Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Kompletter Hohlstein-Artikel mit Zitierschwäche

Manifold ⌂, Saturday, 06.11.2010, 11:49 (vor 4891 Tagen)

© Basler Zeitung; 05.11.2010; Seite bazab46
kultur

Kleine Tells, alte Softies, neue Männer

Der Mann in der Schweiz – wer bestimmt, wie er ist und wie er sein soll?
Walter Hollstein*

Die Antifeministen übertönen mit ihren Kampfrufen gegen «Männerhasserinnen> die Anliegen bestehender Männerbewegungen. Und markieren eine neue Phase in der Auseinandersetzung der Geschlechter.

Wir müssen mit einer Sturmwarnung beginnen: «Es ist der antifeministische Kreuzzug, der unaufhaltsam auf die Feministinnen zurast und läuternd über den Westen hinwegfegt. Auf der ganzen Welt hält man den Atem an, während die Menschen der herannahenden Befreiung überall entgegenfiebern.> So kündigte ein Blog das 1. Internationale Antifeminismus-Treffen an, das am 30. Oktober in Zürich stattgefunden hat. Die gute Nachricht ist, dass wir diesen Sturm vorerst überlebt haben.

Immerhin markiert dieses Ereignis eine neue Etappe in der Auseinandersetzung der Geschlechter. Dabei verhält sich die andere Seite nicht weniger kriegerisch. Die amerikanische Bestseller-Autorin Marilyn French setzt Männer mit Nazis gleich. Ihre Landsfrau Andrea Dworkin schreibt: «Terror strahlt aus vom Mann, Terror erleuchtet sein Wesen, Terror ist sein Lebenszweck.> Der Übergang von der verbalen Militanz zur physischen ist nur konsequent: «Ich möchte einen Mann zu einer blutigen Masse geprügelt sehen.> Die Zürcher Schriftstellerin Sybille Berg bezeichnet in ihrem gerade uraufgeführten Stück «Missionen der Schönheit> alle Männer als «Schweine>. Das rechtfertigt nicht die aktuellen Ausfälle der Antifeministen, aber stellt sie in einen Zusammenhang. Fundis da, Fundis dort.

Kriegsmann. Es war klar, dass der Moment kommen würde, wo verärgerte, gedemütigte und frustrierte Männer reagieren. Einzelne Organisationen, die sich gegen die Anwürfe feministischer Hardlinerinnen gewehrt haben, gibt es in der Schweiz schon eine Weile: die «Interessengemeinschaft geschiedener und getrennt lebender Männer>, «Mannschafft>, «Verantwortungsvoll erziehende Väter>, die «Männerpartei>, die soeben angekündigt hat, bei den Nationalratswahlen 2011 kandidieren zu wollen, und neu die «Interessengemeinschaft Antifeminismus> (Igaf). Unter dem Pseudonym «Manhood> formuliert Urs Bleiker, Präsident der Igaf, den Kampfaufruf: «Der antifeministische Kreuzzug wird (…) unvermindert weiter in das Herzland des Erzfeindes vorstossen und jede einzelne dieser Männerhasserinnen wird zur Rechenschaft gezogen. Die Zeit der Abrechnung ist gekommen.>

Einiges sympathischer ist, was die traditionelle Männerbewegung an Visionen bietet. Als Männer 1970 im kalifornischen Berkeley das erste «Men’s Center> gründeten, formulierten sie in einem Manifest: «Wir als Männer möchten unsere volle Menschlichkeit wieder haben. Wir wollen nicht mehr länger in Anstrengung und Wettbewerb stehen, um ein unmögliches und unterdrückendes männliches Image zu erreichen – hart, schweigsam, cool, gefühllos, erfolgreich, Beherrscher der Frauen, Führer der Männer, reich, brillant, athletisch und heavy. Wir möchten uns selbst gern haben; wir möchten uns gut fühlen und unsere Sinnlichkeit, unsere Gefühle, unseren Intellekt und unseren Alltag zufrieden erleben.>

Daran orientieren sich auch Männergruppen in der Schweiz. Ihnen geht es um die Veränderung der klassischen Männlichkeit von Konkurrenz, Härte, Leistungszwang und Pokerface. Sie möchten diese Rolle vermenschlichen, sie um weiblich etikettierte Eigenschaften wie Empathie, Fürsorglichkeit oder das Eingeständnis von Schwäche erweitern. Das ist für die Antifeministen kein Thema. Sie sind mit dem traditionellen Männerbild zufrieden und bestreiten energisch, dass Männer auch Defizite haben. Gibt es Probleme, sind die Frauen schuld. So wird diesen vorgeworfen, dass heute 80 Prozent der Trennungen und Scheidungen von ihnen ausgehen, ohne selbstkritisch zu fragen, ob es da vielleicht einen Zusammenhang mit dem eigenen Verhalten gibt, mit Machotum, mit dem Unwillen, sich auseinanderzusetzen, mit dem alltäglichen Widerstand, sich an der Hausarbeit und der Kindererziehung zu beteiligen. Selbstreflexion ist nicht das Ding der Antifeministen.

Klagemann. Wo es den Antifeministen an Selbstkritik fehlt, hat die traditionelle Männerbewegung ein Zuviel davon. So entstand der Betroffenheitsmann, der Klagemann und Softie. Die
feministische Bewegung betrachtet man als potenziellen Bündnispartner und merkt nicht, dass die Gegenseite an einem Ausgleich nicht interessiert ist.

Jedenfalls hat sich die schweizerische Gleichstellungspolitik um keinen Millimeter bewegt; trotz demokratischem Etikett macht sie einseitig Frauenpolitik; sie braucht das Feindbild Mann, um ihre Ressourcen zu legitimieren. Die traditionelle Männerbewegung – wie sie etwa «männer.ch> vertritt – traut sich nicht einmal, auf die Probleme des eigenen Geschlechts aufmerksam zu machen. Beliebter ist, sich für Frauenquoten in Verwaltungsräten einzusetzen, obwohl das beileibe kein Männerthema ist. Auf der Strecke bleiben Diskriminierungen von Männern beim Zwang zum Militärdienst, bei der Alters- und Gesundheitsversorgung, die steigende Arbeitslosigkeit, die inzwischen signifikant höher ist als die der Frauen, die frühere Sterblichkeit, die höhere Suizidrate und Ungerechtigkeiten beim Scheidungs- und Sorgerecht. Das Debakel der Buben ist seit Langem absehbar, ohne dass es von «männer.ch> angesprochen wird: die wachsende Bildungsmisere, die dramatische Abbruchrate in der Ausbildung, die neunmal höhere Suizidanfälligkeit, die zunehmende Orientierungslosigkeit, wie sie sich zum Beispiel in Vandalenakten, Autoraserei oder Gewalt äussert.

Unsicherer Mann. Was «männer.ch> vornehm verschweigt, kritisieren laut die Antifeministen, die sich selbst als die wahren Nachfolger von Wilhelm Tell verstehen. Die Diskurshoheit ist von der traditionellen Männerbewegung an die Antifeministen übergegangen. In Deutschland hat die Politik diese Gefahr erkannt und finanziert ein «Bundesforum Männer>, in dem die profeministischen Gruppierungen der beiden Kirchen, der Grünen und der SPD antifeministische Positionen bekämpfen, die längerfristig die etablierte Frauen- und Familienpolitik herausfordern könnten. Verdrängung wird aber auf Dauer nicht helfen, sondern nur die Akzeptanz, dass auch Männer Probleme haben und Benachteiligungen ausgesetzt sind.

Eine beredte Klage: «Die Welt wird immer weiblicher. Frauen bestimmen die Regeln der Liebe, der Sexualität und alles andere. Ich weiss überhaupt nicht mehr, wie ich mich als Mann verhalten soll.> Das ist kein vereinzeltes Statement. Die deutsche Sinus-Studie über 20-jährige Frauen und Männer – von Regierungsseite 2007 in Auftrag gegeben – konstatiert, dass junge Männer heute «geplagt (sind) von einer fundamentalen Unsicherheit> und der Angst, als Geschlecht bald «überflüssig zu werden>. «Die Männer leiden in ihrer subjektiven Befindlichkeit und fühlen sich in der Defensive: Die Frauen schreiben das Drehbuch und geben den Figuren eine Rolle; der Mann ist Schauspieler mit der einzigen Aufgabe, die ihm zugeschriebene Rolle auszufüllen.>

Solches nicht wahrzunehmen, macht den Clash der Geschlechter immer wahrscheinlicher. Weder «männer.ch> noch die Antifeministen wissen darauf eine Antwort. Diese kommt wohl eher von unorthodoxen Initiativen wie «BoystoMen>. Dieses amerikanische Projekt gibt es mittlerweile auch in der Schweiz. Unter der Führung von alt Nationalrat Roland Wiederkehr werden Buben von ehrenamtlich tätigen Mentoren auf ihrem schwierigen Weg durch die Pubertät zum authentischen Mannsein begleitet. Vielleicht wachsen so die neuen Männer heran: echt, aufrichtig, verantwortungsvoll und solidarisch.

*Von 1971–2006 Professor für Soziologie in Berlin und Bremen, Schwerpunkt Männerforschung; Gutachter des Europarates für Männerfragen. Letzte Veröffentlichung: «Was vom Manne übrig blieb – Krise und Zukunft des ‹starken› Geschlechts> (Aufbau-Verlag)

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"Zur Durchführung seines Zieles erachtet der Maskulismus [...] als aufrichtig und sinnvoll: [...] das ursprüngliche Anliegen einer wirklichen Gleichberechtigung beider Geschlechter." - Michail A. Savvakis


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