Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Fremdgehen, Eifersucht, Trennung, Regenmantel

bberlin, Wednesday, 28.03.2012, 05:53 (vor 4406 Tagen)

Der Text von Binswanger "pro Fremdgehen" hat mich darauf gebracht, einen - sorry - längeren Text zu bringen: Prosa. Ein Kurzkrimi. Für ein richtiges Frauenbuch, das vermutlich unter dem Titel 'Gefährliche Liebe' erscheinen wird. Weil ich es nicht verlinken kann, hänge ich es in voller Länger an.

Vorweg: Bei der jungen Frau, die fremdgeht, liegt eine Täuschung vor: Sie denkt nicht über den Augenblick hinaus. Das Böse am Feminismus ist, dass er nicht nur den Sex vergiftet hat, sondern darüber hinaus auch alle anderen Formen des Umgangs von Frau und Mann: Partnerschaft, Elternschaft ... Da ist kein Vertrauen mehr, keine Zuverlässigkeit.

Das Wort "untreu" hat zwei Bedeutungen. Man kann auch Geld "veruntreuen". Das gilt auch für "betrügen" - was juristisch nur materiell gilt. Die treulose Frau ist eine Heldin, weil sie damit das Patriarchat aufbricht, der untreue Mann dagegen ...

Nun, wer es lesen mag. Here we go:

Der berühmte blaue Regenmantel

Wie der andere es sieht

Ich war mit Moni am Grab, mit ihr und der Kleinen, dabei ist Miriam nicht mehr klein, wir sagen dennoch „Kleine“ zu ihr. Wir kamen zu spät. Erst als sich die anderen verzogen hatten. Absichtlich. Moni wollte das der Kleinen ersparen, sich selber auch. Ich hatte ihr das geraten und angeboten, dass ich mitkomme.
Wir sind zu dritt ans Grab gegangen. Ich habe mich kurz dazugestellt und habe sie dann ein wenig allein gelassen. Mir ist aufgefallen, dass die Kleine ihn beim Vornamen genannt hat: „Tschüss Hans“, hat sie beim Weggehen gesagt, nicht Papa. Moni hatte ihr Rescue-Tropfen gegeben und selber auch welche genommen. Es war verdammt traurig, mit anzusehen, wie sie da am Grab standen. Es hat aber nicht angefangen zu regnen, wie das bei so einer Gelegenheit in Romanen von Heinrich Böll der Fall wäre. Sie haben auch nicht geweint. Das hatten sie vorher schon getan.
Axel habe ich gesehen. Nur kurz. Der hatte sich versteckt und sich gleich verzogen, als er mich sah. Typisch. Über Hans haben wir nicht weiter geredet. Wozu auch?! Über Tote soll man nur Gutes sagen. Also habe ich meine Klappe gehalten. Gedacht habe ich mir schon meinen Teil. Warum musste er so einen spektakulär dummen Unfall bauen und all dem Elend, das er Frau und Kind bisher schon angetan hatte, noch die Krone aufsetzen!?
Er ist wie ein Verrückter gefahren. Dabei hatte er das Motorrad seit der Geburt von Miriam abgemeldet. Das hatte Moni durchgesetzt, er sollte zeigen, dass er nun Verantwortung für die Familie übernimmt. Er war ein Risiko. Ein Unfallfahrer. Einer, der sich nicht anschnallt. „Ich schnalle mich auch am Klavier nicht an“, hat er nur gesagt. Und Moni hat erzählt, dass er schon mit seinem ersten Mofa gleich am ersten Tag einen Unfall gebaut hatte, weil er sich nach einer Frau umdrehen musste. Nun hat sich der Schürzenjäger ganz aus der Verantwortung gestohlen.
Es ging mit der Ehe steil bergab, seit Moni die Fehlgeburt hatte – da war Miriam drei – Moni war in der Zeit viel zu Hause, ich war viel bei ihr und wir haben viel geredet und ich habe versucht, sie aufzubauen. Sie musste irgendwie darüber hinwegkommen. Es ist schon seltsam: Als sie siebzehn war, hat sie sich mal die Handlinien lesen lassen, da wurde ihr ein behindertes Kind vorhergesagt. Das hatte sie aber nicht so richtig verstanden und auch wieder vergessen; Miriam ist ein Glückskind. Doch nun kam das alles wieder hoch: Das wäre vielleicht das behinderte Kind gewesen. Sie hatte auch schon einen Namen. Doch mit solchen Sachen konnte sie Hans nicht kommen, der hat sich darüber nur lustig gemacht. Je schlechter es ihr ging, desto mehr lebte er seine Freiheit in vollen Zügen aus. Es war ihm ganz egal, dass sie Angst hatte vor dem nächsten Arzttermin. Er zog die Boogie-street hoch und runter.
Manchmal ist er gar nicht nach Hause gekommen, er war angeblich bei einem Freund. Bei Axel. Wer’s glaubt. Moni hat es nicht geglaubt. Sie hat mir mal den Witz erzählt: Wenn eine Frau bei dem besten Freund anruft und fragt, ob es stimmt, dass er bei ihm übernachtet hätte, dann sagen 8 von 10 besten Freunden, er wäre sogar immer noch da. Wenn sie bei Axel angerufen hätte, hätte der garantiert gesagt: „Ich geb ihn dir mal kurz“, und hätte seine Stimme verstellt. Sie wusste, was sie von ihm zu halten hatte.
Wenn er ausnahmsweise zuhause war, hat er sich stundenlang auf irgendwelchen Pornoseiten im Internet herumgetrieben und nicht mal den Verlauf gelöscht, weil er dachte, dass sie sich nicht auskennt und zu blöd ist, ein elektrisches Gerät einzuschalten. So hat er sie behandelt. Sie war aber nicht zu blöd, mich zu fragen. Dass MIRIAM plus Geburtsdatum sein Passwort ist, war auch nicht schwer zu raten.
Er hat immer den großen Macker gespielt und sie klein gehalten: „Frauen und Technik“, hat er gerne gesagt und dann noch hinzugefügt: „Männer und Blumen“. Das sollte witzig sein. Moni konnte darüber längst nicht mehr lachen. Zu Blumen hatte er tatsächlich kein Verhältnis. Gar keins. Er kannte nur Rosen und Unkraut. Und was er für eine Rose zuhause hatte, ist ihm vermutlich erst aufgefallen, als er an das Unkraut in Nylonstrümpfen geraten ist. Die wollten wir natürlich nicht sehen. Moni wollte sich nicht angucken, wie die bei der Beerdigung ihre Strumpfkollektion vorführt. Laura läuft wahrscheinlich nur in schwarzen Nylons rum. Sommer und Winter. Tag und Nacht. Vermutlich zieht sie die nicht mal zum Duschen aus.

Sie ist das wandelnde Gift. Wahrscheinlich hat sie mal in irgendeiner Frauenzeitschriften gelesen, dass man sich am besten eine Mann als Geliebten und potentiellen Vater aussucht, bei dem man die Qualität seiner Gene nicht nur an seinem Erfolg, sondern auch am Kind abschätzen kann, damit man die Katze nicht im Sack kauft. So eine ist das. Ein Biest! Eine echte Haftladung, die sich ranschmeißt und dann alle hochgehen lässt. Als Hans ihr ins Netz ging, musste er natürlich sofort das Motorrad wieder abstauben und so tun, als wäre er in all den Jahren nicht älter, sondern jünger geworden.
Moni hat wie eine Löwenmutter um die Beziehung gekämpft. Sie war verzweifelt. Es war genau das eingetreten, was sie am meisten befürchtet hatte: Er zieht mit einer Jüngeren ab. Sie hat ihn noch zu verschiedenen Eheberatungen mitgenommen, zu einer systemischen Beratung und einem VHS-Kurs, der eigentlich harmlos war. Er war immer dagegen. Er wollte nicht. Er hat nur belämmert rumgesessen. Er gehörte auch zu den Männern, die als Letzte mitkriegen, was überhaupt läuft. Er hat sich regelrecht geweigert, Beziehungsarbeit zu machen. Moni hatte natürlich erwartet, dass bei der Gelegenheit rauskommt, was er alles so für Seitensprünge auf seinem Konto hat. Aber er hat dicht gehalten. Über Gefühle reden konnte er sowieso nicht.
Er hat das überhaupt nicht ernst genommen. Als sie ihn gebeten hatte, dass er Vertrauen schaffen soll, hat er nur herumgealbert: „Vertrauen schaffen ohne Waffen“. Eigentlich konnte er einem leidtun. Moni hat erst so nach und nach gemerkt, was mit ihm los war: Er hatte sich nie von seinen Eltern losgemacht und lebte immer noch so, als müsse er seinem Vater gefallen und seine Ansprüche erfüllen. Er war, wenn er zufällig mal zu Hause war, immer nur abwesend und saß rum wie ein Pilz. Ich kenne ihn nur so. Er war auch einer von denen, an die man einfach herankommt. Der saß immer hinter einer unsichtbaren Mauer und war in Gedanken woanders. Vielleicht bei seiner neuen Geliebten oder seiner geliebten Arbeit oder seinem geliebten Motorrad oder seinen geliebten Saufbrüdern oder seinem geliebten Computer oder seinen geliebten Klavierschülerinnen.
Die Musik ging vor. Dann kam lange Zeit gar nichts. Es gab immer irgendwelche verstimmte Klaviere, um die er sich vorrangig kümmern musste. Er sah sich sowieso als was Besseres, als verkannten Künstler, den die Nachwelt noch entdecken würde und als Pionier des Klavierbaus. Er redete nur von Stockholm, Oslo und Montreux, da hörten sie angeblich alle auf ihn. Da war er eine große Nummer. Hier nicht. Für sein Kind hatte er keine Zeit. Immerhin hörte er eines Tages von selber auf, die Kleine mit Klavierübungen unter Druck zu setzen, weil er eingesehen hatte, dass doch keine Konzertpianistin aus ihr wird. Er gehörte zu den Männern, die schon deshalb keine guten Väter sein können, weil sie zu viel arbeiten. An dem Tag, der - wenn es gut gegangen wäre - der Geburtstag ihres zweiten Kindes gewesen wäre, hatte Moni Kerzen angezündet, es sollte eine kleine Gedenkfeier werden. Hans hat das nicht mal bemerkt. Er musste dringend weg.
Irgendwelchen Röcken hinterher. Einmal hat sogar eine Frauenstimme auf seinen Anrufbeantworter gestöhnt: „Liebling, wann kommst du endlich?“ Es war so was von peinlich, so was von daneben. Ich hätte es nicht geglaubt, wenn Moni es mir nicht vorgespielt hätte. Die Frau hat gestöhnt wie bei ‚Je t’aime mo non plus’.
Laura ist übrigens auch so ein Typ wie Jane Birkin. Enorm dünn. Und über die Hälfte besteht aus Beinen. Manche stehen ja drauf. Ich nicht. Sie ist siebzehn Jahre jünger. Wenn nicht mehr. Was soll denn daraus werden? Wieso muss er dafür seine Familie in die Tonne treten? Nur damit er als alter Bock noch mal eine Trophäe vor sich hertragen kann. Und die gibt sich für solche Auftritte freizügig als Dekoration her, dackelt brav neben ihm her und grinst. Es fehlt nur noch, dass sie zu allem, was er sagt, „Ja, mein Gebieter!“ flüstert.
Dabei konnte er nichts alleine. Der war absolut hilflos in der Küche. Sein Vorbild in Sachen Kochkunst war Robinson Crusoe. Als Moni ihm mal das ‚Basic Kochbuch’ schenkte, hat er nur mitleidig aus der Wäsche geguckt. Ich kenne diesen Blick. Er konnte dir sekundenschnell deutlich machen, dass er dich für minderbemittelt hält. Dabei war er selber nur ein Kind in Übergröße. Wenn er sich eine Pizza in den Ofen geschoben hat, hat er vorher noch schnell die Gebrauchsanweisung gelesen. Wenn Moni ihm nicht ständig den Rücken frei gehalten hätte, wäre er wie ein vertrottelter Künstler durch die Welt getorkelt. Er hätte glatt den Geburtstag seiner Mutter vergessen: Hochzeitstag. Kindergeburtstag – das waren keine Termine, die er auf dem Zettel hatte.
Er wurde immer wunderlicher und dachte, dass alle hinter ihm her wären. Alle. Wir haben ihn immer den Geisterfahrer genannt. Wir konnten ja nicht ahnen, dass es sein Schicksal sein würde. Er endete vermutlich wirklich als Geisterfahrer. Jedenfalls könnte es so gewesen sein: Er ist auf der falschen Seite gefahren, musste ausweichen und donnerte dann gegen diesen Schuppen. Eine Unfallbeschreibung gibt es nicht; andere Autos, die vielleicht beteiligt waren, haben sich nicht gemeldet und womöglich gar nicht mitgekriegt, dass da ein Motorradfahrer im Rückspiegel sein Leben vor die Wand gesetzt hat.

Irgendwann hatte er sich aus der Realität verabschiedet. Er hatte sich schon früher nicht für Politik und für soziale Fragen interessiert, nun wurde es noch weniger. „Ich wähle keine Quotenpartei“, hat er mal gesagt; und wenn er eine Politikerin im Fernsehen sah, spottete er nur: „Üben, Mädchen, üben, das sage ich meinen Schülern auch immer“. Er hielt sogar den ‚Spiegel’ für ein Propaganda-Blatt. Er hatte offenbar den Wahn, dass Alice Schwarzer es auf ihn persönlich abgesehen hätte. Er sprach ständig vom Unrechtsstaat und von krimineller Bande, als wäre das selbstverständlich. Er hat sich auch vor Gericht unmöglich aufgeführt und so getan, als wäre das alles unter seinem Niveau. Er hat einfach nicht wahrhaben wollen, dass es Gesetze gibt.
Er wurde zunehmend unberechenbar. Und gefährlich. Das hat es für Moni nicht gerade leichter gemacht. In der Zeit habe ich sie in Todtmoos bei ihrer Kur und später in der Wellness-Oase besucht. Sie musste erstmal zur Ruhe kommen, doch sie kam einfach nicht zur Ruhe. Sie hatte Schlafstörungen und Herzrasen und keiner konnte sagen, woher das kam. Es war ja auch kein Wunder, bei dem Stress, der ihr zugemutet wurde. Sie hat es mit autogenem Training versucht. Und mit Entspannung nach Jacobsen. Wir haben dann nach ein paar Anläufen endlich eine Therapeutin gefunden, mit der sie Glück hatte. Das hat ihr gut getan. Richtig gut. Sie musste langsam wieder ein Selbstwertgefühl aufbauen, nachdem er sie so gedemütigt hatte. Sie war ganz unten, genau da, wo er sie haben wollte. Hans hat nämlich nie etwas anerkannt, was sie machte. Er nahm das alles als Selbstverständlichkeit hin.

Ich habe ihr geholfen, wo ich konnte. Moni musste sich schließlich wehren, damit er nicht das ganze Geld durchbrachte. Sie hatte überhaupt keinen Überblick über seine Konten. Sie ist sicher, dass er in Schweden welche hatte. Wieso ausgerechnet da, ist mir allerdings nicht klar, Schweden ist nicht die Schweiz, aber sie ist sicher, dass er irgendwo Geld verschwinden ließ. Und dann der aufreibende Kampf um die Wohnung! Sie ist natürlich geblieben, so lange es ging, um für das Kind die vertraute Umgebung zu behalten. Nun ja - jetzt hat sie einen Neuen und zieht demnächst um. Wir sind aber immer noch gut befreundet. Sehr gut sogar. Es gibt sie eben doch: diese gewisse Freundschaft von Mann und Frau.
Sie hat ständig unter der Ungewissheit gelitten, die sein Leben als Möchtegernkünstler mit sich brachte. Mal hatte Hans Geld, mal nicht. Und er hat sie natürlich spüren lassen, dass er es war, der das Geld bringt, dabei hätte sie das sowieso nicht tun können. Er hat ihr manchmal, wenn er von seinen Nachttouren zurückkam und irgendwie sein schlechtes Gewissen beruhigen musste, einen ganzen Strauß Rosen gekauft, er hatte einfach einem dieser armen Rosenverkäufer am Ende der Nacht alles abgekauft, was noch übrig war. Als wäre damit alles wieder gut.
Ich möchte wirklich nicht wissen, was der alles an Geldern verschoben und mit vollen Händen zum Fenster rausgeworfen hat. Der ist immer Essen gegangen und hat mit Trinkgeldern nur so um sich geworfen. Geraucht hat er auch. Der hätte ein kleines Vermögen sparen können, allein schon wenn er sich das abgewöhnt hätte.
Sie konnte sich auf nichts verlassen. Als sie ihn gebeten hatte, einen Aids-Test zu machen – denn so langsam machte sie sich wirklich Sorgen -, hat er nur gemeint, er ginge nicht indisch essen, als würde man sich das im Restaurant einfangen. Er hat sich nicht mal richtig informiert. Sie hat ihm manchmal Zeitungsartikel hingelegt, die hat er mit spitzen Fingern angefasst, in den Papiermüll getragen und höhnisch gesagt: „Ich hoffe, du bemerkst, dass ich den Müll gewissenhaft trenne!“

Wie er es sieht

Ich hatte mir schon gedacht, dass sie nicht zur Beerdigung kommt, Miri dann auch nicht und ihr Neuer sowieso nicht. Doch ich war nicht sicher. Außerdem sollte ich noch ein paar Fotos übergeben, die Hans bei mir gelassen hatte. Bei der Beerdigung wäre es leicht möglich gewesen, da hätte ich die Miri schnell zustecken können, ohne dass es dramatisch gewirkt hätte.
Irgendwie hatte ich geahnt, dass Moni und Miri erst kommen, wenn die anderen weg sind. Also habe ich in Sichtweite gewartet. Richtig. Sie kamen. Aber nicht alleine. Reinhard war dabei, der Mann von der Reservebank, der nie zum Schuss kommt. Seine Stunde war gekommen und er konnte wieder mal den weißen Ritter spielen. Doch nun war es keine gute Gelegenheit mehr für eine Übergabe. Die Rolle, in der ich dann gewesen wäre, gefiel mir nicht. Ich hätte nicht mehr wie einer der Trauergäste gewirkt, der dazugehört, sondern wie ein Störenfried, der ihnen aufgelauert hat.
Gut. Ich werde sie ihr später geben. Ich sehe Hans noch vor mir, wie er sich die Fotos von seiner Miri angesehen hat und sagte: „Das Beste, was ich machen kann, ist sofort zu sterben. Dann kriegt sie wenigstens meine Lebensversicherung und behält mich in guter Erinnerung, die ihre Mutter nicht mehr verderben kann. Dann versteht sie vielleicht, dass ich nicht zu den Bösen gehöre. Es darf allerdings nicht wie ein Selbstmord wirken“. Das war einer dieser Momente, als ich dachte, ich müsste mir ernsthaft Sorgen um ihn machen.
Ich wusste wirklich nicht, wie mir zumute sein sollte, als ich die Ex von meinem besten Freund am Grab stehen sah, die sich vermutlich vorsätzlich verspätet hatte, um sich dann sagen zu können, dass sie natürlich auch dabei war – und gleichzeitig allen aus dem Weg gegangen ist, mit denen sie sich überworfen hatte, besonders mit seinen Eltern, für die es schrecklich ist, den Tod des eigenen Sohnes erleben zu müssen. Und mit all seinen Freunden auch, die sie vergrault hatte und die schon bei der Hochzeit scherzhaft von „Hans im Unglück“ gesprochen hatten. Sie waren alle da. Es gab ein eindrucksvolles Aufgebot von Motorrädern, obwohl er erst kurz vorher in den Bikerclub eingetreten war. Schon verrückt: Kaum kriegen die ein neues Mitglied, schon fährt es sich zu Tode. Auch die Musikszene war gut vertreten, der gesamte Gospel Chor ‚Swing low’, und ich glaube, fast die komplette Belegschaft der Musikschule.
Für Moni waren das alles Fremde. Nun stand sie da und erinnerte mich an eine von diesen Statuen. Unbeweglich. Kalt. Herzlos. Aus Stein. Oder Marmor. So einen Eindruck kann man natürlich leicht haben, wenn es richtige Standbilder in Sichtweite gibt. Sie stand genauso da - wie ein Denkmal.

Hans hat mal mich darauf aufmerksam gemacht, und es war mir auch schon aufgefallen - es stimmt: Moni lebt ihr Leben rückwärts. Sie weiß, wie es ausgeht, ehe es angefangen hat. So redet sie auch. Sie breitet zuerst ihre Beurteilung aus: „Es war die Hölle!“, so fängt sie an, und man muss sich mühsam durch gezieltes Nachfragen ein eigenes Bild von dem machen, was überhaupt passiert ist. Sie sagt erst, dass ein Typ „völlig unmöglich“ ist und erklärte dann, was er gemacht hatte. Ich habe sie mal darauf angesprochen, da hat sie es zugegeben und gesagt, sie würde auch Bücher am liebsten von hinten nach vorne lesen, sie wäre eben Widder, die sind ungeduldig.
Es ist allerdings mühsam, sich mit ihr zu unterhalten; denn sie will bei allem, was sie sagt, sofort eine deutliche Bestätigung, auch wenn man nur ihr Urteil über die Sache kennt. Sie fängt mit dem Ende an. So wie Obama den Friedensnobelpreis gekriegt hat, ehe er überhaupt die Möglichkeit hatte, etwas für den Frieden zu tun, so kriegte Hans eine Negativ-Auszeichnung, ohne dass er sich die verdient hätte. Das Urteil wurde in Abwesenheit gesprochen und ihm gar nicht erst mitgeteilt. Als hätte Moni beantragt, das Urteil vollstrecken zu dürfen, wenn sie die Beweise irgendwann mal nachliefert. Sie ist Kläger und Richter und Henker in einer Person, sie hält sich für gerecht und hat wie bei einer Endlosschleife immer wieder betont, dass sie nur das will, was ihr zusteht. Dann ist Hans zu mir gekommen, hat sich ausgeheult und gesagt, dass sie wieder ihre Zustände hat.
Er musste bei mir im unaufgeräumten Kinderzimmer übernachten, da hat er das Reversi-Spiel gesehen und hat mir erklärt, wie es in seiner Ehe zuging: Moni hatte die Eckpunkte besetzt und ihre Setzer angeklebt. So konnte sie jederzeit alle seine Setzer umdrehen und für sich vereinnahmen. Sie wollte Alles, nichts Halbes, keine Kompromisse, sondern Unterwerfung.
Sie rastete nicht aus, sie rastete ein: Sie kam dann in einen Modus, aus dem sie nicht mehr herauskam, wie ein Computer, der sich aufgehängt hatte. Dann ging es um „alles“. Sie warf dann alles in einen Topf und konnte nicht mehr differenzieren. Sie redete wie eine Lawine: „Nie hörst du mir zu“, „Immer muss ich alles alleine machen.“ In jedem Satz kam eine Verneinung vor, in jedem zweiten eine Generalabrechnung: „immer“, „total“, „nie“, „alles“, „absolut“. Wenn man die Dialoge in Comics darstellen würde, dann gäbe es auf ihrer Seite Sprechblasen, die so groß sind, dass sie nicht mehr ins Bild passen. Man konnte in so einem Moment nicht mehr mit ihr reden. Als gäbe es eine Warnung: Das Netz ist zur Zeit durch zu hohe Zugriffszahlen zusammengebrochen, versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal.
Ich wusste genau, was er meinte. Monis Mutter, die ich nur kurz kennen gelernt habe, ist übrigens genauso. Die hat auch Anfälle von Maßlosigkeit: Die kriegt über dreitausend Rente, lebt mietfrei und hat obendrein Einnahmen aus Kapitalanlagen, von denen sie nichts versteht – die macht sich dauernd Sorgen, dass sie verarmt. Vielleicht sind alle, die kein eigenes Geld verdienen, in Gefahr, unersättlich zu werden. Für die gilt einfach kein Limit; es sind Leute, die ihre Grenzen nicht kennen. Hans hatte seiner Moni alles, was er hatte, zu Füßen gelegt, Moni musste trotzdem nachkobern. Einmal hat er mir gesagt: „Ich habe ihr alles, wirklich alles, alles, alles gegeben. Und es war ihr immer noch nicht genug!“ - und das in einem Ton, als würde er seine letzten Worte sprechen. Das war wieder so ein Moment, in der ich mir ernsthaft Sorgen um ihn machte.
Er hatte ihr für rund zwanzig tausend einen Schneidetisch gekauft, damit sie sich Beiträge zum Nachsynchronisieren nach Hause holen konnte. So war es gedacht. Doch sie hielt ihre Arbeit für einen Scheißjob, eine elende Fummelei, und es waren sowieso nur blöde Dokus. Doch was Hans machte – ja, das war die Erfüllung seiner Jugendträume. Damit stand er noch mehr in ihrer Schuld. Denn er hatte es gut. Sie nicht. Was sie verdiente, war ihr Geld. Was er verdiente, war auch ihr Geld. Und doch erzählte sie allen, die es hören wollten oder nicht, dass sie in diese Beziehung „mehr investierte“ als er. Das hat ihn ziemlich gewurmt: „Die weiß doch gar nicht, was eine Investition ist“, hat er gesagt. Ich hatte ihn gewarnt: „Doch. Die guckt aufs Geld“. Doch so hatte er es gar nicht gemeint: „Wieso spricht die von Mehr und Weniger? Es ist doch überhaupt nicht dieselbe Währung?“ In diesem Mehr und Weniger, das sie ständig in ihrem Herzen hin und her wog, sah er das sichere Zeichen für das Ende der Liebe. „Die Liebe selber ist nicht so gefährlich wie das Ende der Liebe“, hat er mal gesagt. „Das Ende ist lebensgefährlich.“

Das Schlimme war, dass bei Moni das Gute nicht zählte und das Allgemeine mehr galt als das Besondere. Deshalb musste er immer wieder nachliefern und sich gegen Vorwürfe verteidigen, die vielleicht auf andere, aber nicht auf ihn, zutrafen. Dass er die Wohnung, das Auto, den Schneidetisch und alle Urlaube zahlte, war selbstverständlich. Sowieso. Es galt auch nicht, dass er sie mal mitgenommen hatte zum Klavierbauerverband in Stockholm, wo sie ihm eine Szene gemacht hat, so richtig mit Heulkrampf und Türenknallen, weil er sie wie den „Rotz am Ärmel“ behandelt hatte, wie sie es nannte. So wurde Schweden auch zu seinem Sündenregister hinzugefügt, weil es ein Scheißland ist, voller Blondinen und Idioten, die sich für Dinge interessieren, die sie langweilen. Im Grunde wollen diese Schweden immer nur saufen: blond und blau sind ja auch ihre Nationalfarben.
Dass ihre Ehe mit einer leidenschaftlichen Liebe angefangen hatte, hatte auch keinen Wert, der sich erhalten ließ. Es war eben nicht wie bei ‚Wer wird Millionär’, wo man eine Gewinnstufe festlegen kann, unter die man nicht mehr zurückfällt, wenn der weitere Aufstieg misslingt. Sie sind zurückgefallen. Sie sind mit nicht mal 50 Euro aus dem Spiel gegangen und kriegen auch keine zweite Chance.
Er ist ins Bodenlose zurückgefallen. Sie hat inzwischen einen neuen Scheich. Hans war richtig pleite, pleite und platt. Monis Anwälte hatten sogar bei der Klavierbaufirma Gelder vollstrecken lassen. Die hatten ihm dann gekündigt. Er sah keine Zukunft mehr. Er war sowieso nie reich gewesen, auch nicht wohlhabend, doch er hatte zeitweise ganz gut Geld. Das kann man schon sagen. Auch wenn er immer unsicher war, wie es weitergeht. Er war auch ziemlich angeberisch, das muss man auch sagen. Wenn er Geld hatte, gab er es auch aus. Lieber gleich als später. Er ging gerne gut essen. Allerdings auch, weil er sich in seiner Küche nicht wohlfühlte. Da konnte er nichts machen, ohne dass sie ihm auf die Finger klopfte. Wenn er was gekocht hat, hat sie die Temperatur nachreguliert und ist mit dem Putzlappen hinter ihm hergelaufen, falls irgendwas kleckerte. Wenn er sich einen Wein aufgemacht und schon nachgeschenkt hatte, hat sie den Rest weggegossen, damit er sich nicht betrinkt. Sie hat ihn immer in den unwichtigen Dingen verbessert. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte Hans auch als Fußgänger einen Sturzhelm tragen müssen.
Bei all diesen Kleinigkeiten hat sie immer gesagt: „Du kannst ja nicht mal ...“, als hätte er sich damit grundsätzlich nicht für ein Leben außerhalb ihrer kleinen Welt qualifiziert. Und innerhalb dieser kleinen Welt wurde er nur als Depp geduldet. Dieses „nicht mal“ war schlimmer als die Vorwürfe, die zu groß waren. Und dann hockte ständig dieser Langweiler Reinhard wie ein Todesengel in der Wohnung und lächelte vielsagend. Ich konnte schon verstehen, wenn Hans sich vorkam wie ein Heimatvertriebener der neuen Art.

Paare entwickeln eine Geheimsprache. Hans hat mir Übersetzungshilfen gegeben: Sie nannten es: „indisch essen“ – gemeint war natürlich was anderes. So wie es bei dem Buchtitel ‚Der Zug nach Dublin’ auch nicht um die Bahn geht. Indisch essen heißt auf Deutsch: Fremdgehen. Moni ist vorangegangen, sie hatte - schon gleich in der ersten Zeit der Ehe - einen Hausfreund, mit dem manchmal indisch essen war, der gehörte auch nachher zu ihrem Schattenkabinett, als sie sich auf den Ausstieg vorbereitete. Moni ist ja auch ein scharfes Geschoss. Das war sie zumindest mal.
Natürlich war Hans eifersüchtig. Natürlich hat er gelitten. So erlag er dem Irrtum, dass sich ihre Eifersucht genauso auswirken würde wie seine – worauf viele Liebenden reinfallen, die glauben, dass der andere sie auch genauso liebt, wie man es selber tut. Aber so ist es nicht. Bei der Liebe nicht. Bei der Eifersucht nicht. Wir hatten in der Zeit viel Cohen gehört, da gibt es diesen Song, in dem es heißt „what can I tell you, my brother, my killer“, und zum Schluss: „your enemy is sleeping and his woman is free.“ Da merkt man, dass sich Cohen dazu nur mit Mühe durchringen konnte. Hans auch. Er hatte Moni schließlich einen blauen Regenmantel gekauft, wenn auch nur hellblau, weil das Lied ‚Famous Blue Raincoat’ heißt; es war sein Zeichen, ihr zu sagen: Ich will dich auch, wenn du mal indisch essen gehst. Wir hängen den Mantel darüber.
Er wollte sie unbedingt behalten. Sie ihn nicht. Sie hatte nur auf eine Gelegenheit gewartet, um ihn loszuwerden. Hans verstand das nicht. Wie kann man denken: Ich kann es nicht ertragen, dass du von einer anderen geliebt wirst, deshalb trenne ich mich von dir, damit du dich in Ruhe von der anderen lieben lassen kannst? Er fand das pervers.
Moni war immer eifersüchtig. Ich kenne sie länger als er und habe ihm mal erklärt, dass sie schon eifersüchtig war, eh sie eingeschult wurde. Das war ihr immer schon Grundgefühl, ihre Art, die Welt zu sehen. Das Gefühl ging auch nicht mehr weg – auch nicht, wenn es sich als grundlos erwiesen hatte. Einmal schon: Da war sie eifersüchtig gewesen auf eine gewisse Ruth, die ihn auf Postkarten immer mit „mein Lieber“ angeredet hatte. Da verpuffte die Eifersucht, als sie diese Ruth endlich mal traf und sah, dass es eine Siebzigjährige war, die ihn wirklich nur als Klavierstimmer wollte.
Doch ihr Gefühl lag ständig auf der Lauer. Hans hatte sich schon über den neuen Anrufbeantworter gewundert, zu dem sie nur schnippisch meinte, er würde ihr wohl gar keinen Umgang mit Technik zutrauen. Sie hatte den alten aufbewahrt, weil sie da ein Beweismittel hatte und nicht wusste, wie man das speichern kann. Sie führte es ihm eines Tages vor, wie einem Mörder, den man mit seiner Leiche konfrontiert. Da stöhne eine Frauenstimme „Liebling, wann kommst du endlich!?“ Moni hatte nicht mal mitgekriegt, dass da ein Kichern im Hintergrund zu hören war. Es war ein Scherz. Sie hat ihm schließlich geglaubt, dass es seine Klavierschülerin war, die irgendein blödes Partyspiel gemacht und dabei eine Wette verloren hatte. Aber ihre Gefühle hörten deshalb nicht auf. Das Beweismittel war ungültig. Die Gefühle galten weiterhin. Hans war ratlos. Der Ruth-Effekt hatte versagt.
Es war nicht die Eifersucht, wie er sie kannte. Es war eigentlich gar keine Eifersucht, es war Neid. Oder noch etwas anderes. Es erstreckte sich auf sein ganzes Leben. Es ging nicht nur um Sex. Es ging um alles. Es ging darum, dass er an Dingen etwas fand, die für sie nichtssagend waren. Dass er etwas hören konnte, was sie nicht hörte. Hans konnte alle Tonarten unterscheiden - auch die Tonarten, in denen Moni mit ihm redete. Die hatte sogar eine ganz spezielle Tonart, die es im Quintenzirkel nicht gibt: fies-moll. Hans wollte es mir mal vorspielen, aber ich hatte es ihm auch so geglaubt. Moni war grundsätzlich neidisch, weil sie dachte, dass er es als Mann besser hätte als sie. Und weil er Schweden nicht zum Kotzen fand.
Und weil er ein eigenes Verhältnis zu Miri hatte. Sie war sogar darauf eifersüchtig. Das konnte Hans überhaupt nicht verstehen. Einmal hatte er an Miris Geburtstag einen Termin und kam erst wieder als die Party vorbei und das Kind schon im Bett war und er musste Miri – gegen den Willen von Moni – wecken, um „Gute Nacht“ zu sagen. Moni hatte ihm das jahrelang vorgehalten. Dass er zu tun hatte, galt nicht. Auch nicht, dass Miri ihn gar nicht vermisst hatte. Moni hat getan, als hätte das Kind jetzt ein Trauma. Sie wollte das Verhältnis immer schlechter darstellen, als es in Wirklichkeit war. Es war super. Das ist jedenfalls mein Eindruck. Für Hans war seine Miri sein ein und alles. Sie ist nicht besonders musikalisch, das hatte er schnell gemerkt, er konnte das beurteilen. Er hat dann immer nur mit ihr am Klavier rumgealbert, hat aber kleine Solokonzerte für sie gegeben, damit sie wenigstens eine Ahnung davon kriegen sollte, dass an Musik was dran ist, das sie vielleicht später mal lieben lernt. Das gefiel Moni natürlich. Es war ja auch zu schön: der Mann im Anzug am Klavier und die Tochter im Nachthemd mit großen Augen und dann ‚Ballade pour Adeline’ – was Hans zu den Ohren heraushing, aber die Mütter seiner Schüler wünschten sich das immer. Moni hat das ganz stolz auf Video aufgenommen, hat dann den Recorder abgeschaltet und gesagt: „Das kann ich natürlich nicht bieten“.
Da blitzte er wieder auf: dieser Neid. In fies-moll.
Sie hatte auch mal gesagt - da war Miri noch klein -, dass er nicht mehr im selben Bett schlafen soll. „Was sollen denn die Nachbarn davon halten?“ Das hatte sie wirklich gesagt. Aber wo waren die Nachbarn? Standen die etwa in ihrem Schlafzimmer und guckten, wer da alles mit wem im Bett liegt? Ihr schien das nicht aufzufallen. Sie war selber die versammelte Nachbarschaft. Es war nicht sie, die so redete, es war die Ehefrau plus. Ehefrau plus Nachbarschaft. Mal war es auch die Ehefrau plus tausend Jahre unterdrückte Frau, mal die Ehefrau plus das-sagen-alle. Oder Ehefrau plus China. Wenn sie klagte, dass in China Mädchen abgetrieben werden, weil die Eltern lieber einen Jungen wollen, als hätten die Männer hierzulande was damit zu tun. Und dass er ihr nicht sofort zustimmte, war ein weiteres Zeichen seiner Herzlosigkeit.

Er sollte einen Aidstest machen. Moni hatte mal gelesen, dass dreißig Prozent der Deutschen ins Bordell gehen, nach ihrer Mengenlehre war Hans damit zu hundert Prozent überführt. Es brachte ihn in eine Zwickmühle: Wenn er sich weigerte, würde sie das als Schuldeingeständnis ansehen, andererseits würde ein Ergebnis, dass er nicht infiziert ist, auch nicht als Gegenbeweis reichen. Auf jeden Fall würde es ihre Angst bestätigen: Wenn er keinen Test machte, wäre ihre Angst umso größer und es wäre ein halbes Schuldeingeständnis. Wenn er einen Test machte, zeigte er damit, dass er ihre Angst für berechtigt hielt, weil er sich danach richtete.
Natürlich war Hans beliebt – besonders bei älteren Damen und bei kleinen Mädchen, aber auch bei Frauen, die Moni als Konkurrenz sah. Er sagte selber immer: „Ich liebe die Frauen, ich weiß gar nicht, wieso ich als Frauenfeind gelte“. Es gab auch ein paar kleine Liebeleien und Neckereien, doch die waren alle im grünen Bereich. Jedenfalls soviel ich weiß. Und ich weiß viel. Vielleicht sogar alles. Einmal hat er mir ganz aufgeregt erzählt, ist er bis in den Strafraum vorgedrungen ist, aber mehr nicht. Und einmal – das durfte Moni auf keinem Fall wissen – war er nach einer Messe in Hannover mit Freunden in einem Bordell gewesen und fand es ganz furchtbar.
Dann Laura.
Es war für ihn wie eine Erlösung. Hans fühlte sich wie neu geboren. Oder um zehn Jahre jünger. Er blühte auf wie eine vertrocknete Pflanze, die wieder Wasser kriegt. Er war glücklich: „Ich komme mir irgendwie bekannt vor“, hat er gesagt, „ich bin wieder so, wie ich schon mal war“. Da hat es richtig geknallt und gefunkt und geblitzt und alle Sterne stürzten zu Boden. Hans hat lauthals gelacht: „Ich bin Pianist. Ich habe die Blasinstrumente völlig unterschätzt. Wie konnte ich nur?!“ Er kam sich vor wie aus dem Gefängnis entlassen, wo er unschuldig verurteilt seine Strafe abgesessen hatte. Nun hatte er was gut. Nun blieb er die Nächte bei ihr, und ich war meinen alten Freund und neuen Mitbewohner wieder los.
Es ging nicht lange gut. Als sich Laura und Miriam trafen und die beiden sich mit spitzen Fingern angefasst hatten, wurde offenbar, was er längst geahnt hatte: Aus den beiden würde nie etwas werden. Wieso auch?! Die gehörten nicht zusammen. Auch wenn Laura sich Mühe gegeben und vorgeschlagen hatte, ein Puppenkleid zu nähen. Miri mochte keine Puppenkleider und vor allem keine Laura. Laura wollte selber ein Kind. Und Hans hatte ihr tatsächlich gesagt: „Ich hab schon eins“.
Als er wieder zu mir zurückkam, saß er nur rum wie einer, der von allen Lebensgeistern verlassen war. Er fühlte sich wie nach dem zweiten Erdbeben. „Im Unterschied zu James Bond“, sagte er, „lebe ich nur einmal“. Ich war sprachlos vor Schreck. Mir fielen keine tröstenden Worte ein. Was sollte ich sagen?! Er hatte sein Leben schon. Es würde kein zweites geben. Er hätte jederzeit die doppelte Menge von Lauras eingetauscht gegen seine einzige Tochter.
Er hatte mit Miri telefoniert, von meinem Telefon aus, und die hatte gesagt: „Andere Väter lieben ihre Kinder“. Wenn Miri es auf den Anrufbeantworter gesprochen hätte, hätte er es löschen können. So nicht. Ich habe ihm gesagt, er solle das nicht so ernst nehmen, sie wäre noch klein und die Mutter ... er wusste das selber. Ich musste ihm auch nicht sagen, dass Miri nur einen Vater hat und dass sie den immer behalten würde. Sie hatte auch nur eine Mutter.
Er blieb dann bei mir, auch wenn inzwischen die schöne, große Wohnung leer stand. Moni und Miri waren weg. Er wusste nicht, wo sie waren. Hans kam sich wie ein Idiot vor, er telefonierte allen hinterher und fragte, wo sein Kind ist. Es war die Hölle: Ein Vater weiß nicht, wo seine Tochter ist. In was für eine Folterkammer war er da geraten?! Sein Leid war gleichzeitig der Beweis seiner Schuld. Er wollte Miri sprechen. Ihr letzter Satz sollte nicht der letzte sein. Da musste noch was nachkommen.
Einmal war Moni bei ihren Eltern gewesen, eine seltene Gelegenheit für Hans mit Miri verschwörerisch etwas Verbotenes zu tun: Sie durfte einen spannenden Film im Fernsehen angucken, so richtig mit Polizei und Verbrechern. Hans hatte ihr alles erklärt: Wer die Bösen sind und warum sie ins Gefängnis kommen, sie hatten ganz lange gequatscht. Hans hatte sich verschätzt. Miri war aufgelöst, er musste ihr hoch und heilig versprechen, dass er ganz sicher war, dass alle Bösen von der Polizei geschnappt werden, vor Gericht gestellt werden und so lange ins Gefängnis kommen, bis aus ihnen wieder gute Menschen geworden sind. Nun war er selber angeklagt, stand vor Gericht und wollte Miri unbedingt erklären, dass es bei ihm ganz anders ist.
Doch wo war sie?
Es waren gerade Ferien. Hans lief alle Wege, die sie immer ging, sogar die beiden Schulwege, die sie zur Auswahl hatte, als würde sie wie durch ein Wunder plötzlich vor ihm stehen, und alles wäre wie früher. Wir vermuteten, dass sie zu irgendeinem Wellness-Scheiß waren und ihm absichtlich verschwiegen, wo sie zu erreichen sind. Reinhard wusste bestimmt, wo sie waren, der war womöglich mit; denn er war auch wie vom Erdboden verschluckt. Sein Glück. Hans hätte ihn in Stücke gerissen.

„Wenn ich mit dem Kind verschwunden wäre“, brüllte er mich an, als hätte ich ihm was angetan, „wäre das eine Straftat“. Er war nicht mehr zu beruhigen. Dann sah er in dem Hochbett ein altes Asterix-Heft liegen und brach in Tränen aus, weil die Gallier bekanntlich nichts fürchten, außer dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt. Nun war es soweit. Ihm war der Himmel auf den Kopf gefallen. „Die ganze Welt ist so wie Moni in ihrem Ausnahmezustand ist“, er schniefte nur noch, „so wie sie ist, wenn sie im Overkill-Modus einrastet, wenn sie nicht mehr gescheit ist und nicht mehr unterscheiden kann zwischen den Mädchen in China und den Mädchen hier, zwischen ihrem Mann und den Männern insgesamt“.
Nun sah er sich vor dem Kriegsgericht. Da waren sie auch nicht gescheit. Sie unterschieden nicht – nicht zwischen Geldern, die noch zu versteuern sind und welchen, die nicht mehr zu versteuern sind, nicht zwischen Vermögen und Einkommen. Die unterschieden auch nicht zwischen einer freiberuflichen Tätigkeit und die von einem Beamten, nicht zwischen einem Mann, der sich immer für die Kinder Zeit genommen hat und einem, der sich nie für die Kinder Zeit genommen hat; nicht zwischen einem, der seine Frau betrogen hat und einem, der von seiner Frau betrogen wurde.
Ich sehe ihn immer noch vor mir, wie er sich das Asterix-Heft vor das Gesicht hielt und weinte.


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