Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Der Spiegel zum Thema "Männergesundheit" (Teil 1)

Stefan G., Thursday, 27.02.2003, 01:30 (vor 7749 Tagen)

Guten Abend!

Vor einigen Wochen hat mich DER SPIEGEL darauf aufmerksam gemacht, daß das Thema "Männergesundheit" Titelthema einer Ausgabe aus dem Jahre 2001 war. Ich habe mir mal die Mühe gemacht, nach dieser Ausgabe zu recherchieren.
Hier nun das Ergebnis für alle, die es interessiert (ist ziemlich lang):



aus Heft
36/2001

TITEL

"Power ohne Ende"

Männer entdecken ihre Gesundheit. In Mode kommt der Männerarzt, der auch Hormonkuren und Lebensberatung bietet - eine willkommene Pfründe für den nach neuen Einnahmequellen suchenden Medizinerstand.

Welcher Mann würde nicht gern aussehen wie Herr Schulte? Schicke graue Strähnen durchziehen sein kräftiges Haar. Die Haut ist dezent gebräunt, nicht ungesund gerötet wie bei so vielen Männern seines Alters.
Unter Schultes blauem Managerhemd spannt sich ein muskulöser Oberkörper. Kerzengerade und konzentriert sitzt er hinter dem Tisch. Mal vibriert sein Handy. "Lassen Sie sich einen Termin geben." Mal klingelt das tragbare Haustelefon. "Kein Problem, ich komme gleich zu Ihnen rüber." Noch immer kein Anzeichen von Stress in seinem Gesicht.

Heinrich Schulte, 48, ist sein eigenes Demonstrationsobjekt. Der Hamburger Endokrinologe verspricht seinen Patienten "Kraft und Virilität bis ins hohe Alter". Fett will er durch Muskeln ersetzen, Haarausfall und Libidoverlust mit Hormonen bekämpfen. Schulte, der sich als einer der ersten deutschen Mediziner mit dem Titel "Männerarzt" schmückte, kann sich vor Zuspruch kaum retten. "Eine Sprechstunde bei mir persönlich?", bremst er Anrufer. "Leider frühestens in einem halben Jahr."

"Männer entdecken jetzt die Medizin", hat Schulte festgestellt. Es begann mit der Fitnesswelle. Ganze Bürogemeinschaften gehen mittlerweile nach der Arbeit geschlossen zum Joggen oder reden zumindest pausenlos darüber.

Aber neuerdings reicht es ihnen nicht mehr, nur die Körperoberfläche zu modellieren. In der nun startenden zweiten Stufe des Aufbruchs zu mehr Gesundheit sorgen sich Männer verstärkt um ihre inneren Werte: Blutparameter, Cholesterin, das Gefahrenpotenzial der Gene, Hormonschwankungen. "Gibt es vielleicht doch das ominöse männliche Klimakterium?", lautet die Modefrage in Männerkreisen.

Umgekehrt entdeckt auch die Medizin neuerdings den Mann. Ärzte, durch Kassenbudgets gegängelt, sind bei der Suche nach weiteren Einnahmequellen auf eine neue "Bonanza" gestoßen: Lifestyle- und Anti-Aging-Beratungen bei Männern werden zumeist über Kreditkarte und nicht über die Krankenkassen abgerechnet. "Der Markt der so genannten individuell gestaltbaren Leistungen erlebt momentan einen ungeahnten Boom", konstatiert der Magdeburger Gesundheitsökonom Bernt-Peter Robra.

An vorderster Front der neuen Gesundheitswelle kämpft Heinrich Schulte. Der Arzt aus Altona gründete im vergangenen Jahr gemeinsam mit seinem Kollegen Rolf-Dieter Hesch aus Konstanz den Verein "Hommage - Gesellschaft für Männergesundheit". Vereinsziel ist es, einen Vertrauensarzt neuen Typs zu etablieren, der sich um die spezifischen Krankheitsbilder von Männern kümmern soll.

Damit nicht genug. "Nach dem Vorbild des Gynäkologen steht der Männerarzt dem Patienten sein Leben lang auch psychologisch und lebensberatend zur Seite", erklärt Hesch. Gemeinsam mit Schulte bietet Hesch Fortbildungsseminare für Medizinerkollegen an. 50 Ärzte haben sich auf diesem Wege schon zum Männerspezialisten qualifiziert. "1000 spezialisierte Ärzte wären für Deutschland notwendig, damit die medizinische Unterversorgung der Männer ein Ende hat", propagiert Hesch.

"Der Run auf den Mann ist derart heftig, dass es schon gefährlichen Wildwuchs gibt"

Viele Standeskollegen betrachten den Vorstoß des Ärzteduos aus Hamburg und Konstanz mit Argwohn. Um im ärztlichen Konkurrenzkampf nicht hintanzustehen, bieten immer mehr Urologen, Endokrinologen, Internisten und Hautärzte spezielle Männersprechstunden an.

Die Zuwendung zur männlichen Klientel lohnt sich für den Arzt. Ein Paket aus Beratung, Hormoncheck und Genscreening kostet bei Professor Hesch 1200 Mark; damit liege er, beteuert der Konstanzer Mediziner, noch günstig etwa im Vergleich zu seinen Kollegen aus München. "Je schlechter der Service, desto unverschämter die Preise", schimpft Hesch. "Der Run auf den Mann ist derart heftig, dass es schon gefährlichen Wildwuchs gibt."

Kaum ein Monat vergeht, in dem nicht ein Fachkongress stattfindet mit Themen wie "Der alternde Mann" (in Leipzig) oder "Anti Aging Medizin 2001" (in Berlin). Unter großem Mediengetöse organisierte die eigens für die Männergesundheit gegründete PR-Firma "Medical Connection" vergangenen November den Men's World Day in Wien mit Vorkämpfern wie Michail Gorbatschow, Simon Wiesenthal und Maximilian Schell. Dieses Jahr soll am gleichen Ort der erste Weltkongress über Männergesundheit stattfinden. Kongress-Chef Georg Kindel: "Wir rechnen mit mehreren zehntausend Besuchern."

Der missionarische Eifer der Mediziner beim Umsorgen der neuen Kundschaft trifft auf ein nur allzu bereites Publikum. Ratgeberbücher wie "Der neue Mann", "Kursbuch Mann" oder "Der Mann 2000" landen auf den Bestsellerlisten; als Lockmittel dienen Verheißungen wie "Ewig potent", "Brain Power ohne Ende" und "Wie wir 120 Jahre alt werden".

Auch die etablierten Mediziner passen ihren Service den Bedürfnissen der gestressten Männer an. In fast einem Dutzend deutscher Arztpraxen steht schon der so genannte Age-Scan-Computer, der in Windeseile das "wahre" Alter von Körper und Geist errechnet. Der "Quickcheck" kostet 250 Mark. Privatkliniken locken zahlungskräftige Karrieremänner mit psychologisch unterfütterten Check-ups übers Wochenende, aber auch mit verkürzten Behandlungszeiten bei Akutkrankheiten. "Die Patienten", wirbt Jochen Schreier von der Euromed-Clinic in Fürth, "liegen bei uns durchschnittlich nur 6,9 Tage, im normalen Krankenhaus sind es fast 10 Tage."

Die breite ärztliche Attacke auf die Männerwelt könnte das Gesundheitswesen in Deutschland tief greifend verändern. Bislang galten Männer weithin als Medizinmuffel, die erst bei akuter Lebensgefahr oder drohender Impotenz ärztlichen Beistand suchten. Die Folgen zeigen sich in dem Horrorbild, das die Epidemiologen zeichnen: Männer haben in Deutschland durchschnittlich eine sechs Jahre geringere Lebenserwartung als Frauen (siehe Kasten Seite 66). Männer zwischen 25 und 65 erliegen viermal häufiger dem Infarkt als Frauen. Auch Krebs sucht die Männer häufiger heim und verläuft häufiger tödlich. Noch immer sterben dreimal mehr Männer als Frauen an Lungenkrebs. Ähnliches gilt für Lippen-, Mund- und Kehlkopfkrebs sowie für alle Tumoren an den Geschlechtsorganen.

Männer, so steht es in den Daten der Krankenversicherer, sterben häufiger an der Zuckerkrankheit als Frauen. Sie schlafen schlechter und erleiden während des Schnarchens gefährliche Atemaussetzer. Eher als Frauen werden sie schwerhörig. Zwischen 20 und 70 Jahren nimmt ihre Muskelmasse um sieben bis neun Kilogramm ab. In der gleichen Zeit steigt der Fettanteil um 20 bis 30 Prozent. Entgegen der landläufigen Meinung sind Männer auch nicht psychisch stabiler als Frauen.

Gemeinsam mit der Stadt und den Krankenkassen hat Anita Rieder, Professorin an der Universität Wien, für die österreichische Hauptstadt einen Männergesundheitsbericht erarbeitet - einen der ersten in Europa. Der Grad der gesundheitlichen Unterversorgung sei Besorgnis erregend, so das Fazit. "Es scheint, als betrachten Männer ihren Körper wie eine Maschine, um die man sich nicht kümmern muss", resümiert Rieder. Frauen hingegen müssten sich schon zu Beginn ihrer Menstruation mit dem eigenen Körper auseinander setzen. "Sie sind es gewöhnt, in ihren Körper hineinzuhorchen."

Auch im deutschen Gesundheitssystem finden sich Hinweise auf die Verdrängungsstrategien des Mannes. Nach Untersuchungen des Kölner Gesundheitsökonomen Karl Lauterbach nehmen Männer in ihren jungen Jahren aus dem Budget der Krankenkassen weniger Geld in Anspruch als Frauen; sie gehen auch zehnmal seltener zur Vorsorgeuntersuchung.

Später rächt sich die anfängliche Sparsamkeit - medizinisch wie wirtschaftlich. "Bei der Behandlung von chronischen Erkrankungen wie Diabetes oder Schlaganfall verbrauchen die Männer über ein Drittel mehr als Frauen", sagt Lauterbach. "Das ist der Preis dafür, dass Krankheiten zu spät entdeckt werden."

Ökonom Lauterbach fordert deshalb Aufklärungsprogramme, damit Männer "mehr Verantwortungsbewusstsein für ihre Gesundheit" entwickeln. Allerdings: Welche Untersuchungen und Therapien medizinisch wirklich sinnvoll sind, darüber gehen die Auffassungen weit auseinander. "Wir würden mit Freude sehen, wenn Männer häufiger zum Gesundheitscheck gingen", behauptet Martin Plass vom Verband der Angestell-tenkrankenkassen. Gleichzeitig fürchten die Versicherer eine neue Kostenwelle auf sich zukommen, wenn ohne Notwendigkeit zum Beispiel massenhaft Hormonpillen gegen schlaffe Muskeln verschrieben würden. "Die Ärzte dürfen nicht die Erfüllungsgehilfen des Zeitgeistes werden", warnt Plass.

Viel zu schnell und häufig würden die Kollegen in den Privatpraxen Pillen verschreiben, meint auch Eugen Plas, Oberarzt am Allgemeinen Krankenhaus Lainz in Wien, "die meisten in der Absicht, dass der Patient sich behandelt fühlt und wiederkommt". Unter dem Kürzel "Mendoc" offeriert Plas zusammen mit Chefarzt Heinz Pflüger eine Spezialsprechstunde für Männer aller Altersklassen - die erste ihrer Art an einem öffentlichen Krankenhaus. Die beiden müssen nicht aufs eigene Konto schielen. Plas: "Ich bekomme mein Gehalt, egal, wie viele Menschen im Wartezimmer sitzen."

"Männer betrachten ihren Körper wie eine Maschine, um die man sich nicht kümmern muss"

Unter den Niedergelassenen dagegen ist der Verteilungskampf in vollem Gange. Seit sich immer mehr Mediziner um den alternden Mann als Patienten kümmern, hat der Würzburger Endokrinologie-Professor Bruno Allolio "einen Wettbewerb bis ins Unappetitliche" entdeckt. Gegenwärtig tobt ein Streit, wer sich wohl als "Männerarzt" besser eigne: der Endokrinologe, der mit den Botenstoffen im Allgemeinen vertraut ist, der Urologe, der die Männer vom Gürtel abwärts bereits kennt, oder der Gynäkologe, weil er vom Auf und Ab der Hormone bei den Frauen so viel weiß. Gynäkologen drängten jetzt in ihre Domäne, beschweren sich Endokrinologen und Urologen, weil "die Frauen ihre Gatten gleich mit in die Praxis schleppen" (Allolio).

Auch die Pharmaindustrie, zürnt der Würzburger Professor, spiele "eine unsägliche Rolle", weil sie mit geschickter PR suggeriere, ihre teuren Hormonpillen seien eine Art Zaubermittel zum Erwerb ewiger Jugend. Allolio: "Ohne wissenschaftliche Grundlage eröffnen sich die Firmen neue Märkte." Damit sich in Deutschland das erwachende Gesundheitsbewusstsein nicht ins Gegenteil verkehrt, fordert Allolio, natürliche Alterserscheinungen zu akzeptieren und nicht so zu tun, "als müsste man auch als Rentner noch wie selbstverständlich einen Marathon laufen können".

Hellhörige Mediziner, die mit dem Zeitgeist gehen, reagieren auf solche mahnenden Stimmen mit einem Trend zur sanften Medizin. Statt Bodybuilding propagieren sie "Power-Walking" (im Klartext: strammes Wandern), statt auf Hormonpillen setzen sie auf Homöopathie.

Der Wiener Frauenarzt Markus Metka beispielsweise hat noch vor wenigen Jahren die Allmacht des synthetisierten Männerhormons Testosteron beschworen. In seinem jüngsten Buch "Der neue Mann" preist er außerdem hormonähnliche Pflanzenstoffe, so genannte Phytohormone.

Zur Präsentation seines Ratgebers lud er zum achtgängigen "Anti-Aging-Menü" in ein teures Wiener Lokal. In jedem Gang, so Metkas Versprechen, stecke ein Stück Manneskraft. Das Zink in der Austernsuppe beispielsweise hemme "das Enzym Aromatase", wodurch der Körper mehr Testosteron produziere. Zum Nachtisch ließ der Austro-Arzt Sorbet von Passionsfrüchten auffahren, einen "potenten Radikalfänger", der den das Altern beschleunigenden freien Radikalen im Körper entgegenwirke. Das Obsteis war auf Gelee Royale gebettet, dessen lebensverlängernde Wirkung schließlich "schon Ramses, der Gottkönig der ägyptischen Hochkultur" geschätzt habe.

Am liebsten führt Metka seine Anhänger in sein Wochenenddomizil, ein verschlafenes altes Gut im niederösterreichischen Weinviertel. Dort hat er Rotklee angebaut, ein rot blühendes Kraut, von dem er, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, einige Blätter versonnen zwischen den Fingerspitzen zerreibt: "Rotklee enthält hormonähnliche Substanzen, die im Körper wichtige Signalstoffe freisetzen."

Seine Fans, die den industriellen Pharmaherstellern misstrauen, hängen dem Kräuter-Guru an den Lippen. Nur zu gern glauben sie, mit Pflanzen wie dem Rotklee könne man den körpereigenen Hormonhaushalt richtig in Schwung bringen. Zu schön wäre es, wenn ihr Gesundheitsapostel mit der Kernaussage seiner Predigt Recht behielte.

"Ich will, dass Männer erst mit 100 Jahren sterben", ruft Metka aus der Mitte der Rotklee-Wiese. "Und ich will, dass sie als Gesunde sterben."

Gruss
Stefan


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