Essay über das Buch "Das bevorzugte Geschlecht"
Aus "Die Welt" vom 8.4.
http://www.welt.de/data/2003/04/08/67612.html?search=creveld&searchHILI=1
Das arme starke Geschlecht: Schon vor der Geburt diskriminiert
Männer arbeiten schwerer, sterben früher und haben weniger Rechte als
Frauen - Essay
von Martin van Creveld
Das kürzlich ergangene Urteil des Verfassungsgerichts in Karlsruhe,
unverheirateten Vätern das Sorgerecht auf ihre Kinder zu verwehren, könnte
das Leben von Hunderttausenden Männern beeinträchtigen; trotzdem stieß es
auf erstaunlich wenig Widerspruch. In Deutschland wie auch anderswo sind
Männer scheinbar nicht in der Lage, die Demontage ihrer sozialen Stellung
ernstzunehmen, natürlich nur solange, bis sie sich mit den Folgen
auseinandersetzen müssen.
Nehmen wir ein Pärchen, das jahrelang zusammengelebt hat. Sie haben ein Kind
oder mehrere Kinder. Eines Tages beschließen sie, sich zu trennen -
vielleicht, weil die Frau einen neuen Geliebten hat. In diesem Fall würden
die Kinder nach dem Gesetz automatisch der Mutter zugesprochen.
Möglicherweise vernachlässigt sie sie, zieht mit ihnen ans andere Ende der
Welt oder schafft sie sich vom Hals, indem sie sie in ein Internat steckt,
das alles kann sie tun, ohne dass er ein Mitspracherecht in der Sache hätte.
Im Falle ihres vorzeitigen Todes werden die Kinder in der Regel bei den
Angehörigen der Mutter untergebracht, und wieder hat der leibliche Vater das
Nachsehen. Dennoch muss er, solange seine Kinder unter 25 sind, für ihren
Unterhalt zahlen. Was nichts anderes bedeutet, als dass er per Gesetz zu
einem wandelnden Geldautomaten geworden ist.
Was für das Sorgerecht gilt, trifft auf nahezu jeden anderen Aspekt des
modernen Lebens genauso zu; wohin wir uns auch wenden, stoßen wir auf
diskriminierte Männer. Untersuchungen haben gezeigt, dass diese
Diskriminierung schon vor der Geburt einsetzt. Eröffnet man einer
Schwangeren, sie bekomme einen Jungen, wird sie gleich erklären, wie groß
und kräftig und vital "er" sich anfühle, ist es ein Mädchen, betont sie, wie
zart und schutzbedürftig "sie" sei. Wie weitere Studien belegen, setzt sich
diese Ungleichbehandlung in der Kindheit fort. Ein und dasselbe Verhalten,
z.B. Weinen, wird bei einem Jungen missbilligt und gerügt, während es bei
einem Mädchen dazu führt, dass man es in den Arm nimmt und tröstet. So war
es schon im alten Sparta, als die Mütter (nicht die Väter) ihre Söhne
aufforderten, mit ihren Schildern zurückzukehren oder auf ihnen. Auch im
Erwachsenenalter halten sich diese Vorstellungen. Da Männer groß und stark
sind, erwartet man von ihnen, dass sie ihr Äußerstes geben. Frauen sind im
Durchschnitt kleiner und schwächer und man gesteht ihnen zu, sich das Leben
leichter zu machen. Infolgedessen sind es zu allen Zeiten und überall auf
der Welt die Männer, die praktisch alle harten und gefährlichen Berufe
ausüben, von der Forstwirtschaft bis zur Schwerindustrie, vom Bergbau bis
zur Hochseefischerei. Selbst in unseren modernen Industrienationen ist es
so, dass verheiratete Männer zur Arbeit verpflichtet sind, verheiratete
Frauen jedoch nicht. Kein Wunder, wenn uns die Statistiken bestätigen, dass
Frauen wesentlich weniger arbeiten als Männer, sie weniger Zeit bei der
Arbeit verbringen, halbtags arbeiten und früher in Rente gehen. Das gilt für
Israel, wo der Autor lebt, wie für Großbritannien, Japan und Schweden. Mögen
die Leser für sich entscheiden, ob das auch in Deutschland so ist.
Wenn Frauen schon immer weniger gearbeitet haben als Männer und nicht so
schwer wie diese, wovon leben sie dann? Die Männer tragen der Frauen Last.
Der entscheidende Faktor, der dies gewährleistet, ist die Familie. Die
Gesellschaft, in der Männer nicht dazu herangezogen werden, ihre Frauen zu
versorgen, muss erst noch erfunden werden. Umgekehrt ist die Zahl der
Frauen, die bereit sind, ihre Männer zu unterstützen, immer sehr klein
gewesen; selbst heute verdienen nur etwa zehn Prozent der US-amerikanischen
Frauen mehr als ihre Ehemänner, und Statistiken zeigen, dass die
Scheidungsrate unter solchen Ehepaaren extrem hoch ist.
Eine weitere Form der Versorgung von Frauen durch die Gesellschaft stellt
die Sozialfürsorge dar. Es war für Frauen stets leichter als für Männer, in
den Genuss von Sozialleistungen zu kommen; das galt bereits in biblischen
Zeiten, als Moses all jene "verfluchte", die das Recht der Witwen beugen
wollten. Auch der moderne Wohlfahrtstaat bildet da keine Ausnahme.
Beispielsweise zahlen schwedische Männer etwa zwei Drittel aller Steuern,
erhalten jedoch nur ein Viertel der staatlichen Sozialleistungen. Zum Teil
ist die Folge, dass das steuerpflichtige Vermögen schwedischer Frauen im
Verhältnis zu dem der schwedischen Männer 1,5 zu 1 beträgt; auch hier mögen
die Leser selbst beurteilen, ob die Situation in Deutschland vergleichbar
ist. Wie Forschungen in einer Reihe von Ländern ergeben haben, ist die
Wahrscheinlichkeit der Festnahme bei einer Frau, wenn sie das Gesetz
gebrochen hat, geringer als bei einem Mann. Wird sie doch verhaftet, fordert
man warscheinlich ihren Ehemann auf, eine Kaution zu stellen, ist sie
unverheiratet, hat sie gute Aussichten, aus der Untersuchungshaft entlassen
zu werden. Für alle Straftaten, ganz gleich welcher Art, gilt außerdem, dass
Männer häufiger angeklagt, häufiger vor Gericht gestellt und verurteilt
werden. Sie erhalten höhere Haftstrafen, und sie werden seltener auf
Bewährung entlassen als Frauen. Kein Wunder, dass in amerikanischen
Gefängnissen nur etwa halb soviele Frauen sitzen wie angemessen wäre, wenn
die Justiz Männer und Frauen gleich behandeln würde. Das trifft für die
Todesstrafe noch mehr zu. So sind in den USA ungefähr zehn Prozent aller
überführten Mörder weiblichen Geschlechts, doch hat man während des gesamtem
zwanzigsten Jahrhunderts nicht eine einzige Mörderin hingerichtet. Wenn
Männer und Frauen gegeneinander vor Gericht ziehen, ist die Situation für
Letztere sogar noch günstiger. In vielen modernen Ländern kann ein Mann aus
seinem Haus geworfen werden, nur weil die Frau sich bedroht fühlt (mit
anderen Worten, reale physische Gewalt muss gar nicht vorliegen); hat man
ihn hinausbefördert, ist er dennoch weiterhin verpflichtet, seine Kinder und
sie zu versorgen. Ein Mann, der sich wegen sexueller Belästigung oder eines
sexuellen Übergriffs zu verantworten hat, muss sich einer genauen Prüfung
seiner Vergangenheit unterziehen, damit ermittelt werden kann, ob ein
"Verhaltensmuster" vorliegt; dasselbe Gericht, das eine solche Untersuchung
als Beweismittel anerkennt, wird sich jedoch weigern, der Frage nachzugehen,
ob sie eine Schlampe ist oder ihn provoziert hat. Entgegen den elementarsten
Regeln der Justiz muss eine Frau, die einen Mann der Vergewaltigung
bezichtigt, diesem nicht einmal unbedingt vor Gericht gegenüberstehen.
Stattdessen ist es gut möglich, dass man ihr gestattet, mit der
Unterstützung eines Aufgebots an Sozialarbeitern ihre Aussage auf Video zu
machen und sich so einem Kreuzverhör zu entziehen. Die Folgen dieser und
anderer diskriminierender Maßnahmen sind leicht abzusehen. In allen modernen
Ländern werden mehr männliche als weibliche Kinder geboren. In allen
modernen Ländern erhalten Frauen mehr medizinische Behandlung als Männer
(übrigens wurde vor etwa 160 Jahren von männlichen Ärzten der Begriff
"Gynäkologie" geprägt; noch heute suche vergeblich nach dem Wort
"Andrologie"). In allen modernen Ländern sterben in jeder beliebigen
Altersgruppe mehr Männer als Frauen (so kommen bei 90 Prozent aller schweren
Arbeitsunfälle Männer, nicht Frauen zu Schaden). In all diesen
Gesellschaften überleben Frauen die Männer um fünf bis zehn Jahre, und
häufig leben sie von den Renten, die ihre verstorbenen Ehemänner ihnen
hinterlassen haben. Doch ist der Einfluss des modernen Feminismus so
überwältigend, dass sich nur wenige Menschen beiderlei Geschlechts der
wahren Tatsachen bewusst sind. Der Verfasser dieser Zeilen hat die Erfahrung
gemacht, dass Frauen wütend reagieren, wenn sie mit diesen Fakten
konfrontiert werden, während Männer nur milde lächeln. Das könnte des
Rätsels Lösung sein. In Wirklichkeit ist den Frauen klar, dass sie eine
Vorzugsbehandlung genießen, daher wehren sich gegen jeden Versuch, ihnen
ihre Privilegien wegzunehmen. Und Männer wissen genau, dass man sie zu
"Eseln des Hauses" gemacht hat, wie das arabische Sprichwort besagt. Die
Biologie - die Tatsache, dass Frauen Kinder bekommen und Männer nicht - hat
Männer dazu verdammt, schwerer zu arbeiten und Frauen ökonomisch zu
unterstützen. Sie hat auch bewirkt, dass Männer in ihrer Erziehung und vor
Gericht strenger behandelt werden, ganz zu schweigen von ihrer Bereitschaft,
in Friedens- wie in Kriegszeiten ihr Leben für Frauen aufs Spiel zu setzen.
Im Gegenzug haben wir Männer nur eine kleine Bitte. Während der letzten
dreißig Jahre hat es eine Flut feministischer Propaganda gegeben. Sie macht
uns für alles verantwortlich, für die "Diskriminierung" von Frauen bis hin
zu ihrer "Misshandlung" und "Unterdrückung", und zwar so überzeugend, dass
nur noch die wenigsten Menschen wissen, dass die Situation genau umgekehrt
ist. Da wäre es nett, wenn in Anerkennung all unserer Entbehrungen ein
zartes weibliches Stimmchen einmal zu uns sagen würde: Danke, Kumpel.
Übersetzung: Ruth Keen