Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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"Wir waren eine ganz normale Familie" (... bis das Jugendamt ....)

Aladin, Tuesday, 27.09.2011, 19:44 (vor 4595 Tagen)

Das Jugendamt nahm einer Mutter ein Kind weg - seit 20 Monaten kämpft sie um die Tochter

Das Einfamilienhaus steht in einer ruhigen Ecke von Mariendorf. Ein großer Garten gehört dazu. Im Vorraum stehen Terrarien mit Schildkröten und einem Igel. Ein kleiner Terrier springt herum. "Die Tiere gehören meinen Kindern", sagt Viola Fechner. Drinnen ist es mollig warm, heimelig. Wäre da nicht dieser Berg von Unterlagen, der immer griffbereit ist: Gerichtsbeschlüsse und Briefe, viele Briefe.

Die 45-jährige hat sie geschrieben: an das Jugendamt, an die Stadträtin von Tempelhof-Schöneberg, an Gerichte, an die Bundesfamilienministerin. Es geht um ihre 16 Jahre alte Tochter. Viola Fechner will sie wieder bei sich haben, kämpft gegen das Jugendamt - seit 20 Monaten.

"Wir waren eine ganz normale Familie", sagt sie. Bis zu jenem Apriltag im Jahr 2008. Da stellte die Alleinerziehende fest, dass ihr Geld fehlte. Sie fragte ihre drei Kinder. Die bestritten, das Geld genommen zu haben. Im Zimmer ihrer Tochter fand die Mutter "haufenweise Quittungen" aus Boutiquen. Nie hätte sich die Tochter das leisten können. "Ich machte mir Sorgen", sagt Viola Fechner. "Und weil ich dachte, dass es mit meiner Tochter Streit geben würde, bat ich eine Freundin, mit meiner Tochter zu reden." Die Freundin tat ihr den Gefallen - ging aber mit der Tochter ohne Wissen der Mutter zum Jugendamt. Dort wurde das Mädchen in Obhut genommen. Der Grund: Kindeswohlgefährdung.

Meldebogen von der Behörde

Die Mutter fühlt sich ungerecht behandelt vom Jugendamt. Nicht nur sie. Inzwischen gibt es immer mehr solcher Fälle - so liegen dem Petitionsausschuss des Europaparlaments weit mehr als 200 Beschwerden aus Deutschland vor.

Viola Fechner, die selbst beruflich Kinder betreut, sagt: "Bis heute weiß ich nicht, warum meine Tochter aus der Familie genommen wurde." Vom Jugendamt hatte sie nur einen Meldebogen bekommen. Darauf steht, dass es in der Familie ein "häusliches Spannungsfeld" gebe und die Mutter Suizidabsichten geäußert habe. "Das mit den Suizidabsichten ist Quatsch", sagt Viola Fechner. Trotzdem ist ihre Tochter bis heute in einer Einrichtung für betreutes Wohnen untergebracht.

"Es gab schon Schwierigkeiten in dem Haus", sagt Fechners Anwältin Annette Langner. Doch sie bezweifelt, dass die Inobhutnahme verhältnismäßig ist. "Da wurde viel zu wenig geprüft." Weil sich die Mutter nicht damit abfand, dass die Tochter in einer vom Amt vorgesehenen Einrichtung untergebracht wurde, beantragte das Jugendamt den Entzug des Sorgerechts. "So läuft das oft", sagt die Anwältin. Sie bearbeitet fünf solcher Fälle.

Das Landgericht entzog Viola Fechner das Sorgerecht aber nicht. Jetzt legte das Jugendamt Beschwerde ein. Dann entschied das Kammergericht gegen die Mutter. "Es hat kritisiert, dass Frau Fechner keinen Kontakt zu der Tochter habe", sagt die Anwältin. Das Perfide: Das Jugendamt selbst habe der Mutter nahe gelegt, den Kontakt ruhen zu lassen. "Ich sehe in dem Vorgehen einen Verstoß gegen das Grundgesetz, wonach es das Recht der Eltern ist, ihre Kinder zu pflegen und zu erziehen", sagt die Anwältin. Sie hat Verfassungsbeschwerde eingereicht.

Angelika Schöttler, Jugendstadträtin von Tempelhof-Schöneberg, sagt, der Fall sei nicht einfach. Die Tochter selbst habe darum gebeten, von der Mutter getrennt zu werden, weil es zu Hause Probleme gab. "Die Tochter gab berechtigte Gründe an", sagt Schöttler. Über die Gründe könne sie aber nicht reden - sie seien vertraulich. Nur soviel: "Die Mutter war mit der Erziehung überfordert, sie hat auch nicht mit dem Jugendamt kooperiert." Es sei in einigen Familien eben so, dass die Eltern nicht einsehen, dass sie Teil des Problems sind. "Die Entscheidung des Jugendamtes ist vom Gericht überprüft worden. Am Ende hat man dem Jugendamt Recht gegeben.", sagt sie.

Uwe Jopt von der Universität Bielefeld ist Diplompsychologe und tritt bei Familiengerichten als Sachverständiger auf. Der Professor sagt, die Jugendämter seien stark unter Beschuss. Mal, weil sie nicht handelten, mal, weil sie überreagierten. "Ihre Arbeit ist aber wichtig. Wir brauchen sie als Kinderschutzpolizei." Die Ämter sollten lieber einmal zu oft, als einmal zu wenig eingreifen. Aber das oberstes Ziel sollte immer sein, dass das entzogene Kind wieder zu den Eltern kommt, wenn sich dort die kritisierten Verhältnisse gebessert haben.

Problematisch sei oft, was nach der Wegnahme des Kindes geschehe. "Das ist in vielen Fällen eine schreckliche Katastrophe", sagt er. Dann nämlich müsse laut Gesetz ein Vormund gesucht werden - etwa ein Onkel oder eine Tante des Kindes. Nur in Ausnahmefällen darf das Amt einspringen. "Doch in der Regel ist das Jugendamt der Vormund", sagt Jopst. "Ein Verwaltungsmitarbeiter muss sich dann im schlimmsten Fall um hundert Kinder kümmern." Es gibt zudem keine Instanz, die die Jugendämter kontrolliert. Auch die Gerichte haben nicht - wie oft behauptet - diese Kontrollfunktion. "Das Gericht ist dem Jugendamt ausgeliefert", sagt Jopst. "Ein Richter ist kein Kinderpsychologe. Er ist darauf angewiesen, was ihm das Jugendamt als handlungsnotwendig anträgt." Und überhaupt: Was bedeutet Kindeswohlgefährdung? "Ein Totschlagargument, ein unbestimmter Rechtsbegriff", sagt der Experte.

Wohlmeinende Dilettanten?

Ein zweites Problem sind nach seiner Auffassung die Mitarbeiter der Jugendämter, die sich mit Verhaltensauffälligkeiten der Kinder befassen. "Einige von ihnen sind wohlmeinende Dilettanten", sagt er. "Sie haben an der Fachhochschule Sozialpädagogik studiert. Ihnen fehlt aber jede kinderpsychologische Ausbildung." Viola Fechner hat eine Initiative für Eltern gegründet, die davon überzeugt sind, dass ihnen die Kinder aus nichtigen Gründen weggenommen wurden. "Seitdem weiß ich, dass ich kein Einzelfall bin", sagt die Frau, die jahrelang Elternsprecherin war. An die hundert Betroffene aus ganz Deutschland haben sich bei ihr gemeldet.

Solidarität mit ihr bekunden auch Nachbarn, die Kinderärztin und eine Lehrerin. "Mir ist überhaupt nicht klar, wie jemand, der Sie kennengelernt hat, zu der Einschätzung kommen kann, dass Ihnen das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Tochter aberkannt werden sollte", schrieb etwa die Lehrerin. Ein Nachbar: "Wir können sehr guten Gewissens bestätigen, dass Frau Fechner eine treusorgende, herzliche und kreative Mutter ist." Geholfen haben ihr die Briefe nicht.

ElternInitiative: www.betroffene-eltern.com


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