Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Sehr aufschlussreich!

Dieter, Saturday, 30.06.2001, 09:17 (vor 8330 Tagen) @ Matthias

Als Antwort auf: Re: Sehr aufschlussreich! von Matthias am 29. Juni 2001 23:11:52:

Jaja, die Gefahr, für schwul gehalten zu werden ...

Also, wenn ich mit die Outing-Welle der letzten Jahre so ansehen, dann wird es ja langsam zu einem gewissen Adel, auf Männer als auf Frauen zu stehen. "Wie, Du bist Künstler und hast eine Freundin?" (Sowas Abartiges ...). Leider muss ich sagen, daß die Assiziation Bekleidungsstil -> sexuelle Ausrichtung wohl eher von Männern als von Frauen kommt und da dann auch noch stark vom Bildungsgrad abhängt.

Stimmt, wer auch nur etwas mehr Wert auf sein Äußeres gelegt hat, vielleicht sogar gepflegt wirkt, ist schnell in diese Ecke gedrängt wordem. Nur, wenn wir hier über Gleichberechtigung reden, soll ich mich gerade von Männern zwingen lassen, Uniform (Jeans und T-Shirt!) zu tragen? Ich bin kein "Hardrocker" wie Ferdi, aber ich erlaube mir schon eine deutlich größere Bandbreite in Stil und Farbe. Lieber sollen alle glauben, ich sei ein Spinner, als daß ich in der Masse untergehe. Das ist schliesslich das Hauptproblem des Mannes: Nur ja angepaßt sein! Eine Frau, die mich nur als Mann akzeptiert, wenn ich Jeans und T-Shirt oder Anzug und Kravatte trage, käme für mich nie in Frage, denn die will nicht mich, sondern jemand total anderes. Gott sei Dank habe ich da wohl das große Los gezogen und meine Frau ist auch nicht unglücklich darüber, denn sie braucht keine "beste Freundin", um mal am Samstag morgen nach Kleidung suchen zu gehen.

Leute, wenn wir uns hier über die offensichtichen Defizite der Gesellschaft uns gegenüber beschweren, so ist das ja alles gut und schön. Aber diese Gesellschaft ändern wir nur, wenn wir mit Selbstbewußstsein zu unserer Individualität stehen. Dabei geht es kaum um den Kleidungsstil, denn wirkliche Repessionen sind durch den nicht mehr zu erwarten. Wer vor 20 Jahren Ohrringe trug, war auch sofort ein Schwuler, vor 10 Jahren war man Außenseiter, heute ist es weitgehend akzeptiert. Wer vor 20 Jahren mehr als einmal in der Woche geduscht hat, war kein richtiger Mann, heute ist ein gepflegtes Äußeres zumindest bei den mir wichtigen Leuten ein "Muß". Wer vor 20 Jahren keinen Alkohol getrunken hat, dem wurde sofort ein Problem damit unterstellt, heute habe die Diskussionen darüber aufgehört. Und: das sind alles Probleme, die Männer untereinander haben, Diskriminierung im eigenen Kreis sozusagen.

Irgendwie erschreckt es mich, wenn jemand sagt, daß er seinem persönlichen Stil entsagt hat, um von Männern nicht in die schwule Ecke gestellt und von Frauen beachtet zu werden. Sind wir als Gruppe so abhängig vom Bild der anderen über uns? Erst, wenn wir es schaffen, anders zu sein und dabei den Kopf hoch zu tragen, werden wir wirklich etwas erreichen können.

Zum Kleidungsstil ist noch zu sagen: Gerade der der Männer variiert viel facettenreicher, wenn man die von der westeuröpäischen Kultur geprägten Teile der Welt ausblendet. Im mittleren Osten trägt man Kaftan, in der Südsee lange Röcke, auch als Uniform, im fernen Osten Sarongs, Lendentücher, in Afrika weite Gewänder. Wenn wir Frauen wären, hätten wir diese Kleidungsstile längst hier adaptiert! Aber wir sind Männer und denen fehlt halt der Mut, aus der Gruppe auszubrechen.

Nicht, daß mich hier jemand falsch versteht. Ich will nicht sagen, daß der erste Schritt zu mehr Gleichberechtigung ist, daß wir nun alle anfangen, gegen den Kravattenzwang zu revoltieren, obwohl das ja eine nette Parallele zur BH-Verbrennung in den Anfängen der feministischen Bewegung wäre. Ich will an diesen Beispiel aufzeigen, wo unsere Defizite liegen. Jeder einzelne mag prüfen, wo er sich aufgibt, eine Wünsche unterdrückt und in der Masse versteckt. Das zu ändern ist der erste Schritt, auch sonst glaubwürdig eigene Interessen zu vertreten. Denn die Gesellschaft wird sich nicht von selbst ändern, wir müssen sie ändern und das wird Kampf, Anfeindungen und Unverständnis bedeuten, auch und gerade bei anderen Männern. Die frühen Feministinnen hatten auch genug Gegnerschaft bei den anderen Frauen.

Dieter


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