspositionen ändern", resümiert die Studie.
Bei Microsoft fängt das Umdenken schon ganz unten an: Frauen werden bei gleicher Qualifikation bevorzugt eingestellt und machen derzeit 28 Prozent der 2200 Angestellten aus. Jeder wird zweimal im Jahr beurteilt und bewertet seinerseits seine Vorgesetzten. Die wiederum müssen verstärkt weiblichen Nachwuchs fördern und sollten auch Frauen für ihre Nachfolgeplanung berücksichtigen.
Wirklich entscheidend für die Gleichberechtigung von Frauen ist indes, dass das Alphatier den Weg leuchtet. Wenn die Firmenleitung das Ziel Frauenförderung nicht aktiv unterstützt und aggressiv einfordert, werde sich nichts ändern, warnt McKinsey.
"Kinder sind kein Hindernis. Es ist eine Sache des Wollens", sagt Microsoft-Chef Berg. Dorothee Belz, 46, Chefsyndikus, weiß dieses Klima zu schätzen. Bis 2002 hat die Juristin im Männerreich von Mediengröße Leo Kirch gearbeitet. 2003 wechselte die ehemalige Staatsanwältin für Wirtschaftskriminalität zu dem Software-Konzern - und entdeckte vier Wochen später, dass sie schwanger war. Ihr neuer Arbeitgeber war nicht verstimmt. Sie solle so weiterarbeiten, wie es ihr passe.
"Frauen müssen dafür bezahlen, dass sie arbeiten"
Zwei Wochen vor der Geburt verließ Belz ihr Büro, zwei Monate danach richtete sie sich ein Homeoffice ein, nach fünf Monaten kam sie Vollzeit zurück. Ihre Mutterpflichten organisiert sie mit Hilfe von Kindermädchen, Großmutter und Kita. Anstrengend sei das schon und auch teuer: "Frauen müssen dafür bezahlen, dass sie arbeiten dürfen." Dafür erntet sie im Bekanntenkreis auch noch schiefe Blicke und offene Vorwürfe.
Das Unverständnis Außenstehender nervt gelegentlich auch ihre Kollegin Angelika Gifford, 41. Die für Kunden in der öffentlichen Verwaltung zuständige Direktorin ist seit 15 Jahren im Management bei Microsoft, baute den Bereich Europa, Mittlerer Osten und Afrika auf und den Service im Großkundengeschäft. Doch noch nie hat sie etwas so gestresst wie die Schnapptür in der Kita ihres dreijährigen Sohnes.
Kommt sie nur wenige Minuten zu spät, schnappen Tür wie Kindergärtnerin ein. Dann muss sie klingeln und darf in die vorwurfsvollen Gesichter der Erzieherinnen und pünktlichen Mütter schauen. "Da sagt jeder Blick: Was musst du auch arbeiten gehen!" Wenigstens in der Firma wird Gifford nicht mit Rabenmütter-Vorwürfen konfrontiert.
Doch trotz ihrer geschützten Zone in Unterschleißheim wissen die Managerinnen, wie im wahren Leben mit unterschiedlichem Maß gemessen wird. Gifford ist sich sicher, dass männlichen Managern Fehltritte generell leichter verziehen werden. "Unvorstellbar, wenn Top-Managerinnen bei einem der anscheinend immer noch üblichen 'Herrenprogramme' erwischt würden. Das wäre sofort das Ende ihrer Karriere."
Dorothee Belz fällt auf, dass Frauen vieles differenzierter sehen und Probleme ausdiskutieren wollen. Dann spotten die Männer, man solle es "nicht gar so kompliziert machen". "Dabei ist es gar nicht kompliziert", sagt Belz, "nur komplex". Es sind solche Sätze, die Achim Berg immer wieder von der Weisheit gemischter Teams überzeugen: "Frauen haben einen anderen Führungsstil. Sie profitieren von ihrer sozialen Intelligenz."
Weiblicher Führungsstil als Notwehr?
Doch ist dieser vermeintlich weibliche Führungsstil nicht womöglich eine Art Notwehr? Benehmen sich weibliche Chefs sozialer, mitfühlender, lösungsorientierter, weil genau das von ihnen erwartet und jede andere Form reglementiert wird? Studien bestätigen: Es wird nicht anerkannt, wenn Chefinnen sich wie Chefs aufführen.
Auf der Suche nach einem eigenen Führungsstil befinden sich Frauen also in einer Zwickmühle. Die erwartete Sanftmut und Rücksichtnahme mit den Führungseigenschaften Dominanz und Durchsetzungskraft unter einen Hut bringen, ist ein oft schwieriges Unterfangen.
Offenkundig lohnt es aber, glaubt Microsoft-Chef Berg. Männliche Top-Manager reagierten mit einer deutlichen Verhaltensänderung, sobald Frauen im Team sind: Sie produzieren sich längst nicht mehr so stark wie vorher.
"Es scheint, als lasse das Revierverhalten dann merklich nach. Aber da fragt man am besten mal einen Zoologen", sagt Berg und lacht.

http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,531513-2,00.html

Michaela Schießl über eine junge Londoner Investmentbankerin
Von Michaela Schießl
Michaela Schießl, 36, ist Redakteurin im Wirtschaftsressort des SPIEGEL.
Als Isabel Schoepflin sich entschieden hatte, brach sie sofort zum Überfall auf. Sie durchquerte die marmorne Eingangshalle der Bank, bestieg den Fahrstuhl und fuhr hinauf in den 15. Stock. Im Spiegel kontrollierte sie, daß keines ihrer langen braunen Haare am Jacket hing. Nein, Kostüm, Make-up, Ausstrahlung, alles war perfekt.
Tief atmete sie durch. Dann ging sie mit langen, festen Schritten durchs Großraumbüro. Neugierige Blicke folgten der auffallend schönen jungen Frau. Vor Ovid Santoros Schreibtisch blieb sie stehen.
Der konnte gerade noch seine goldene Nickelbrille zurechtrücken, bevor sie loslegte: "Hi, ich bin Isabel Schoepflin. Ich will hier arbeiten. Mit Ihnen. Etwas anderes interessiert mich nicht."
Santoro, Chef und bis dahin einziger Mitarbeiter in der neugegründeten Abteilung für private Kapitalplazierung, war auf der Stelle hingerissen. Denn diese Frau besaß etwas, dem kein leidenschaftlicher Investmentbanker widerstehen kann: Sie hat den "Get-it-Factor". Was soviel heißt wie: Sie holt sich, was sie will, und sie holt es sich schnell.
An diesem Tag holte sich die 24jährige ihren Lieblingsjob bei der Deutschen Morgan Grenfell (DMG), der Londoner Investmentbank-Tochter der Deutschen Bank. Seit Juli 1996 war Schoepflin bereits dort beschäftigt, als Trainee in der Abteilung Globale Märkte. Lustig war das, sagt sie, wirklich nett. Aber jemand wie sie arbeitet nicht, um sich zu amüsieren. Sie arbeitet, um Erfolg zu haben.
Isabel Schoepflin hat einen deutschen Paß, eine Heimat in Kalifornien, sie studierte in San Francisco und Paris, arbeitet in London, fährt Ski in der Schweiz, spricht wienerisch wie ihre Mutter und weiß trotz des internationalen Durcheinanders ganz genau, was sie will: alles lernen über Firmenbewertung und Risikoabwägung, alles aufsaugen über die Kunst des Geldmachens. Denn eines Tages, da ist sie sicher, wird sie auf der anderen Seite stehen. Als Unternehmerin und Investorin. Als jemand, der von Banken angerufen wird.
"Ich hatte keine Chance", kommentiert Ovid Santoro augenzwinkernd den Überfall der jungen Frau, "sie hat ja nicht gefragt, sondern mitgeteilt." Doch weil der Amerikaner italienischer Abstammung unkonventionelle Auftritte liebt, hat er auf den Stuhl neben sich gedeutet und gesagt: "Okay, hier sitzt du. Leg los."
Es folgte die Stunde der Revanche. Schweigend lehnte Santoro sich zurück und ließ die naßforsche Neue erst mal vor dem leeren Schreibtisch schmoren. Als sie mürbe schien, folgte Akt zwei des Testprogramms. Er gab ihr eine reichlich abgegrabbelte, handgeschriebene Adreßliste mit der Aufgabe, die Nummern abzutelefonieren und auf Kundenfang zu gehen.
Der Trick dabei: kaum eine der uralten Kontaktadressen stimmte noch. Reihenweise waren die Menschen verzogen, die Firmen aufgelöst. Einige Male wurde ihr eisig mitgeteilt, daß die Zielperson längst verstorben und deshalb nichts mehr zu holen sei, good bye.
"Das war grauenvoll", erinnert sich Schoepflin. Spöttisch hatte Santoro ihre erfolglosen Bemühungen beobachtet, scheinheilig nach Fortschritten gefragt, ungeduldig war er hinter ihr auf- und abgelaufen. Kurz: Er hat "das Arschloch" (Santoro) gespielt, damit die Neue gleich wußte, wie hart das Geschäft ist. Sie hielt durch.
Seit diesem Tag im Mai 1997 sind die beiden, was den Beruf betrifft, schier unzertrennlich. Schon morgens um sieben auf dem Weg zur Arbeit telefonieren sie, wer unterwegs den Kaffee aus dem Schnellrestaurant mitbringt. Gefrühstückt wird gemeinsam in der Kantine, und wenn sich Isabel im Laufe des Tages außer Rufweite begibt, steckt Santoro ihr hurtig ein Walkietalkie zu, in das er regelmäßig kräht: "Was tust du? Schaffst du was? Wo bist du? Arbeite!"
Dann lacht die junge Frau, schleudert ihm ein kurzes "Stirb!" entgegen und schaltet mit teuflischem Grinsen das Gerät ab: "Wir haben bei all dem Streß wirklich viel Spaß zusammen", sagt sie, "der Kerl ist ein Vollprofi."
Und ein Unikum in der Branche. Denn vor seiner steilen Karriere als Investmentbanker studierte Santoro Literatur, betrieb in New York einen Radio-Musiksender und produzierte bei Manhattan Cable Television eine Fernsehsendung.
Nun hocken er und sein "Turbo-Babe" Isabel 14 Stunden täglich am Laptop, telefonieren, rennen in Meetings, reisen zu Kunden quer durch Europa. Sie beratschlagen, besprechen und feiern sich und ihre anstehende Prämie, wenn sie wieder einen Kunden gewonnen haben, der sein Millionenkapital in aufstrebende Firmen oder hoffnungsvolle Fonds stecken will.
"Wir sind eine Art Makler", erklärt Schoepflin. "Wir spüren junge Firmen auf, analysieren sie mit Hilfe von Experten, und wenn wir sie für geeignet halten, suchen wir passende Geldgeber und bringen die beiden Parteien zusammen." Meistens investieren große Firmen, aber auch vermögende Privatpersonen vom Kaliber Rockefeller. Einen Anteil von 1,5 Prozent der Investitionssumme kassiert die Bank für ihre Kupplertätigkeit.
Die Investoren müssen ein wenig Mut mitbringen, viel Geduld und vier, fünf Jahre auf ihr eingesetztes Geld verzichten können. Doch sollten die unterstützten Firmen schließlich an die Börse gehen, locken Margen von oft weit über 100 Prozent. Bei Fonds beträgt der Gewinn durchschnittlich etwa 30 bis 50 Prozent der Investitionssumme.
Noch ist keines der Geschäfte wirklich schiefgegangen, denn es wird unerbittlich aussortiert. Sogar wenn der Vorschlag vom Frankfurter Vorstand kommt. Etwa diese Idee mit einem Osteuropa-Fonds. Dringend hatte ein Vorstandsmitglied um eine Einschätzung gebeten und gefragt, ob die Deutsche Bank vielleicht selbst einsteigen sollte.
Geheimtip oder Millionengrab? Tagelang eruierten die Risikospezialisten Ovid und Isabel die Fakten. Sie zogen die Forschungsabteilung hinzu, sprachen mit Spezialisten für diese Region, interviewten Finanzleute, die dort agierten, trafen den besten Experten zum Lunch. Sie überprüften die Reputation des Fondsmanagers und die politische und wirtschaftliche Stabilität des Wachstumsmarktes.
Schließlich rieten sie dem Vorstand ab. Zu unsicher sei die Situation in diesen Ländern, völlig unerfahren der Fondsmanager. Die Sache könnte gutgehen, aber auch schief. Sorry, zu riskant, Finger weg.
Natürlich ist es Isabel Schoepflin mulmig, wenn sie den hohen Vorstandsherren ein derartiges Fax sendet. Aber in so einem Job darf man keine Angst haben. Wer sich hier von Untertänigkeit leiten läßt, sitzt schnell auf einem Vulkan.
Schließlich stapeln sich jeden Morgen Berge von Post auf den Schreibtischen, Anfragen von Firmen, die Risikokapital benötigen und nur allzugern die DMG mit im Boot hätten, schon der Seriosität wegen.
Wer weniger als 20 Millionen braucht, fliegt gleich in den Papierkorb. Der Rest wird akribisch auf Tauglichkeit geprüft. Wird eine Firma auserwählt, hängt sich Isabel ans Telefon und sucht nach geeigneten Investoren. "Cold Call" nennt man das in Bankerkreisen, wenn man den Gesprächspartner noch nicht kennt: "Guten Tag, mein Name ist ..., interessieren Sie sich für ..."
Kein Job für Schüchterne. Etwa 400 Telefonate in Deutsch, Englisch, Französisch führte Schoepflin, bis ihr größter Deal stand und alle 15 Teilnehmer am 2,5 Milliarden Mark schweren Candover-Fund für UK Management Buy-outs gefunden waren.
Sie ist stolz auf ihre Telefontechnik. "In 15 Sekunden komme ich auf den Punkt", sagt sie. In dem hochbezahlten Job (Junior-Kräfte bekommen etwa 200000 Mark Grundgehalt plus saftige Jahresschluß-Leistungsprämie) ist Zeit Geld und Effizienz alles.
Einmal jedoch, ganz am Anfang ihrer Dienstzeit, war die Jungmanagerin zu schnell. Ruckzuck fertigte sie einen ihr unbekannten Großkunden ab. Ovid erlitt einen Schreikrampf.
Zu gern erzählt der temperamentvolle Mann diese Episode, mit entrücktem Blick, als wäre es schon Ewigkeiten her.
Tatsächlich hat sich seine Untergebene innerhalb eines halben Jahres zu einer brauchbaren Partnerin gemausert. Sie arbeiten im Team, hassen beide das branchenübliche Schickimicki-Gehabe mit teuren Restaurants und abgespreizten Cocktailfingern. Vor allem aber verbindet sie die Versessenheit aufs Geschäft. Denn bei aller Sympathie wissen beide natürlich genau, daß es das Business ist, was sie verbindet; und daß sie zusammen mehr wert sind als jeder einzeln. "Wir passen gut zueinander, wir sind beide absolute Dealjunkies", sagt Schoepflin.
Wo sie ihrer Sucht am besten frönen kann, hat sie sich genau ausgesucht. Nirgendwo am Finanzplatz London verlaufen die Karrieren derzeit steiler als in der ehrgeizig expandierenden DMG, nirgendwo sonst hätte eine junge Frau so schnell so viel Verantwortung bekommen wie in der neuen, nunmehr auf fünf Personen angewachsenen Abteilung von Santoro.
"Diese Bank ist wie ein neuer Planet", findet die Jungbankerin und fühlt sich selber "Lichtjahre entfernt" von ihren einstigen Ausbildungskollegen. Während die irgendwo assistieren, Sitzungen vorbereiten, den Seniors zuarbeiten, fragt und antwortet sie längst allein in Meetings, wenn auch nach Absprache mit ihrem Boß.
Mittlerweile wirkt alles an Isabel Schoepflin höchst professionell - und eigentümlich alterslos. Die Momente, in denen ihre Jugend durchschimmert, in denen sie für einen Augenblick ihre heitere Gelassenheit abstreift, sind selten und dauern nur kurz: ein befreites Lachen, ein frecher Blick auf Ovids mißratenes Jackett, der Griff zum quietschenden, zähnefletschenden Plastikhai, der zwischen Seesternen und Seeigelskeletten auf ihrem Computer Wache hält.
"Andenken an Kalifornien, an daheim sind das", sagt die braungebrannte, schlanke Frau, und irgendwie ist zu ahnen, daß da mal was anderes war als der ständige Blick auf die Uhr: Tennis am Beach, Wellenreiten, nächtliche Strandpartys, Körperkult.
Doch für solche Sentimentalitäten ist keine Zeit. Wenn morgens um sieben im nebelverhangenen London der Wecker klingelt, hat Isabel Schoepflin genau 20 Minuten, um sich von einem verschlafenen Twen in eine ausgeschlafene Geschäftsfrau zu verwandeln. Raus aus der Zwei-Zimmer-Wohnung, schnell noch den Schmuck im Taxi angelegt, dann beginnt der Alltag im 15. Stock am Bishopsgate 6.
Ein Tag voller Anspannung, Konzentration, Hast. 30 E-Mails warten schon auf sie, Unmengen gelber Merkzettel kleben am Bildschirm.
Nebenan hat sich ihr Boß wieder im kreativen Chaos verstrickt; er gräbt seinen Schreibtisch um auf der Suche nach einer Mappe. Isabel genügt ein Handgriff. "Frauen sind einfach besser organisiert", glaubt Santoro. Zum Beispiel weiß Isabel, daß nun der 30jährige Bewerber aus Chicago kommt, und ehe er sich versieht, nimmt sie ihn ins Gebet. Frage nur, Bursche - Weltbürgerin Isabel hat die Antwort, und zwischendrin macht sie mit der Assistentin den Terminplan für nächste Woche.
"Ein Meeting in Frankfurt um neun Uhr? Verlegen Sie es auf acht. Dann erwisch' ich die frühere Maschine nach Zürich zum Kundengespräch. Bestellen Sie Lunch und zwei Stunden später einen Flug nach Genf. Dort muß eine Roadshow vorbereitet werden. Nein, nicht zurück, ich fahre übers Wochenende Ski."
Isabel Schoepflin saust durch die Welt wie die Dame von Drei-Wetter-Taft. Während sich deutsche Studenten ihres Alters gerade mal vorsichtig ins Hauptstudium vorpirschen, kennt sie Europas Flugpläne auswendig und jongliert mit Millionenbeträgen -was sie keineswegs befremdet.
Eigenartig findet sie vielmehr gleichaltrige Weicheier, die sich noch nicht einmal selber finanzieren können. Keinen Unternehmergeist, keinen Stolz, die Bande.
In dieser Hinsicht ist sie erblich vorbelastet. Der Großvater ist der Gründer des Schoepflin-Versandhauses. Ihr Vater, der 1976 mit der Familie von Lörrach nach San Diego umsiedelte, stieg in eine Firma ein und investierte später in Risikokapital.
Genau das will sie auch einmal. Und deshalb tauscht sie jeden Montag unbeirrt die Schlotterjeans mit dem Business-Kostüm, die Turnschuhe mit den Pumps, tuscht die Wimpern und greift zum Chanel-Lippenstift, um perfekt gestylt Leistung zu zeigen, von morgens um sieben bis nachts um zehn.
Irgendwann will sie dann den Master of Business Administration an der renommierten INSEAD Business-School in Fontainebleau absolvieren. Schließlich soll mit 30 genügend Geld auf der hohen Kante sein, um ein paar Jahre auszusetzen und eine Familie zu gründen, bevor das Unternehmerleben so richtig losgeht.
Bei diesen prächtigen Perspektiven - was kümmert es Isabel, daß sie jeden Abend todmüde ins Bett fällt? Daß sie jetzt, wo sie jung ist, kaum ausgeht, außer um Kunden verkaufsförderndes Entertainment zu bieten? Daß sie sich fit halten muß mit Vitaminpillen und Jogging, statt nächtelang in Diskos abzutanzen? Daß sie am Wochenende Arbeit mit nach Hause schleppt statt einen Kerl? Und niemals die gesamten 20 Urlaubstage nimmt?
"Meine Freunde außerhalb des Bankenlebens halten mich für verrückt", erzählt sie. Dafür versteht sie nicht, wie man soviel Zeit nutzlos verdaddeln kann. "Da könnt' ich manchmal intolerant werden, wenn die Stunden brauchen, um sich für ein Restaurant zu entscheiden." Vielleicht, weil sie selbst schon soviel Zeit verloren hat. Ein ganzes Jahr brauchte sie, um den plötzlichen Tod ihres Bruders zu verwinden. Seitdem sieht sie vieles mit anderen Augen. "Es gibt Schlimmeres als 14 Stunden Arbeit."
Für sie ist ihr Arbeitsaufwand ein Scheck auf die Zukunft, eine Investition mit wenig Risiko. Denn alles ist akribisch geplant: "Ich könnte hier eine tolle Karriere machen. Alles ist möglich, wenn man nur hart genug arbeitet."
Doch die selbstbewußte Frau Schoepflin will ihr eigener Herr sein. Denn auch von ihrer Mutter, einer Wiener Philosophin, hat sie etwas mitbekommen. Den guten Rat: "Kind, du mußt die Balance halten zwischen Arbeit und Privatem."
Und so hütet sich die junge Frau, sich völlig in der Unruhe der Londoner City zu verlieren. "Ich habe noch viele Leben", glaubt sie. Und kämpft, anders als der besessene Ovid, hart um Distanz zum verzehrenden Job. Viel hat sie nicht entgegenzusetzen, um das Gleichgewicht herzustellen. Gelegentliche Dinnerpartys mit Freunden, Abspannen im Fitneßcenter, mal ein Trip nach Paris.
Doch die Freiheit findet im Kopf statt. Und so weiß sie genau, daß irgendwann der Tag kommen wird, an dem sie ein letztes Mal im perfekten Outfit in den 15. Stock des Bankgebäudes hochfährt, quer durch das Großraumgebäude schreitet, vor Ovid Santoros Schreibtisch stehenbleibt. Und sich verabschiedet.
http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelspecial/d-7810216.html

Männer im Zeugungsstreik
Von Schießl, Michaela
Alles weiß man von der Frau ohne Kinder: Alter, Einstellung, Bildung. Der kinderlose Mann dagegen ist ein Tabu. Ein Buch widmet sich nun dem unbekannten Wesen.
Es ist ja nicht so, dass Frauen um die vierzig nicht mehr hinterhergeschaut würde. Nur, diese Blicke sind irgendwie anders, strenger, manchmal missbilligend. Zumindest wenn kein Kinderwagen vor dem Bauch daherrollt, kein Gör am Handgelenk zuppelt. Ist dieses Luder etwa kinderlos? Macht sie sich mitschuldig am Aussterben der Deutschen, am Austrocknen der Sozialsysteme?
Die Frau im Gebärstreik - sie ist spätestens seit der bedrohlichen demoskopischen Schieflage im Land unter strengster Beobachtung. Wer, wo, wie viele es sind, wird akribisch untersucht, mit Hochdruck der Frage nachgegangen: Warum verweigern sie sich? Wie kann man sie locken?
150 Milliarden Euro gibt das Land jährlich für Familienleistungen aus. Doch in einer kürzlich veröffentlichten Umfrage wurde klar: Nicht an Krippenplätzen fehlt es, sondern an geeigneten Männern. Wobei die Betonung auf geeignet liegen muss, denn entgegen der landläufigen Meinung sind gebärwillige Frauen nicht etwa einsame Herzen. Viele leben in Partnerschaften - mit Männern, die sich drücken, zieren oder glattweg weigern zu zeugen.
Doch während das Image der kinderlosen Frau miserabel ist - sie gilt als egoistisch, karrieregeil, unsozial -, gibt es den kinderlosen Mann in der öffentlichen Wahrnehmung gar nicht. Für die Fortpflanzung scheint einzig die Person mit der Gebärmutter verantwortlich.
Ein eigentümliches, ein ärgerliches Phänomen, befand die Hamburger Journalistin Meike Dinklage, 39, keine Kinder. "Wie kann es angehen, dass Kinderlosigkeit bei Frauen nur als biologisch begründete Entbehrungstragödie akzeptiert wird, während der Mann mit der Einsamer-Wolf-Nummer durchkommt?", fragte sie und begab sich auf Spurensuche. Nach zahlreichen Interviews legt sie diese Woche das Ergebnis vor. "Der Zeugungsstreik" heißt ihr Buch, in dem sie die Rolle des Mannes beim Ob oder Ob-nicht beleuchtet*.
Ihre Beobachtungen bringen das Bild der vom Ehrgeiz zerfressenen Egomanin
gehörig ins Wanken. In vielen Fällen ist der Partner der Bremser, fand Dinklage heraus. Doch längst nicht alle Zeugungsverweigerer gestehen sich das ein. Während bei Frauen eine biologische Uhr tickt, fühlen sich Männer bis ins hohe Alter und trotz müder Spermien als potente und potentielle Väter. "Selbst über 50-Jährige, mit denen ich gesprochen habe", berichtet Dinklage, "sehen sich als Männer ohne Kind, nicht etwa als Kinderlose. Sie fühlen sich von der gesellschaftlichen Kritik am Geburtenrückgang längst nicht so betroffen wie Frauen. Ihre Kinderlosigkeit gilt als Privatsache."
Tatsächlich sind nach einer 2003 erstellten Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung - bezeichnenderweise die erste ihrer Art - mehr Männer ohne Nachkommen als Frauen: 20 Prozent mehr bei den 30- bis 34-Jährigen, 16 Prozent bei den 35- bis 39-Jährigen. Unter den Endvierzigern sind über ein Viertel der Männer ohne Nachkommen, aber nur 15,7 Prozent der Frauen. Viele von denen, die sich für potentielle Väter halten, können sich aber nie dafür entscheiden.
Die Gründe sind multipel. Natürlich ist da die ewige Angst, nach einer gescheiterten Ehe von der Kindsmutter ausgeplündert zu werden: oder der berufliche Erfolgsdruck, als Ernährer einer Familie bestehen zu müssen. Hinzu kommt der hormonell weniger stark ausgeprägte Kinderwunsch; und das ganz schlimme Dilemma, sich für nur eine Frau zu entscheiden. Und überhaupt: Ist ein Leben ohne Kinder nicht einfach bequemer?
Neben diesen eher traditionellen Bedenken stieß Dinklage bei ihrer Recherche auch auf ein anderes Phänomen: den in seiner Rolle zutiefst erschütterten Mann, der sich im Beruf, im Sport, in der Freizeit weiblicher Konkurrenz zu stellen hat. "Die Männer verlieren an Macht", glaubt Dinklage, "der Zeugungsstreik dient als letztes Mittel, die Frau in Zaum zu halten." Besonders Akademikerinnen und Karrierefrauen bekommen das zu spüren. Nach Studium und beruflichem Aufstieg unter Zeit- und Entscheidungsdruck stoßen sie bei ihren Männern oft auf eine Ja-vielleicht-später-Haltung.
Einsame Empfängnis-Entscheidungen sind hier keine Lösung. Emanzipierten Frauen ist es wichtig, ihren Beruf fortführen zu können. Sie brauchen einen Kindsvater, der sich die Kinderbetreuung tatsächlich mit ihnen teilt - und nicht nur so tut. Zwar empfindet sich jeder fünfte Mann als "neuer Vater", der die Berufstätigkeit seiner Frau unterstützt. In Wirklichkeit aber nehmen nur zwei Prozent der Väter Elternzeit.
Will die Frau ihre Karriere nicht gefährden, muss sie sich entweder gegen ihren Partner entscheiden oder gegen ein Kind. Das zeigt Wirkung: Neueste Untersuchungen des Statistischen Bundesamts belegen, dass immer mehr Paare kinderlos sind (siehe Grafik).
Dinklages Schlussfolgerung: Frauen, die von den Männern einen hohen Einsatz bei der Kinderbetreuung fordern, haben geringe Chancen auf dem Zeugungsbasar - oder, wie eine Interviewpartnerin es ausdrückt: "Intelligente Frauen sind Sauerbier auf dem Beziehungsmarkt." MICHAELA SCHIEßL
* Meike Dinklage: "Der Zeugungsstreik. Warum die Kinderfrage Männersache ist". Diana Verlag, München; 256 Seiten; 17,90 Euro.

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-39834793.html

Schon beim Berufsstart verdienen
Frauen weniger als Männer – bei gleicher
Qualifikation. Einer Grund: Männer treten
dreister auf, wenn’s ans Feilschen
mit dem Chef geht. Frauen wird solcher
Vorwitz meist übelgenommen.

Für Jörg Poersch war das Verhandeln um sein Gehalt als Logistik -
berater ein Spiel, eine Art Poker. Den Einsatz hochtreiben, ohne dass
der Gegenspieler aussteigt, ein wenig Bluff, eine Prise Show und vor
allem die Nerven behalten. Als sie also kam, die Frage nach seinen
Verdienstvorstellungen, sagte der Berufsanfänger forsch: »50 000 Euro,
darunter unterschreibe ich nicht.«
Vanessa Schuster sah ihr Bewerbungsgespräch weniger verspielt. Sie
wollte die Stelle bei dem IT-Beratungsunternehmen in der Nähe von
Karlsruhe unbedingt haben. »Nur nicht den Bogen überspannen«,
dachte sie, als man sie nach ihren Gehaltsvorstellungen fragte. Sie
sagte: »40 000 Euro.«
Jörg Poersch, 30, und Vanessa Schuster, 27, haben zusammen an der
Hochschule Pforzheim Logistik studiert. Beide können einen sehr
guten Abschluss als Diplom-Betriebswirt vorweisen. Beide sind als
Berater in ihren ersten Job gestartet. Beide bekamen das Jahresgehalt,
das sie verlangten.
Er: 49 885,71 Euro plus Dienstwagen.
Sie: 40 000 Euro ohne Dienstwagen.
Ist Vanessa selbst schuld, weil sie zu zögerlich war, das Risiko
scheute? Verkaufen sich Frauen schlechter? Oder kommen sie
allein wegen ihres Frauseins zu kurz?
Für Brigitte Burkart, Psychologin an der Hochschule Pforzheim,
ist der Fall Vanessa/Jörg beispielhaft. Sie hat das Phänomen
der Gehaltskluft zwischen Männern und Frauen – genannt
»gender pay gap« – untersucht und dazu zehn Absolventenjahrgänge
befragt.
Ergebnis: Trotz vergleichbarer Qualifikation steige eine
Pforzheimer BWL-Absolventin im Durchschnitt mit acht Prozent
weniger Gehalt in den ersten Job ein als ihr männlicher
Kollege.
Leider beschreibt Burkarts Befund keine skandalösen Sonderfälle.
Skandalös ist vielmehr, dass es, wo man auch hinguckt,
kaum anders zugeht. Zahlreiche Untersuchungen, etwa
die des gewerkschaftlichen Projekts Lohnspiegel (www.lohn
spiegel.de), kommen zum selben Schluss: Egal ob Bäckereiverkäuferin
oder Mathematikerin – nach den ersten drei Berufsjahren
verdienen Frauen durchschnittlich 18,7 Prozent
weniger als Männer.
Der Vorsprung der Männer ist nicht mehr einzuholen. Übers
Berufsleben gerechnet bekommen Frauen laut Statistischem
Bundesamt 23 Prozent weniger. »Der Lohnunterschied in
Deutschland ist größer als in fast allen anderen Industrie -
ländern«, konstatiert die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung. Im europäischen Vergleich
befindet sich die Bundesrepublik im unteren Viertel.
Auf einen Aufschrei der Empörung indes wartet man ver -
gebens. Niemand erregt sich über die Diskriminierung, obwohl
es seit zehn Jahren eine Selbstverpflichtung der Unternehmen
gibt, diese Ungleichheiten abzubauen.


Dabei hilft nicht, dass viele Frauen es offenbar in Ordnung finden,
für die gleiche Arbeit weniger Lohn zu bekommen als Männer, so
eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung
(DIW). Sitzt das Bild vom Mann als Familienernährer noch so
tief? Politik und Wirtschaft präsentieren gebetsmühlenartig scheinbar
einleuchtende Erklärungen für die Ungerechtigkeit: die beruflichen
Vorlieben von Frauen, die eher in geringer entlohnte soziale
Berufe gehen als in lukrativere technische; die Babypausen; den
Hang zur Teilzeit.
Klingt gut, erklärt aber wenig. Denn das Statistische Bundesamt
hat auch Männlein und Weiblein mit gleicher Ausbildung, gleicher
Wochenarbeitszeit, gleicher Betriebsgröße und gleicher Position
verglichen. Ergebnis: Auch da bekommen Frauen rund zehn Prozent
weniger. Mit Qualifikation hat die Ungleichbehandlung also
wenig zu tun.
Das ist in den höheren Etagen nicht anders. Vollzeitbeschäftigte
Frauen in Führungspositionen erhalten im Schnitt monatlich 1200
Euro weniger Gehalt als ihre männlichen Kollegen, berichtet das
DIW. Auch von Prämien und Gewinnbeteiligungen bekommen
sie weniger ab. Die Analyse ist eindeutig: Es handelt sich um Diskriminierung,
von der ersten Gehaltsverhandlung an. »Es sieht so
aus, als würden die Firmen den Frauen weniger Gehalt anbieten
als den Männern, einfach weil sie Frauen sind«, sagt Burkart.
Die Statistikerin Kirsten Wüst und Burkhart wollten genau wissen,
wie stark sich das Geschlecht auf das Gehalt auswirkt. Auch biografische
Feinheiten der Lebenswege von Absolventen wurden
analysiert. Zum Beispiel Jörg: Seine Vita läuft kurvenreich, Hauptschulabschluss,
kaufmännische mittlere Reife, abgebrochenes Berufskolleg
für Soziales, Ausbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik,
Fachhochschulreife, Studium, sehr gutes Diplom.
Vanessas Lebenslauf beschreibt eine Gerade: Hochschulreife auf
einem Wirtschaftsgymnasium, Studium in Pforzheim, Auslands-
semester in Australien, sehr guter Abschluss. Sie war drei Jahre
jünger als Jörg, als sie in den Beruf ging.
Laut Burkart und Wüst wird eine vor dem Studium absolvierte
Lehre beim Einstiegsgehalt mit plus 4,8 Prozent belohnt; männliche
Absolventen können häufiger eine Lehre vorweisen. Plus 4,1 Prozent
mehr Gehalt bringt ein einsemestriger Auslandsaufenthalt,
ein Aufschlag, von dem eher Frauen profitieren.
Es bleibt aber ein Gehaltsabschlag von 8,7 Prozent, den Frauen
offenbar allein aufgrund ihres Geschlechts hinnehmen müssen.
Es wirkt sich stärker aus als beispielsweise die Examensnote (6,5
Prozent).Warum?
Viel liege an der schlechteren Selbstvermarktung, glauben Experten.
Irgendetwas muss ganz grundsätzlich falschlaufen, wenn sich
die meisten Frauen mit Gehaltszuwächsen zwischen einem und
zehn Prozent zufriedengeben – während es der Hälfte der Männer
gelingt, eine Erhöhung von mehr als zehn Prozent zu erstreiten,
so das Ergebnis einer Studie von Andrea Ruppert und Martina
Voigt von der FH Frankfurt.
Die zum Teil sozial erlernte Selbstdiskriminierung müsse abgelegt
und durch eine härtere Verhandlungsstrategie ersetzt werden, raten
viele Forscher. Brigitte Burkart bietet spezielle Trainings an,
um das Feilschvermögen ihrer Absolventinnen zu fördern.
Die Studentinnen sollen sich mit einer konkreten Stellenausschreibung
vorbereiten: Was verlange ich? Wie gehe ich vor?
In Rollenspielen üben die Frauen den Ernstfall. »Die Studentinnen
finden das offenbar sehr hilfreich«, sagt Burkart. »Viele
von ihnen haben sich vorher noch nie mit dem Thema Gehalt
beschäftigt.«
Männer dagegen legen sich mehr Argumente fürs Bewerbungsgespräch
zurecht, ersinnen Antworten auf Einwände, erwägen
verschiedene Gesprächsverläufe.
»Zunächst einmal sollte man sich über Vergleichsgehälter informieren
und den eigenen Marktwert recherchieren«, sagt
Andrea Ruppert. Dann gehe es darum, sich über die Situation
der Personalchefs Gedanken zu machen – der will einerseits
gute Leute, darf aber auch nicht zu viel ausgeben. »Es ist wichtig,
zwischen der Person und den Interessen des Gegenübers
zu unterscheiden.«
Viel hängt von dem Betrag ab, den der Kandidat zuerst benennt.
Die Chance ist am größten bei einem hohen, aber nicht
übertrieben hohen Erstangebot. Doch was ist hoch – und was
ist übertrieben hoch? Möglicherweise setzen viele Frauen die
Grenze zu tief an. Wie Vanessa haben sie Skrupel, den Bogen
zu überspannen.
Und sie haben allen Grund dazu. Ihre Zurückhaltung ist berechtigt,
denn das Problem ist weitaus älter, tiefgründiger und
komplizierter, als es auf den ersten Blick aussieht. Denn als
Frau so dominant aufzutreten wie ein Mann werde von Män-nern – und die stehen meist auf der einstellenden Seite – nicht
goutiert, berichten die Psychologinnen Alice Eagly und Linda
Carli im »Harvard Business Manager«. Es herrsche eine »Diskriminierung,
die im Wesentlichen auf einer Reihe weitverbreiteter,
bewusster und unbewusster Assoziationen zum Komplex
Frauen, Männer und Führung« beruhe.
Untersuchungen ergaben, dass Menschen auf Dominanzverhalten
der beiden Geschlechter höchst unterschiedlich reagieren.
So ist etwa jeder Versuch, nonverbal die Situation zu kontrollieren,
indem man zum Beispiel sein Gegenüber starr fixiert,
für Frauen riskanter als für Männer. Ein entschlossenes Auftreten
kann ihre Chancen auf eine Stelle oder einen Karriereschub
sogar mindern.
Frauen stoßen schon auf Ablehnung, wenn sie einfach nur
widersprechen – was bei Männern eher als Zeichen von Selbstbewusstsein
und Durchsetzungsfähigkeit gewertet wird. Und
wenn eine Frau aus verständlichen Gründen, etwa im Bewerbungsgespräch,
ihre Vorzüge betont, wird das als höchst unbescheiden
– sprich unfeminin – gedeutet.
Die Untersuchungen folgten der Methode des Goldberg-Paradigmas,
benannt nach einem 1968 durchgeführten Experiment
von Philip Goldberg. Damals mussten zwei Gruppen
Studenten identische Aufsätze bewerten, deren einziger Unterschied
darin bestand, dass mal ein Mann, mal eine Frau als
Autor genannt wurde. Heraus kam, dass offenbar tiefgreifende
Vorurteile den Blick auf die Geschlechter vernebeln: Außer
bei traditionellen Frauenthemen wurde das vorgeblich von
Autorinnen Geschriebene durch die Bank weg schlechter be-
wertet als dieselben Texte, wenn sie mit Männernamen unterzeichnet
waren.
»Knapp 40 Jahre später zeigen Experimente leider immer noch
dieselbe Voreingenommenheit im Kontext des Arbeitslebens«,
schreiben Eagly und Carli. Bei der Besetzung von Stellen werden
Männer den gleichqualifizierten Frauen vorgezogen, sowohl in
Männerjobs als auch in geschlechtsneutralen. Nur in alther -
gebrachten Frauenberufen haben weibliche Bewerber eine reelle
Chance. Da wundert es kaum, dass Frauen sich eher in diesen
Bereichen orientieren, statt sich in Männerdomänen aufs Abstellgleis
schieben zu lassen.
Und auch die Tatsache, dass Jörg Poersch mehr hat herausschlagen
können als Vanessa Schuster, ist kaum noch verwunderlich. Sein
Verhalten befand sich schließlich absolut im Einklang mit dem,
was die Prüfer von ihm als Mann sehen wollten. Der Löwe hat gut
gebrüllt.
Wie aber hätte er sich an Vanessas Stelle verhalten, die nach dem
Abschluss zunächst zwei Monate ohne Job geblieben war? Hätte
er 50 000 Euro gefordert? Nein, meint er, so forsch wäre er dann
nicht aufgetreten.
Und Vanessa? Wäre sie so hoch eingestiegen wie Jörg, der die Stelle
schon während der Diplomarbeit angeboten bekam? Vanessa
Schuster überlegt. »Ich hätte sicher mehr als 40 000 verlangt, aber
niemals so viel wie Jörg. So risikofreudig und so selbstsicher wäre
ich nicht gewesen.«
Selbst im Scheitern denken die Geschlechter unterschiedlich. Jörg
Poersch auf die Frage, wie er mit einer Absage umgegangen wäre:
»Ich würde mir denken: Da hat jemand nicht gesehen, wie gut
ich bin.«
Dagegen Vanessa Schuster: »Ich würde mich fragen: Woran hat es
gelegen? Was kann ich noch nicht?«
PETRA RIEDEL, MICHAELA SCHIESSL

www.hs-pforzheim.de/De-de/Hochschule/.../Uni_Spiegel_Riedel.pdf

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