Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Berlin, deine Männer

Salvatore Ventura @, Berlin, Tuesday, 21.11.2006, 13:56 (vor 6371 Tagen) @ Dirk

Von den Texten, die sich mit der Situation der Berliner Männer befassen, ist dies hier sicherlich der Schlechteste. Auf die Artikel von Mercedes Bunz und Nils Minkmar habe ich ja schon mehrfach hingewiesen. Fälschlicherweise behauptet die Autorin hier, der Artikel von Bunz wäre euphorisch gewesen. Das diese Aussage unterstützende Zitat ist völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Der Bunz Artikel ist sehr gespalten und läuft am Ende darauf hinaus, dass sich die Männer in Berlin entziehen, sei es der Karriere oder der Familie. Da ich ein Mann aus Berlin und in der Medienbranche tätig bin, kann ich die angesprochene Situation recht gut beurteilen.
Schaun mer mal:

Berlin, deine Männer
Ein bisschen Karrierefrust, ein wenig Armut und das Ganze gemixt mit einem Schuss Ost-Identität - das besondere Klima in der Hauptstadt hat einen familientauglichen Mann geformt.
Von Bettina Seipp

Das Wort Karrierefrustist sicherlich falsch. Eine Karriere um der Karriere willen, so wie man es häufig von Frauen kennt, ist gar nicht erwünscht. Erwünscht sind stattdessen funktionierende Projekte. Die Motivation ist ausschließlich Interesse. Manchmal gibt es dafür auch Geld, manchmal sogar ziemlich viel(ich verdiene mittlerweile mehr als ein mittlerer Angestellter).Geld ist nicht unwichtig, Status ist dagegen völlig unwichtig.

Sophie, Andrea und Nele sind Mitte 30, Akademikerinnen und Emanzen. Sie gehen so mitleidlos ihren Weg, dass es einem um ihre sanftmütigen Männer fast bang wird. Denn die "Freundinnen fürs Leben", so der Titel des kürzlich im ZDF ausgestrahlten Filmes, machen keine Kompromisse: Ihre Männer müssen Zeit für den Nachwuchs haben, ihn von der Schule abholen und möglichst auch das nachmittägliche Beschäftigungsprogramm meistern, sich an der Hausarbeit beteiligen und bei alledem nett und potent bleiben. Perfekte Männer also, wie es sie nur im Fernsehen gibt - oder in Berlin.

Ja, die Männer, die Kinder haben, tun das. Sie müssen ja nicht so viel Zeit im Rattenrennen verbringen. Allerdings haben die meisten Männer keine Kinder und wollen auch keine.

Die Hauptstadt ist sichtbar anders als der Rest der Republik. Wer durch den Stadtteil Prenzlauer Berg läuft, glaubt sich in einer Vision Alice Schwarzers: Da sitzen mindestens so viele Väter auf den Spielplätzen wie Mütter; da lenken Männer rasant Kinderwagen und wickeln ihre Babys gekonnt auf dem Kaffeehausstuhl. Es ist eindeutig: Der Berliner Mann ist ein guter Mann und damit ein Vorbild für ganz Deutschland.

Mercedes Bunz hat schon richtig erkannt, dass der Berliner Mann kein Vorbild im Sinne der Frauen ist, sondern eher eine Gefahr. Normalerweise kümmert man sich um die eigenen Interessen oder die seiner Posse. Die Gesellschaft insgesamt kümmert niemanden. Auch die Wünsche von Frauen berühren uns nur sehr am Rande.

Berliner Jungs werden Intensivväter

Denn das männersanfte Straßenbild Berlins unterscheidet sich so sehr von anderen deutschen Städten, dass das Stadtmagazin "Zitty" die neuen Berliner Jungs schon enthusiastisch auf der Titelseite feierte. Chefredakteurin Mercedes Bunz analysierte damals: Eigentlich wollten diese lässigen Typen überhaupt keinen Nachwuchs, "aber sie sind dann, wenn es passiert, Intensivväter".

Eigentlich wollen diese lässigen Typen keinen Nachwuchs. So isses und dieser Wunsch geht fast immer in Erfüllung. Eigentlich wollen sie auch keine Beziehung. Zumindest nicht so etwas, das sich eine Frau unter einer Beziehung vorstellt.

Sophie aus dem Film gerät bei einem One-Night-Stand an einen solchen Berliner Jungen. Als neun Monate später Fritz auf die Welt kommt, steht der Neuvater jeden Tag vor der Haustür, um seinen Sohn auszufahren. Sophies Filmfreundin Andrea hat ebenfalls einen blutjungen Freund, der sich rührend um ihre Kinder kümmert und nicht ganz ins klassische Männerschema passt; er verzichtet auf Job und Karriere. Auch das gilt für die neuen Berliner Männer: Sie haben Zeit und Lust auf Kinder, weil sie andere Prioritäten setzen.

Sie haben keine Lust auf Kinder. Nur wenn sie schon welche haben, dann haben sie auch Zeit für sie. Aber eine Familie versorgen tut hier fast niemand. Der male bread winner ist in dieser Szene tot. Allerdings stellt sich für die Frauen die Frage, ob sie in die "bürgerliche Welt" wechseln und versorgt werden wollen. Wollen sie das nicht, was meistens der Fall ist, haben sie Probleme, überhaupt eine Beziehung zusammenzubringen. Da in dieser Szene die meisten Männer ein gewaltiges Desinteresse an den Tag legen, herrscht ein Mangel an beziehungswilligen Männern. Dazu kommt, dass diese Männer für viele Frauen ausgesprochen attraktiv sind. Durch ihr lässiges Gehabe wirken sie durchaus männlich. Viele von ihnen sind Musiker oder anderweitig kreativ und Frauen haben nun einmal eine unerklärliche Schwäche für Musiker. Falls einer dieser Männer zwar die szenetypischen Attribute an den Tag legt und trotzdem gutes Geld verdient, hat er im Grunde freie Auswahl. Wenn er mag, kann er auch gleich mehrere Frauen haben.

Die drei großen As

Alles in allem kann es sich für eine Frau also lohnen, sich auf die Suche nach einem familientauglichen Berliner Jungen zu machen. Und dabei muss sie vor allem auf die drei großen "As" achten:

Bei dieser Suche gibt es viel Konkurrenz.

1. Ausbildung: Jung und lässig allein reicht nicht. Ein guter Mann ist auch an seiner beruflichen Qualifikation zu erkennen. Besonders offen für gleichberechtigte Lebensmodelle sind Absolventen ingenieur- sowie medienwissenschaftlicher Studiengänge. Ihre beruflichen Perspektiven tendieren in der Hauptstadt gen null.

Seit der Wende verlor Berlin 200 000 Industriearbeitsplätze, dafür sind überdurchschnittlich viele Jobs in der Medienbranche entstanden. Weil aber gerade in kreativen Berufen Gehälter frei verhandelbar sind und sich die Frauen noch immer mit bis zu 30 Prozent weniger abspeisen lassen, werden sie bei Einstellungen bevorzugt behandelt. Zumindest in Berlin. Und schon haben die Männer dort massig Zeit für die Kindererziehung.

Wie die meisten Frauen denkt sie, Arbeit habe etwas mit Angestelltsein zu tun. Ein echter Irrtum. Besagte Männer suchen gar keinen Job. Sie haben Projekte. Die können Erfolg haben oder auch nicht, Hauptsache man zieht es durch. Nie im Leben käme ich auf die Idee einen Job anzunehmen. Von fünf Projekten wird vielleicht eins was. Das gibt aber dann oft richtig Asche. Nur die wird auch nicht in Frau und Familie investiert, sondern davon bestreitet man die nächsten Projekte.


2. Alter: Die guten Berliner Männer tummeln sich vor allem in Lounges und Clubs. Um sie zu stellen, können interessierte Mittdreißigerinnen allerdings erst nach Mitternacht auf die Jagd gehen. Natürlich, zu dieser unchristlichen Zeit trifft man vor allem feierwütige Jungspunde (oder ältere Männer, die sich wie feierwütige Jungspunde benehmen). Aber genau sie stellen das Gros der begehrten neuen Berliner Jungs. Irgendwo muss eine Frau halt Abstriche machen.

Ein One-Night-Stand könnte für die Frau schon dabei rauskommen. Vielleicht schiebt sie dem Mann dabei ein Kind unter. Das ist jedoch nicht ratsam, da die Reaktion des Mannes sehr schwer abzuschätzen ist. Fühlt er sich verarscht, kann es ebensogut sein, dass er nicht viel Zeit mit dem Kind verbringt, sondern Kind und Mutter komplett ignoriert. Ich kenne einige solcher Fälle.

Immerhin loben selbst die Wissenschaftler Beziehungen mit jüngeren Männern: Ursula Richter, Soziologin und Autorin des Buches "Wenn Frauen jüngere Männer lieben", meint: Vor allem in solchen Beziehungen werde wahre Gleichberechtigung gepflegt.

Irgendwann kommt unweigerlich der Moment, in dem der jüngere Mann die ältere Frau auf eine etwas zweifelnd-taxierende Art anschaut. Von da an fühlt sie, wie es mit ihr bergab geht.

3. Aussprache: Ostdeutsche Burschen hatten voll berufstätige Mütter, selbstbewusste Schwestern und überhaupt ein entspanntes Verhältnis zu ihren Mitschülerinnen. Aber die emanzipatorisch hoch entwickelte DDR ist ja schon seit 16 Jahren Geschichte. Und wer in den neuen Ländern noch Arbeit hat, unterscheidet sich heute kaum von seinen männlichen Geschlechtsgenossen im Westen. In der Hauptstadt aber, wo sich nach der Wende eher die flexiblen Mütter als die Väter behaupteten, haben sich noch Reste dieser alten, ostdeutschen Familienstrukturen erhalten. Und auf die Söhne abgefärbt.

Die Qualitäten des Ostmanns

Man erkennt sie leicht an der Aussprache (Ostdeutsche berlinern oder sächseln für gewöhnlich) und an der hohen Bereitschaft, Geschirr zu spülen und Fenster zu putzen. Das mögen die Frauen. Galten Ostmänner nach der Wende zunächst als schlecht gekleidete Verlierer ohne Manieren, Autos und Vermögen, hat mittlerweile gerade bei Westfrauen ein Umdenken eingesetzt. Sie lernten die Qualitäten des Ostmannes wie zum Beispiel Bodenständigkeit, Ehrlichkeit und Familientauglichkeit zu schätzen: 1990 kam auf drei Ostfrau-Westmann-Beziehungen lediglich eine Ostmann-Westfrau-Ehe. Heute hat sich das innerdeutsche Beziehungsverhältnis zugunsten der Ostmänner angeglichen.

Ich persönlich ziehe die Ost-Frauen ihren westlichen Schwestern eindeutig vor. Statt feministisch sind sie tatsächlich emanzipiert, zumindest teilweise.

Bleibt am Ende noch die Frage, ob der neue Berliner Mann nicht doch einen Tick zu verweichlicht sein könnte, um gleich ein ganzes Leben mit ihm zu verbringen. Charlotte Roche, einst Viva-Moderatorin und heute Schauspielerin, ist da anderer Meinung. Ihr Paarungsmotto lautet: "Männer sollen so weiblich sein, wie es nur geht."

Warum paart sie sich dann nicht gleich mit einer Frau. Vielleicht sollen die Männer für sie möglichst weiblich sein, weil sie es selbst nicht ist. Solche Frauen sollten vorsichtig sein: Manche Männer sind so weiblich, die brauchen gar keine Frau mehr. Am Ende fehlt der gesamten Gesellschaft der männliche Faktor. Der kommt dann eben woanders her (Islam?). Aber wie gesagt, den meisten Männern hier ist die Gesellschaft völlig wurscht.


Und das spricht Berliner Jungs ganz tief aus der Seele, meint "Zitty"-Chefredakteurin Mercedes Bunz: "Alles in allem wird in Berlin mit Männlichkeit auffallend gelassen umgegangen ... Der Machismo ist nicht nur out, sondern tot. Der souveräne Mann heute ist ruhig, entspannt und lässig. Und Berliner Jungs sind bei dieser neuen Männlichkeit so was wie die Vorreiter."

Ruhig, entspannt und lässig: Das sind ganz sicher keine weibliche Eigenschaften. Nein, es sind die männlcihen Klassiker. Die Berliner Männer werden dadurch noch lässiger, dass sie sich nicht bemühen, Frauen zu gefallen. Die einzigen akzeptierten Kritiker sind Ihresgleichen.

Verlockende Aussichten also für die Frauen, zumal die Wachstumsbedingungen für den perfekten Mann offenbar ziemlich einfach zu gestalten sind: ein bisschen Karrierefrust, etwas Armut und ein Schuss Ost-Identität.

Oder anders gesagt: Eine lahmende Wirtschaft wie in Berlin kann auch Vorteile haben.

Eine lahmende Wirtschaft ist nicht Ursache, sondern Folge der Mentalität hier. Es zeigt sich auch wieder, dass Frauen etwas schon vorhandenes pflegen und verwalten können. Es erschaffen können sie nicht. Tun es die Männer nicht, tut es niemand. Aber als typischer Berliner Mann sage ich: Scheiß drauf!

So, das war eine kleine Schilderung aus der Sicht eines männlichen Berliner Szenegängers. Ich kann versichern, Frauen mögen uns, aber sie leiden auch an uns, was uns nun wiederum ziemlich egal ist - wie gehabt. Sollten alle Männer so werden wie wir, gibt es bestimmt keine Kriege mehr und sehr wenig Gewalt. Familien und Beziehungen gibt es dann aber auch keine mehr, Kinder kaum noch und die Wirtschaft geht ganz sicher den Bach runter. Aber wen kümmert das schon , außer Frauen vielleicht?

Ciao
Salvatore

Artikel erschienen am 21.11.2006


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